Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Olejok John Brunner ist unbestritten der Meister der SF-Dystopie. Seine Romane Morgenwelt und Schafe blicken auf sind Zeugnisse daür, das Science Fiction nicht zwangsläufig zur unterhaltsamen Trivial-Literatur gehört. |
Das vorliegende Buch ist zweifellos eines der berühmtesten Werke des Autors. Geschrieben in einer Zeit, als ein Computer noch als tonnenschwerer Schrank mit Bandlaufwerken identifiziert wurde und die Eingabe über Terminals ohne eigene Rechenleistung geschah, sah Brunner schon die sich abzeichnende Entwicklung zu einer datengestützten Gesellschaft. Mit seiner Darstellung eines weltumspannendes Informationsnetzwerks nahm er das heutige World Wide Web vorweg, wobei er aber diesmal die technologische Entwicklung nicht so exakt extrapolierte, wie in einigen seiner anderen Werke. Die in diesem Roman eingesetzte Technologie wirkt überholt, ein wenig antiquiert, aber die Grundaussage seiner Handlung bleibt aktuell... Wer das Netz mit seinen Möglichkeiten kontrolliert, besitzt die Macht, Strukturen zu erhalten oder einschneidend zu verändern.
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Klappentext / Inhaltsangabe
Es sind diese entsetzlich tüchtigen Leute, die mit ihren präzise funktionierenden Fischgehirnen Menschen auf Stückgut, auf Menschenmaterial, auf Zahlenkombinationen reduzieren, um sie in den Griff zu bekommen, um sie als numerische Größe in ihren Kalkülen handhaben zu können.
Dieser Roman zeigt am Beispiel des Superhackers Nick, was geschehen kann, wenn dieser elektronische Perfektionismus erreicht ist. Dann bedarf es nur noch einer Regierung, die politisch unter Druck gerät und korrupt und skrupellos genug ist, schrankenlos von diesem Machtmittel Gebrauch zu machen. Dieses Mittels durch einen genialen Hacker beraubt, fällt auch einer demokratisch gewählten Regierung nichts anderes ein, als einem Gangstersyndikat: sie demonstriert brutale Gewalt.
Nick Haflinger, ein Mietkind, das ohne die biologischen Eltern zu kennen, in verschiedenen Familien aufwächst, wird an seinem zwölften Lebensjahr aus seinem Leben herausgerissen und in ein geheimes, regierungseigenes Ausbildungs-Center, dem Tarnover, gebracht. Schulische Tests haben ergeben, dass Nick besondere Begabungen besitzt. Die Regierung übernimmt seine zukünftige Ausbildung und plant, aus ihm und weiteren Kindern eine dem Staat dienende geistige Elite zu formen. Als Nick Jahre später aufgrund einer Begegnung mit einem anderen "Forschungsobjekt" des Tarnovers Zweifel über die hehren Ziele des Projekts überkommen, beschliesst er, das sein Talent nicht dazu beitragen soll, der Regierung und ihren Einrichtungen zu dienen... er entzieht sich der Kontrolle von Regierungprogramm und Tarnover und zieht ein Leben auf der Flucht vor. Das ist in einer Zeit, in der die Bevölkerung durch ein Datennetz kontrolliert wird, nicht ganz so einfach, aber Nick nutzt sein Talent als hochbegabter Programmierer, um die Spuren seiner wechselnden Identitäten zu verwischen. Das er dabei unendeckt bleibt, ist für das Tarnover nicht nur ärgerlich, sondern auch gefährlich... Nick Haflinger kennt einige Geheimnisse, die, wenn sie verbreitet würden, die Ordnung des Landes aus den Angeln heben würden...
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Der Leser, der mit Schockwellenreiter einen technisch orientierten SF-Hacker Roman erwartet, erlebt eine herbe Enttäuschung. Brunner benutzt auch hier die Technik ausschliesslich als Handlungsrahmen, um eine Diskussion über Sinn und Zweck einer vernetzten Gesellschaft und deren soziologischen Auswirkungen auszulösen. Die Kontrolle des Datennetzwerks und derjenigen, die es kontrollieren, bilden den Plot der Geschichte. Dabei setzt Brunner in diesem Roman wieder teilweise die fragmentarische Erzählweise ein, die er in seinem bekanntestem Werk Morgenwelt exzessiv benutzte. Trotzdem ist der Schockwellenreiter wesentlich lesbarer, weil die Fragmente den Hauptstrang der Geschichte unterstützen.
Mit seiner ihm eigenen Art der soziologischen Sichtweise wirft Brunner die Frage auf, ob eine zukünftige Gesellschaft mit den dann vorhandenen technischen Möglichkeiten nicht weitgehend kontrollierbar wird. Menschen werden zu Nummern, zu ID's, die ihre Funktion ohne Rücksicht auf soziale Komponenten erfüllen.
Auch wenn die Darstellung technischer Elemente in der Story heute ein wenig überholt wirken, gelingt es Brunner auch diesmal, einen faszinierenden Ausblick in eine fiktive Welt zu bieten. Selbst wenn die Brunner-eigene Dystopie durch einige Protagonisten diesmal nicht ganz so ausgeprägt ist, erkennt man auch bei diesem Werk die Urangst des Autors vor einer allmächtigen Kontrollinstanz.
Anders als in seinen anderen Hauptwerken, setzt er diesmal auf die Figur eines Einzelkämpfers, der die Möglichkeiten besitzt, die allumfassende Kontrolle zu manipulieren oder zu durchbrechen. Diese Figur gibt der Story den Esprit, die den Handlungsverlauf flott und gut lesbar voranbringt. Der Leser nimmt dadurch an einer Geschichte teil, die neben der interllektuellen Tiefe auch ein nicht unbeachtliches Maß an Spannung mitbringt.
Fazit:
Brunners Schockwellenreiter ist ein gut lesbares und spannend geschriebenes Werk, das zu Recht seinen Anspruch als Referenz der Computer-Ficiton besitzt. Auch wenn die Grundlage des Datennetzes in seinem Roman mittlerweile von der Wirklichkeit überholt wurde, bereitet sich beim Lesen das vom Autor gewollte Maß an Beklemmung aus.
Ob seine Version eines kontrollierten Netzwerks jemals Wirklichkeit wird, bleibt zu bezweifeln, da sich einige Grundtendenzen in der globalen Ökonomie seit 1975 stark verändert bzw. verschoben haben. Die Macht der Regierungen, egal in welcher Form, weicht immer mehr der Macht international operierender Konzerne. Das Szenario, dass z. B. im SF-Genre Cyberpunk als Handlungsumgebung dient, wirkt viel wahrscheinlicher und kommt der derzeiten Entwicklung wesentlich näher.
Trotzdem oder gerade deshalb ist es unumgänglich, dem Buch eine Empfehlung auszusprechen; zeigt es doch auf, welche Befürchtungen vor 30 Jahren gegenüber einer vernetzten Gesellschaft ein Thema war.