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Titel: Die Zwerge der Meere Eine Rezension von Ida Eisele |
Anders als ihre Verwandten, welche die Berge der Kontinente untergraben und in Kristallstädten leben, begeben sich die Zwerge der Meere nicht unter die Erde, um Schätze abzubauen. Sie leben in schwimmenden Städten auf den Weltmeeren und tauchen zum Meeresgrund hinab, um dort die begehrten Weißkristalle abzubauen. Als der junge Schürftaucher Varnum auf eine Kristallsäule von nie gekanntem Ausmaß stößt, scheint sich für ihn zunächst alles zum Guten zu wenden. Er bekommt seinen zweiten Namen und darf somit endlich eine Frau heiraten – und da hat er auch schon eine ganz bestimmte im Kopf, die schöne Besana, Tochter der Heilerin.
Doch kurz nach dem Säulenfund wird die Stadt von einem schweren Sturm heimgesucht, der viele Leben kostet und die Zwerge zwingt, die Bergung der Säule zu verschieben, bis sie ihre Trinkwasser- und Holzvorräte aufgefrischt haben. Auf der dafür vorgesehenen Insel werden sie jedoch von Eingeborenen angegriffen und müssen wiederum viele Tote in Kauf nehmen. Kaum daheim angekommen, erwartet sie die nächste böse Überraschung: Die lebensnotwendigen Gelbfrüchte sind verdorben. Damit die Zwerge der Meere nicht an Vitamin-C-Mangel zugrunde gehen, müssen Gelbfrüchte herbeigeschafft werden. Auf dem Weg ins Reich Telan begegnen sie einem nach einem Gefecht schwer beschädigten telanischen Kampfdampfer, dessen Kapitänin im Gegenzug für die geleistete Hilfe konzentrierten Gelbfruchtsaft überlässt. Über die Besatzung der Envaar – des Dampfers – erfahren die Zwerge der Meere von einer drohenden Gefahr: Das südliche Reich Anram ist von riesenhaften, ameisenartigen Sendar überfallen worden, die nun auf anramischen Segelschiffen das Meer unsicher machen und ohne Warnung angreifen. Seit längerem waren telanische Schiffe auf dem Weg nach Anram spurlos verschwunden und die Aufgabe des mit Lichtdruckkanonen ausgestatteten Kampfdampfers war es, ihr Verschwinden aufzuklären. In einem Gefecht mit den Sendar entstanden auch die schweren Schäden am Schiff. Die Envaar fährt schließlich weiter, um Telan vor den insektischen Feinden zu warnen, während die Zwerge ihre Stadt so schnell wie möglich verlegen. Doch es hilft nichts, die Sendar sind der Envaar gefolgt und treffen auf die Zwergenstadt...
Das größte Argument für das Buch ist in der Tat die eigenartige, faszinierend neue Welt, in welcher die Handlung stattfindet. Tauchende, seefeste Zwerge sind noch die kleinste Überraschung. Von den Machtverhältnissen in Telan, über die mit Brennstein fahrenden Dampfer, die aus Weißkristall gefertigten und Sonnenenergie nutzenden Lichtdruckkanonen bis hin zu den genau geschilderten Bräuchen der anramischen Fischer oder der telanischen Marine, tausend Details ziehen den Leser in eine Fantasywelt, die gerade im Übergang in eine eher wie Steampunk erscheinende Epoche begriffen ist. So lässt auch die Schilderung der Geschichte des mächtigen Telans oder des Aufstiegs der zunächst winzigen Sendar erahnen, dass diese Welt nicht unter der Krankheit vieler Fantasykonstrukte leidet. Es gibt keine über Jahrhunderte bis Jahrtausende gleich bleibenden Gesellschaftsformen, Technologien und Normen. Alles befindet sich in ständiger Veränderung und wirkt auf einen heutigen Menschen damit um vieles realer.
Die Charaktere sind allesamt verständlich und meistens auch nicht unsympathisch. Selbst die Sendar kann man verstehen – wenn man sich auf ihre doch sehr andersartige Denkweise einlässt. Sie sind eben Insekten, die ihren Bau ausweiten wollen. Die Menschen konkurrieren mit ihnen um Platz und Nahrung.
Als störend hingegen empfand ich die ungemeine Anzahl von Personen und Namen, mit welcher der Leser konfrontiert wird. Selbst innerhalb der Kapitel wechselt die Perspektive zwischen einzelnen Personen. Oft passiert es auch, dass eine Person ein Kapitel lang eine Rolle spielt, nur um dann zu sterben oder wieder zu verschwinden, sodass man nie weiß, ob man sich den Namen nun merken sollte oder nicht.
Varnum als Hauptperson bleibt blass und fremd. Gerade seine Liebe zu Besana ist unausgearbeitet und gefühllos. Sogar als sie gemeinsam auf einer Insel im Wald unterwegs sind, erlebt man sie nicht zusammen, erfährt nicht, wie gut sie einander überhaupt kennen und warum Varnum sich ausgerechnet in Besana verliebt hat – als einziges Argument wird ihre Schönheit angeführt.
Das ist es auch, worunter alle sonst recht interessanten Figuren leiden: Der Leser erfährt ihre Namen, ihre Funktion und doch kaum etwas Persönliches, sodass sie am Ende des Buches noch immer die Fremden sind, die sie zu Beginn waren.
Etwas ärgerlich war auch, dass die Handlung lange ziellos zu verlaufen scheint, bis die Envaar und die Zwerge endlich aufeinandertreffen. Zwar herrscht eine gewisse Spannung und der Überlebenskampf der Zwerge wirkt auch in keiner Weise unnötig, übertrieben oder dazugedichtet, dennoch hätte das Verhältnis zwischen Einleitung und Hauptteil etwas günstiger sein können.
Was Sprache und Stil angeht, ist 'Die Zwerge der Meere' ein angenehm zu lesendes Buch, das durch nichts negativ auffällt.
Für Romantiker und möglicherweise Abenteurer dürfte es eher nichts sein, für Freunde ausgetüftelter Welten hält es dagegen einige interessante Aspekte bereit.