Serie / Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Der in Hildesheim lebende Michael Marrak zählt zu den festen Größen der deutschsprachigen Phantastik und seine neueren Werke lassen sich nur schwer einem bestimmten Genre zuordnen. Sowohl als Zeichner/Grafiker als auch als Autor startete seine Laufbahnen im Horrorgenre, wo seine Romane und Kurzgeschichten in diversen Fanzines und bei den verschiedensten Kleinverlagen erschienen. Hierzu zählt sein Roman „Stadt der Klage“, der im September 1997 in einer Auflage von 400 Exemplare in der edition mono erschien. Geplant als Zweiteiler unter den Titeln Lament und Legion, sah sich Marrak aufgrund des engen Budgets dieses Kleinverlags zum Abfassen einer gekürzten Fassung gezwungen. Wie es dann dazu kam, dass Stefan Bauer von Bastei-Lübbe ausgerechnet das Konzept des nun vorliegenden Romans akzeptierte, läst sich auf der Homepage des Autors, in einem Interview, welches gerade in phantastisch! 19 erschienen ist und im Nachwort zum Roman nachlesen.
Die Handlung beginnt in der libyschen Wüste. Hier gräbt der Archäologe Hippolyt Krispin eine Sechseckpyramide aus, die mit der Spitze in den Boden weist und älter ist als die ägyptischen Hochkulturen, die auf dem ersten Blick als Erbauer nur in Frage gekommen wären. In dem Bauwerk findet sich eine Vakuumkammer, was an sich schon eine Unmöglichkeit darstellt, und darin findet Hippolyt, vom Forscherdrang regelrecht besessen einen Armreif in Form von einer sich in den Schwanz beißenden Schlange.
Bevor Regierungsstellen seine Crew und ihm von diesem Fundort entfernen und all ihre Unterlagen konfiszieren, gelingt es ihm dieses Stück aus der Wüste herauszuschmuggeln. Zurück in Kairo wartet er auf die ersten Untersuchungsergebnisse seiner Freunde, die ebenfalls ihr Material ins Ausland haben schaffen können.
Hippolyt, der zu einem beinharten Trinker verkommen ist, begegnet kurz vor seinem Abflug einer wunderschönen Frau, von der er gleich sexuell angezogen wird. Er gewährt ihr eine Gunst, sie ihm eine heiße Nacht und am nächsten Morgen erwacht er blutbesudelt mitten in Kairo auf. Völlig verwirrt kehrt er in sein Hotel zurück und bestellt sich ein Taxi zu Flughafen.
Bis hierher handelt es sich noch eher um einen Abenteuerroman a la Indiana Jones und ähnlichen Werken, als um ein Phantastikwerk. Danach dreht Michael Marrak aber so richtig auf, denn er versetzt seinen Helden in die altägyptische Vorstellung einer Hölle. Einer Hölle, die in eine unüberschaubare Zahl von Bezirken unterteilt ist und in denen die Verurteilten leiden und Schmerzen empfinden. Da sie bereits tot sind, währt ihr Leiden ewig. Hippolyt Krispin, der völlig verwirrt ist und auch nicht akzeptiert, dass er selbst tot sein muss, wenn er in dieser Hölle sich wiederfindet, versucht natürlich einen Ausweg zu finden und irrt durch die verschiedenen Bezirke der Hölle. In der Beschreibung dieser kann sich Michael Marrak richtig austoben und seine ihm eigene Phantasie freien Lauf lassen. Während Horrorleser mit der Ausarbeitung dieser Kapitel weniger ein Problem haben dürften, könnte ich mir vorstellen, dass Leser, die einen lupenreinen SF-Roman erwartet haben, spätestens hier den Roman verständnislos zur Seite legen könnten. Gerade die Tour durch die Hölle, dem Duat, ist ein wenig zu lang geraten und hätte eine Straffung vertragen, um so dadurch auch die SF-Leser bei der Stange zu halten. Zum Ende hin entwickelt sich der Roman dann zu einem SF-Werk, zwar immer noch mit dem für Marrak so typisch phantastischen Hintergrund, aber doch für viele Leser wesentlich verständlicher und nachvollziehbarer.
Als Leser sollte man sich auf die Mythologie der Ägypter und der vor ihnen existierenden Völker einlassen können, denn der gesamte Roman ist auf diesen Hintergrund aufgebaut und benutzt die Symbole und Götter ihrer Religionen. Diese dienen dann als Grundlage für Michael Marraks eigene Version des Duat, der Hölle, die er dann unsere heutigen Gesellschaft entsprechend modifiziert.
Bei „Morphogenesis“ handelt es sich zweifellos um ein eigenständiges Werk, welches nicht explizit einem bestimmten Genre zuzuordnen ist. Obwohl innerhalb der SF-Reihe des Bastei-Lübbe-Verlags erschienen, handelt es sich nicht um einen reinen SF-Roman, was sicherlich viele Leser verwirrend feststellen werden. Es bedarf sicherlich einigen verlegerischen Mut solch einen Roman herauszubringen und ein SF-Konzept des Autors abzulehnen. Die mir bisher vorliegenden Reaktionen sind durchweg positiv, einige sogar überaus positiv.
Der Roman lebt von der unerschöpflich erscheinenden Phantasie des Autors, der seine gedankliche Bilderwelt in entsprechende Wort zu fassen vermag und somit eine fantastische Welt entstehen läst, die gleichsam verwirrend, abstoßend, makaber, humorvoll, satirisch, gewalttätig und bildgewaltig ist. Gerade hier liegt die Stärke Michael Marraks, die vielleicht darin begründet ist, dass er ebenfalls über ein sehr ausgeprägtes zeichnerisches Talent verfügt. Vereint mit seinen schriftstellerischen Fähigkeiten, die er sich im Verlauf der letzten Jahre angeeignet hat, ist er in der Lage solche Romane wie „Morphogenesis“ zu Papier zu bringen.
Für mich stellt der vorliegende Roman den Schaffenshöhepunkt Michael Marraks dar und ist jedem Freund phantastischer Literatur zu empfehlen.
Morphogenesis - Rezensionsübersicht