Serie/Zyklus: ~ Besprechung / Rezension von Jürgen Veith |
Allen Steele hat bereits mehrfach den Hugo gewonnen. Trotzdem ist er in Deutschland kaum bekannt. Vielleicht liegt es an der - vielleicht etwas voreiligen - Kategorisierung seiner Werke als Hard SF, welche etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint. Aufmerksam geworden bin ich auf Allen Steele durch ganzseitige Anzeigen im Locus Magazin. Bereits der erste Roman, den ich gelesen habe, Die letzten Tage von Clark County, war ein Volltreffer. Für mich galt es herauszufinden, ob dies ein Zufallstreffer war, oder ob mir bisher ein wirklich guter Autor entgangen ist.
Erzählt wird die Geschichte der Männer und Frauen auf der Mondstation Descartes. Fern von der Erde besteht ihr Leben aus Arbeit und Entbehrungen. Doch der Mensch kann sehr kreativ sein, wenn es darum geht, das Leben etwas angenehmer zu gestalten: Sei es durch Brennen von Alkohol oder durch geschickte Umlenkung von Schmuggelware.
Als die Eskapaden auf dem Mond Überhand nehmen, wird ein neuer Manager zu Descartes geschickt. Er ist nicht der einzige ungewöhnliche Neuzugang. Da wären noch eine sture, unnahbare Sicherheitschefin, ein galanter Hochstapler und ein ehemaliges Fotomodell. Alle haben sich für einen Neuanfang auf dem Mond entschieden. So jeder verfolgt seine eigenen Interessen. Schließlich verändert sich das Leben auf der Mondstation schlagartig. Mit dem neuen Manager sind Zucht und Ordnung eingekehrt. Als die Mondstation endlich für die Übernahme durch einen Konkurrenten herausgeputzt ist, eskaliert die Situation. Doch alles kommt anders, als so mancher es sich gedacht hat.
Bevor ich ein Buch beginne, blättere ich es gerne durch und genieße die ersten Eindrücke. Wie sind der Schriftsatz und die Zeichengröße? Gibt es viele Dialoge? Wie ist die Strukturierung? Lange oder kurze Kapitel? Wenige oder viele Absätze? Wie dick sind die Seiten? Wie riecht das Buch? So mache ich mir ein erstes Bild von dem, was mich erwartet. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass nicht selten so manche Perle auf Jahre in meinem Bücherregal eingestaubt ist, nur weil mir irgendetwas nicht gepasst hat.
Bei Mondhunde war das allerdings anders. Sofort wird sichtbar: Es gibt viele kurze Kapitel. Die Story ist in unterschiedlichen Perspektiven und Stilen erzählt: Interviews, Videos und Zeitungsartikel fügen sich als einzelne Mosaiksteinchen zu einem ganzen Bild zusammen. Das macht neugierig!
Der Roman lässt sich der gut lesbaren Hard SF zuordnen. Ganz klar, es gibt unnötig detaillierte Beschreibungen der Art "Schiff Jesco von Puttkamer (eine Boeing S-202B) liegt an Bucht 4 des Skycorp-Orbitalverarbeitungszentrum etc.". Diese können jedoch bedenkenlos überlesen werden. Streng genommen wird kein einziger technischer Vorgang beschrieben, der von zentraler Bedeutung für die Story ist. Das ist auch schon meine erste Kritik an dem Buch. Es scheint, als ob all diese Beschreibungen lediglich eine gewisse technische Atmosphäre schaffen sollen. Dafür kommen solche Passagen jedoch einfach zu häufig vor.
Seltsam sind in diesem Zusammenhang auch solch eigenartige Anachronismen wie Photos, die per Fax verschickt werden, Alarmmeldungen an ein Festnetztelefon, eine Bombe, die tickt und ein DJ im All, der seine Musik als Hardware geliefert bekommt. Man bedenke: Der Roman ist zu einer Zeit geschrieben worden, in der die Digitaltechnik auch in der Musik längst Einzug gehalten hat!
So richtig interessant wird Mondhunde immer dann, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht. Es werden unzählige interessante Geschichtchen erzählt: Vom Hochstapler, der seine Identitäten wechselt wie einst Fantomas, vom Alkoholiker, der als neuer General Manager reaktiviert wird oder vom Vorarbeiter, der seinem bestechlichen Chef eine Falle stellt. Jede Geschichte ist für sich äußerst unterhaltsam. Noch besser: Sie greifen immer mehr ineinander, bis die Kombination der einzelnen Schicksale beinahe ein Chaos auslösen. Beinahe? Das mag jeder für sich beurteilen.
Die Geschichte ist abwechslungsreich, spannend und humorvoll in Szene gesetzt. Einige Protagonisten entsprechen zwar oft anzutreffenden Klischees, aber "Who cares?", warum soll man sich immer neue Typen ausdenken? Sie sind allesamt glaubwürdig und sehr lebendig dargestellt und darauf kommt es an!
Steele lässt eher Bilder sprechen als explizit zu werden. Er schreibt nicht "der schlampige Vorarbeiter", sondern lässt beim Leser die Bilder im Kopf entstehen. So wird Figur um Figur eingeführt, jedesmal meint man, jetzt geht es richtig los, dieser Akteur ist jetzt der Handlungstreiber. Jedoch rücken die gerade eben eingeführten Figuren immer wieder in den Hintergrund. So wird Geschichte um Geschichte erzählt, bis der Leser nach 3/4 des Buches immer noch das Gefühl hat, sich in der Ouvertüre zu befinden. Irgendwie fehlt der Mittelteil komplett. Genau das ist mein zweiter Kritikpunkt: Auch wenn ich insgesamt durchweg gut unterhalten wurde, beschleicht mich am Ende irgendwie das Gefühl, dass mir die Möhre etwas zu lang vor die Nase gehalten wurde. Zwar wird man durch ein fulminantes Ende versöhnt, ein etwas fader Nachgeschmack bleibt jedoch zurück.
Zusammenfassend lässt sich hinter diesem Buch ein wirklich guter Autor erkennen, den ich weiter beobachten werde. Wegen der genannten Mängel ist es jedoch kein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann. Trotz aller guten Ansätze und einem nicht zu leugnenden Unterhaltungswert ist es kein "Must Read".
7 von 10 Punkten