Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Der Anwalt Utterson ist sehr überrascht, als ein Bekannter ihm von einem unangenehmen Zusammentreffen mit einem gewissen Mr. Hyde berichtet. Dieser, als durch und durch widerliche Charakter beschrieben, ist dem Anwalt bereits bekannt als Erbe seines Freundes, dem ehrenwerten Dr. Jekyll. Voller Unruhe berichtet er nun seinem Freund von den Missetaten seines Erben, doch Jekyll scheint dies nicht zu beeindrucken und er versichert, dass sein Testament durchaus sein Richtigkeit hat. Widerwillig läßt Utterson die Sache ruhen und akzeptiert, dass sein Freund die Probleme nicht mit ihm teilen will.
Dann geschieht das unfassbare: Mr Hyde prügelt in aller Öffentlichkeit mit einem Stock einen Passanten nieder bis dieser an den Folgen der Schläge stirbt. Ganz London ist in Aufruhr und Utterson stellt seinen Freund der Rede. Jekyll, völlig am Boden zerstört, versichert, dass Hyde nie wieder auftauchen werde. Er übergibt ihm einen Abschiedsbrief, der den Anwalt vor neue Rätsel stellt. Obwohl die Handschrift eindeutig eine andere ist, weißt sie doch einige Ähnlichkeit mit der Dr. Jekylls auf. Doch da sein Freund nun wieder offener ist und ganz zu seiner alten Form zurückfindet, verdrängt Utterson die Sache, bis ein paar Monate nach der bestialischen Tat Jekyll sich verändert und überhaupt keinen Besuch mehr empfängt. Mehr denn je ist Utterson entschlossen, das dunkle Geheimnis, von Jekyll zu lüften.
Wenn man sich mit der Originalgeschichte zu Stevensons zu Gemüte führt, dann erkennt man recht bald, dass kaum eine andere Geschichte öfter sinngemäß entstellt und entfremdet wurde, wie diese. Sämtliche Filmadaptionen zeugten von Unfähigkeit, den Kern der Geschichte adäquat umzusetzen. Hyde war bei weiten nicht das höhlenmenschartige Monster, das durch körperliche Kraft bestach. Im Gegenteil: Stevensons Hyde war eine schmächtige Figur, die aber die Bedrohlichkeit eines Psychopathen hat und diese in jeder ihrer Gesten und Taten mit zynischer Freude zu Schau stellte. Man muss sich Hyde eher als Serienkiller, sozusagen als den Großvater von Hanibal Lector verstellen - das kommt dem Bild schon sehr nahe.
Das Buch selbst ist auf höchst ungewöhnliche Weise verfasst. Robert Louis Stevenson erzählt die Geschichte nicht linear sondern steigt gleich in der Mitte ein. Nicht Jekyll, sondern Utterson ist die Hauptperson und dieser enthüllt die Wahrheit nach und nach zusammen mit dem Leser. Noch viel ungewöhnlicher ist die Tatsache, dass Hyde bereits in der Mitte des Buchs den Tod findet und erst danach anhand von Briefen, die Jekyll und ein enger Freund des Doktors, den Hyde selbst einen tödlichen Schreck eingejagt hatte, heraus kommt, was wirklich vorgefallen war. Erst im letzten Drittel darf Jekyll selbst zu seinem Fall Stellung nehmen und man liest von einer Reise in die Psyche eines Menschen, der die Büchse der Pandora geöffnet und von seiner dunklen Seite übermannt wurde.
Ganz ohne Zweifel: Das Buch, obwohl fast 120 Jahre alt, versteht zu fesseln und den Leser in seinen Bann zu schlagen. Das liegt vor allem daran, dass Stevenson das Werk in einem Stil verfasste, der für die damalige Zeit äußerst ungewöhnlich gewesen sein durfte, aber einem Leser von heute nur allzu vertraut ist. Vom Handwerklich her ist das Buch zeitlos geblieben und wenn auch der Inhalt die Welt des endenden 19. Jahrhunderts wiederspiegelt, wirkt der Stil unverbraucht und jung. Kein Wunder, dass Stevenson auch heute noch gelesen wird.
9 von 10 Punkten.
Die Umsetzung als Hörbuch kann nur als gelungen bezeichnet werden, aber weniger hätte ich vom Verlag und Studio für Hörbuchproduktionen auch nicht erwartet. Falls Kürzungen gemacht wurden, war es nicht zu bemerken. Der Verlag schreibt selbst: Grundlage unserer Arbeit ist die Überzeugung, dass ein Text erst gesprochen zu einem Ganzen wird. Ein schriftlich vorliegender Text gleicht einer Partitur, die durch Sprecherinnen bzw. Sprecher interpretiert und zum Klingen gebracht wird. Das mag auf dem ersten Blick großspurig klingen, doch die Qualität der Hörbücher dieses Verlags zeigt sich, wenn man sie mit anderen Veröffentlichungen vergleicht.
Die Sprecher werden sorgsam ausgewählt und der Sprachfluss wird strukturiert durch Pausen, Tempo- und Lautstärken Änderungen und das wiederum gleich in der Tat dem Vortrag eines Lieds. Sich das vor Augen haltend kann man leichter verstehen, was der Verlag mit dieser Aussage meinte. Die Früchte dieser Arbeit lassen sich sehen und sind ein fürs andere Mal ein Genuss. Auch dieses Hörbuch bildet keine Ausnahme. Überarbeitung, Aufmachung und Sprecher sind wieder einmal superb und verdienen die höchste Bewertung: 10 von 10 Punkten.
Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde - Rezension von Sascha Hallaschka