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Titel: Karneval der Alligatoren Eine Besprechung / Rezension von Cornelius Ibs-von-Seht |
Durch abnorme Aktivitäten der Sonne verliert die Erde die Ionosphäre und damit den Schutz vor extremer Strahlung. Infolge dessen heizt sich das Klima enorm auf, am Äquator herrschen Temperaturen bis zu 80 Grad und die gemäßigten Breiten werden von brodelnden Dschungeln überwuchert bzw. vom ansteigenden Meeresspiegel überschwemmt. Die auf wenige Millionen geschrumpfte Weltbevölkerung hat sich in die polaren Regionen zurückgezogen, wo noch erträgliche Bedingungen herrschen. Eine wissenschaftlich-militärische Expedition, die die neuen Küstenlinien kartographieren und die Veränderungen der Biologie erforschen soll, kommt zu dem Schluß, "daß Fauna und Flora dieses Planeten auf Grund der Erhöhung von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Strahlungsstärke wieder die Formen annehmen, die sie hatten, als zum letzten Mal solche Zustände herrschten - ganz grob gesprochen, die Verhältnisse des Trias." Aber nicht nur die äußeren Landschaften ändern sich, auch die Gedanken der Menschen, die in diese hitzeglühenden Regionen vorstoßen, werden beeinflußt. Archaische Erinnerungen steigen in ihre Träume auf, déjà -vu-Erlebnisse suchen sie heim beim Anblick der überbordenen Vegetation. Und wen das "Sonnenfieber" packt, zieht es unwiderstehlich weiter in den glühenden Süden, der Sonne entgegen...
Karneval der Alligatoren ist kein Weltuntergangsdrama oder Dinosaurier-Klamotte. Ballard malt in verschwenderischen Farben und eindringlichen Bildern seine Vision unserer Welt nach dem Klima-GAU. Sein Bericht von den halbversunkenen und überwucherten Städten an den urtümlichen Lagunen, den ins Gigantische wachsenden Dschungeln und der mutierenden, sich in urzeitliche Gestalten reversierenden Fauna schlägt den Leser in seinen Bann. Und auch seine Figuren agieren kaum noch nach ihrem eigenen Willen, sind oft nicht Herren ihrer Sinne, verlieren sich im Strudel der über sie hereinbrechenden Ereignisse. Dieser Roman von 1972 ist die passende Lektüre für die nächste hochsommerliche Hitzewelle, für eine schwül-heiße Nacht, in der an Schlaf nicht zu denken ist.