| Serie: Eine Reihe betrüblicher Ereignisse aka Die schaurige Geschichte von Violet, Sunny und Klaus aka Schauriger Schlamassel (Bände 8 und 9) Autor: Lemony Snicket Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Willkommen zu zwei weiteren Büchern in Lemony Snickets Reihe betrüblicher Ereignisse. Sollte Ihnen, geneigter Leser, irgendwann der Gedanke kommen: "Hey, der Kerl beschreibt fast nur den Inhalt!", so bedenken Sie bitte Folgendes: Dies ist schon meine fünfte Snicket-Rezension, und die einzelnen Bücher werden zwar immer länger, ähneln einander aber ansonsten sehr. Darum sogleich in medias res:
Band 8: Das Schaurige Spital
Als wir unsere drei Helden zuletzt sahen, hatten sie gerade den zwei Quagmeir-Drillingen zur Flucht verholfen und waren mit letzter Not dem Lynch-Mob des Ortes der Federvieh-Freunde entkommen. Unglücklicherweise ist es Graf Olaf gelungen, Violet (14), Klaus (13) und Sunny Baudelaire (1-2) den Mord an Jacques Snicket in die Schuhe zu schieben und bei dieser Gelegenheit gleich sein eigenes scheinbares Ableben zu inszenieren. Somit jagt nunmehr niemand mehr den Erzschurken Olaf, dafür aber das ganze Land die drei Waisenkinder. Deren Chancen, den Ordnungskräften zu entkommen, stehen denkbar schlecht: Sie irren zu Fuß durch eine platte, baumlose Landschaft, und "Der Tagespedant", das Käseblatt unter den Käseblättern, hat einen reißerischen Artikel sowie Fotos von ihnen abgedruckt. Als sie von einem Zeitungsboten erkannt werden, flüchten sie sich in den Kleinbus der "Freiwilligen Freudenspender" und schließen sich ihnen an. Ist dies vielleicht die geheimnisvolle "F.F."-Gruppe, der die Quagmeirs auf der Spur waren? Wohl eher nicht. Die Freudenspender entpuppen sich als penetrant fröhliche Menschenfreunde, die jeden Tag zum Henry-J.-Heimlich-Hospital fahren, um dort mit ihren beschwingten - manche würden sagen schwachsinnigen - Liedern ein bisschen Sonne in den Alltag der Patienten zu bringen.
Als der Bus beim (noch nicht fertiggestellten) Hospital eintrifft, sucht dessen Personalchefin gerade drei Assistenten für den alten Archivar Hal [nein, nicht Ibm]. Die Baudelaires greifen sofort zu und geraten in ein Reich endloser Aktenschränke, in dem ohne erkennbare Methode Unmengen offiziellen Behördenwissens abgelegt sind. Von jetzt an wird es richtig spannend: Hal kommen die Gesichter von Violet, Klaus und Sunny irgendwie bekannt vor. Er ist sich sicher, sie im Zusammenhang mit der "Snicket-Feuer-Akte" schon einmal gesehen zu haben. Und außerdem ertönt plötzlich Graf Olafs Stimme aus allen Lautsprechern: Die arme Personalchefin habe leider einen Unfall gehabt. Er sei ihr Nachfolger und werde als erstes "eine vollständige Inspektion jedes einzelnen Angestellten" durchführen. Die drei Geschwister müssen schnell handeln: Nachts brechen sie ins Archiv ein, um womöglich in der Snicket-Akte Einzelheiten über die F.F.-Organisation zu finden. Doch wird es ihnen gelingen, dabei Olaf und seinen Spießgesellen zuvorzukommen?
In Band 8 der Reihe betrüblicher Ereignisse tritt zum ersten Mal Lemony Snicket mehr in den Vordergrund. Violet, Klaus und Sunny entdecken ein Foto, auf dem er (der Kamera abgewandt) mit seinem Bruder Jacques sowie den Baudelaire-Eltern zu sehen ist. Es verdichtet sich der Verdacht, dass alle vier früher der F.F.-Gruppe angehörten. Aber muss mich das wirklich interessieren? Daniel Handler, der wirkliche Autor der Serie, beweist von Buch zu Buch aufs Neue, dass ihm Realitätsnähe und die Frage nach der Wahrscheinlichkeit seiner Geschichten herzlich egal sind. Lemony Snicket macht in jedem Band vage Andeutungen zu brenzligen Situationen, in denen er selbst sich angeblich gerade befindet. Ein kleines Beispiel aus dem "Schaurigen Spital": "[Das] Wort 'Mitternacht' erinnert mich daran, dass ich dieses Kapitel sehr schnell zu Ende schreiben muss, weil ich sonst wahrscheinlich ertrinken werde." Ins Detail geht Snicket nie, nach seinen eigenen Worten, um das Buch nicht "unglaubwürdiger zu machen, als es sowieso schon ist."
Bei diesem Satz sehe ich den Autor wieder einmal im Geiste mit dem Auge zwinkern und beschließe, mich künftig noch mehr auf das zu konzentrieren, was Handler manchmal gut gelingt: Szenen absurden Theaters in einem Meer des immer Gleichen. Das absolute Highlight in Band 8 ist eine Situation im Operationssaal, in der Olaf Violet den Kopf 'amputieren' lassen will. Auf den Zuschauerrängen sitzen dabei die versammelte Ärzteschaft, die Freiwilligen Freudenbringer und die Presse - alle in begeisterter Erwartung einer richtig tollen OP. Diese Szene ist genauso aberwitzig wie gruselig, führt zu einer slapstickhaften Verfolgungsjagd und endet in einem spannenden Cliffhanger. Offensichtlich hat Daniel Handler gemerkt, dass er seine Grundstory zumindest etwas variieren muss. Als Folge wird die Atmosphäre ernster, weniger spielerisch als bisher, die Bedrohung wird zum Ende des Romans nicht aufgelöst. Als die Baudelaires dem Hospital entfliehen, tun sie das zusammen mit Olafs Bande. Sie verstecken sich im Kofferraum von deren Fluchtauto und können nur hoffen, diesen jemals wieder lebend zu verlassen.
Band 9: Der grausige JahrmarktDie Fahrt mit den Gangstern geht immer tiefer ins sogenannte "Hinterland", eine Gegend fernab aller großen Straßen. Die Kinder belauschen Olaf und erfahren, dass sein Ziel Madame Lulus "Caligari-Jahrmarkt" ist. Von Lulu erhofft Olaf sich Informationen über die Snicket-Akte, das, wie er glaubt, letzte Beweisstück, das ihn ins Gefängnis bringen könnte, sowie über den Aufenthaltsort der Baudelaires. Bisher haben Lulu und ihre Kristallkugel anscheinend immer herausgefunden, wohin es die drei Weisen gerade verschlug. Am Jahrmarkt angekommen, haben Violet, Klaus und Sunny zuerst einmal Glück: Sie können unbemerkt aus dem Wagen entkommen. Doch was sollen sie als nächstes tun? Zu Fuß werden sie kaum von hier fortkommen, und was wäre, wenn die Wahrsagerin Näheres über "F.F." wüsste? Die Baudelaires beschließen, sich zu verkleiden und auf dem Jahrmarkt zu arbeiten, während sie Olaf und Lulu bespitzeln. Leider ahnen sie nichts davon, dass Olaf seiner Komplizin eine Gruppe Löwen als neue Attraktion versprochen hat und diese als Teil eines Werbespektakels mit Menschenfleisch füttern will ...
Der 9. Band der Reihe ist ebenso spannend wie sein Vorgänger. Thematisch geht es zum x-ten Male um den unschätzbaren Wert von Büchern und vor allem um die Frage, was Menschen komisch finden. Handlers Antwort ist hier eindeutig: "Gewalt und unmanierliches Essen." Als Olaf ankündigt, ein Mitglied des "Monstrositätenkabinetts" in die Löwengrube stoßen zu wollen, findet sich ein zahlreiches, sensationsgeiles Publikum ein, das den OP-Zuschauern in Band 8 in nichts nachsteht. Lustigerweise haben diese Gaffer große Probleme dabei, die angeblichen Missgeburten von Olafs Spießgesellen zu unterscheiden.
Ein Blick auf das Titelbild zeigt, dass es auch dieses Mal wieder eng für unsere Helden wird - und bleibt. Erneut steht am Ende der Cliffhanger. Natürlich entgehen die Kinder der Löwengrube, doch in Kapitel 13 scheint für Violet und Klaus das letzte Stündlein zu schlagen. Olaf hat sie ausgetrickst und in eine Falle gelockt. Können sie diesem Mordanschlag wirklich entgehen? - Tja, sehen wir es realistisch. Wir haben noch vier Bände vor uns, und als nächstes folgen Der finstere Fels sowie Die grimmige Grotte. Mehr dazu demnächst an dieser Stelle...