| Reihe: Die zerrissenen Reiche, 2. Band Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Im zweiten Band der „Zerrissenen Reiche“, entwickelt von Thomas Plischke und Ole Johan Christiansen, befinden wir uns in einer Welt des Umbruchs. Die Zwerge des Zwergenbundes sind in Aufruhr. Der Oberste Verwalter hat beschlossen, den zerrissenen Reichen der Menschen den Frieden und die Ordnung zu bringen. Dies ist ein lobenswertes Ziel. So gibt es doch gerade im Zwergenbund eine Ordnung, die bislang hervorragend funktionierte. Doch was steckt wirklich dahinter? Ist es der Oberste Vorarbeiter Gorid Seher, der den Krieg vorantreibt? Etwa weil er sich immer im Schatten des Gründers sieht und nun ebenfalls in die Geschichtsbücher des Zwergenbundes Eingang finden will? Das ist ein sehr egoistisches Ziel, das Leid und Elend über eine Welt bringen wird. Dabei verlässt sich Gorid Seher auf seine Berater. Die Halblinge haben im Zwergenbund die Verwaltung und alle öffentlichen Ämter an sich gerissen. Nominell sitzen Zwergen an den entscheidenden Stellen der Macht. Aber das macht nichts, denn die Halblinge sind die wahren Herrscher. Mit ihren Entscheidungen, ihrem Rat steuern sie die Entscheider so, wie sie es wollen. Wie im kleinen Maß bei den Zwergen mit Entscheidungsbefugnissen, so beeinflussen und steuern sie die Meinung der Zwerge über die entsprechenden Medien. Und wo die subtile Beeinflussung durch Meldungen und Gerüchte nicht ausreicht, wird mit Lügen und Mord nachgeholfen. Anschläge auf Menschen und nicht linientreue Zwerge sind an der Tagesordnung und steuern die Meinung in die entsprechende Richtung. Karu Schneider, die frühere Sucherin, muss erkennen, dass diese Manipulationen gezielt eingesetzt werden. Als ausgebildete Sucherin macht sie sich daran herauszufinden, wer ein Interesse daran hat, die Welt in einen Krieg zu stürzen. Denn wenn Zwerg und Menschen sich bekriegen, werden sie nicht die Einzigen sein. Auch andere Reiche und Rassen würden in Mitleidenschaft gezogen. Karu macht sich daran, die Drahtzieher zu suchen, die hinter den Manipulationen stecken. Die Halblinge selbst sind es wohl nicht. Oder doch? Das Leben wird für Karu durch ihre heimlichen Ermittlungen nicht einfacher; schnell kann sie, wie bereits andere Neugierige, ein Opfer der Gewalt werden. Die grauen Herren hinter den Aktionen wollen unter keinen Umständen erkannt werden. Die Verwalter der Armen und Arbeitslosen können mit jedem Tag kleinere Zahlen vermelden, da sich immer mehr Zwerge bei der Armee melden. Eine gigantische Propagandamaschine läuft an. Die Rüstungsindustrie läuft an und wiederum nimmt die Arbeitslosenzahl ab, weil mehr Zwerge eingestellt werden. Die Kriegsmaschinerie läuft auf vollen Touren. Um sie am laufen zu halten, benötigt man jedoch auch Rohstoffe, und die holt man sich aus dem Menschenreich, das man ja gerade befrieden will.
Die Zwerge reisen mit Schiffen über das Meer. Hier finden wir auch den ehemaligen Sucher Garep Schmied wieder, der erkannte, dass er im Zwergenreich zu einer Persona non grata wurde und um sein Leben fürchten musste. Doch die Schwingenritt, das Schiff mit dem er aus dem Zwergenreich floh, hatte eine Havarie, und so wird seine Reise in eine etwas andere Richtung gelenkt, als er gerettet wird. Garep findet dabei Hinterlassenschaften der unbekannten Herren der Welt. Er wird neugierig und macht sich auf die Suche.
Mit Schusswaffen, Dampfwagen und Blitzwerfern rückt man in Schiffen über das Meer in das Reich der Menschen vor: Zwischenzeitlich sind die Zwerge gelandet und auf dem Weg, die Menschen mit ihrer Ordnung bekannt zu machen. Erste bewaffnete Auseinandersetzungen zeigen: Die Zwerge sind den mit Schild und Schwert bewaffneten Menschen haushoch überlegen. Die Menschen haben der militärischen Kraft der Kleinwüchsigen nichts entgegenzusetzen. Vor der als unbezwingbar geltenden Ordensburg kommt es zur gewaltigen Auseinandersetzung. Bei den Zwergen finden wir auch den Bestienjäger Siris wieder, der sich der Zwergenarmee als Kundschafter anschloss. Eitel, wie er ist, ziert er auch das Titelbild des Romans. Auch Himek Steinbrecher und seine Patientin 23, Ulaha, sind vor der Ordensburg tätig. Sie ließen die Anstalt hinter sich und suchten einen neuen Weg zu leben. Um ihre Spuren zu verwischen, wählten sie den Weg in die Armee und in die Menschenreiche.
Die Welt der Zerrissenen Reiche ist eine sehr vielfältige Welt. Während wir auf der ersten, dem Buch mitgegebenen Karte nur einen Ausschnitt der Welt sahen, finden wir nun eine Karte vor, die sich bis über den Äquator erstreckt und neue Länder andeutet. Das Titelbild zeigt Siris den Bestienjäger und erinnerte spontan an Karl Mays Old Shatterhand. Thomas Plischke sagte im Interview, das sei gewollt, wie auch das Aussehen des Helden, der an eine Serienfigur bei Lost angelehnt ist. Karten, Titelbilder und die Romane bilden ein stimmiges Ensemble. Autor und Verlag gaben sich in Zusammenarbeit mit Henrik Bolle und Tobias Mannewitz viel Mühe, ein gutes Projekt zu starten.
Der Roman setzt ein Glanzlicht in die Welt der Fantasyliteratur. Die beteiligten Wesen sind nicht die tumben Haudraufs, die sich in der Kneipe am Bier festhalten, damit sie nicht von den kurzen Beinen fallen; die Menschen und die Halblinge sind ebenso wichtig oder unwichtig. Die Zwerge beherrschen das Geschehen, ohne es wirklich zu steuern. Thomas Plischke gibt sich dabei die Mühe, eine Welt zu entwerfen, in der es Ränkespiele, Neid, Hass, Mord und Gewalt gibt. Aber auch Freude und Liebe. Es ist eine Welt, wie wir sie von der Erde kennen, mit dem kleinen Unterschied, dass nicht nur Menschen sie bevölkern. Es bietet sich der Leserin und dem Leser eine farbenfrohe, lebendige Welt. Jeder versucht für sich das Beste daraus herauszuholen. Je nach sozialer Stellung sind die Mittel dafür gering oder mächtig, sind die Ziele klein oder hoch gesteckt. Mit den bislang bekannten Rassen ist es jedoch nicht getan. Weitere werden auftreten und die Reihe so zu einer Art modernem „Herrn der Ringe“ werden. Eine aufwühlende Geschichte, denn als Leser fühlt man sich schnell in die Welt hineingezogen und man fühlt mit den verschiedenen Handlungsträgern. Anscheinend haben die Erzählstränge nichts miteinander zu tun, doch sind sie notwendig, um die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln zu zeigen und gleichzeitig eine Handlung voranzutreiben, die nicht nur von einem Handlungsträger tragbar ist. Der Roman ist abwechslungsreich geschrieben und eine sehr gute Fortsetzung zu „Die Zwerge von Amboss“, gleichzeitig aber auch ein Roman, der ohne den ersten Teil nicht gelesen werden kann. Eine kleine Zusammenfassung würde dem Buch gut tun. Wie auch immer, die Serie bereichert die Fantasy-Szene mit neuen, frischen Ideen. Die Romane sind von einer selten gelesenen Kraft und Eindringlichkeit.