Titel / Originaltitel: Notgeil Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Eglseer |
Jürgen Müller, bekannt durch einige bemerkenswerte Romane (siehe Autorenseite) und hier auf dieser Seite durch diverse Kurzgeschichten, bringt mit "Notgeil" ein kleines Büchlein raus, das in mehrerer Hinsicht Aufmerksamkeit erhascht.
Einerseits ist es für einen kleinen, auf dem breiten Massenmarkt fast unbekannten Autor ein finanzell grosses Risiko, eine längere Kurzgeschichte als eigenständiges Taschenbüchlein heraus zu bringen - die Kosten werden sich wohl niemals wieder hereinkommen, das hat mir Jürgen Müller auch selbst schon bestätigt. Insofern ein für den risikoreichen SF-Markt ein unternehmerisches Risiko, das von Idealismus und Mut zeugt. Wie aber auch beispielsweise Michael Baiers Coruum oder die Reihe historischer SF-Romane von Dieter von Reeken zeigen, verbergen sich gerade hier die Leckerbissen der phantastischen Literatur.
Gespannt widmet man sich nun der Geschichte und wird hineingeworfen in ein typisches Müllersches Universum voller Verrücktheiten und komischer Gestalten...
In naher Zukunft hat sich die menschliche Rasse weiter entwickelt - man besitzt nicht mehr zwei Gehirnhälften, die sich einerseits ergänzen oder andererseits gegeneinander arbeiten, sondern man trennt beide Hälften und lässt mit je einer zwei verschiedene Menschen aufwachsen. Die so geborenen "Rights" und "Lefts" gleichen Zwillingen, sind aber weitaus enger mit ihnen verbunden, als diese. Die mit der rechten Gehirnhälfte - die "Rights" also - sind in ihrer Entwiclung gehemmt und erreichen in ihrem Leben nur einfache und unkomplexe Berufe und Lebensziele, währen die "Lefts" zu beispielsweise Künstlern und Architekten werden.
Die Brüder Kohaupt, Mirko und Marco, sind erst vor kurzem aus dem Kinderheim entlassen worden und müssen sich im Leben behaupten. Mirko - ein in seinen Augen begabter Holzschnitzer - versucht sich in diesem Handwerk und als Künstler einen Namen zu machen. Fast sieht er sich als "Left" an seinem Ziel angekommen, als sein Bruder Marco sich plötzlich als Pornophotograph betätigt und in dieser Sparte auch noch grossen Erfolg zu haben scheint. Mirko beäugt die Bemühungen seines Bruder teils mit Unverständnis, teils mit Erheiterung, glaubt er doch keinesfalls an deren langfristigen Erfolg. Jedoch hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht bzw. mit der Prüfungskommission, welche über "Right" und "Left" entscheidet....
Gespickt mit allerlei verrückten Einfällen und skurilen Charakteren entwickelt Müller auf wenigen Seiten eine amüsante Variante unserer Zukunft - spielt dabei konsequent mit den Begebenheiten der Pornoindustrie, lässt den Roman aber dabei niemals obszön oder derb wirken. Das ist sicherlich ein wackeliger Marsch über den Grat der klaren Worte, jedoch gelingt es Müller, niemals die windgeschützte Seite der Satire und der amüsanten Darstellung der Geschichte zu verlassen.
Kurz zwar - aber trotzdem empfehlenswert, wer ein ideenreiches Büchlein über die Zukunft der Porno-Industrie und der menschlichen Gesellschaft in Händen halten möchte.