Serie/Zyklus: Neanderthal Parallax (Band 1) Eine Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Robert J. Sawyer wurde 1960 in Ottawa geboren und lebt weiterhin in Kanada, in der Nähe von Toronto. Er dürfte wohl der bekannteste kanadische SF-Autor sein und seine Werke werden vor allem auch in den USA gelesen. Sowohl auf dem britischen wie auch auf dem deutschsprachigen SF-Markt konnte er sich bisher nicht durchsetzen. Zwar erschien hierzulande ein Roman von ihm in der längst eingestellten SF-Reihe des Goldmann-Verlags unter dem Titel "Die dritte Simulation", brachte aber nicht den erhofften Durchbruch.
Nun liegt der erste Titel seiner Neanderthal-Parallaxe-Trilogie bei der Festa & Nagula OHG vor, deren Programm sich wirklich sehen lassen und jedem SF-Leser ans Herz gelegt werden kann. So sind die beiden nachfolgenden Romane ebenfalls für die Reihe Festa SF vorgesehen und Sawyer soll als eine der Stützen des Programms aufgebaut werden.
Mit "Hominids", für den Robert J. Sawyer den Hugo Award 2003 erhielt, wird Sawyer sicherlich im deutschsprachigen Raum auf sich aufmerksam machen können, denn er bietet seinen Lesern einen intelligent in Szene gesetzten SF-Roman.
Dabei ist die eigentliche Romanhandlung recht simpel strukturiert. In einer wissenschaftlichen Einrichtung, die aufgrund der guten Abschirmung vor kosmischer Strahlung tief unten in einem Bergwerk eingerichtet wurde, taucht eines Tages plötzlich ein Mann auf. Dank der schnellen Reaktion zweier Wissenschaftler wird er gerettet und in das nahe gelegene Krankenhaus gebracht. Dort verfestigen sich die Vermutungen, dass es sich bei dem Mann um eine wissenschaftliche Unmöglichkeit handelt, denn dieser weist alle Merkmale eines Neanderthalers auf, einer Spezies also, die vor mehreren Jahrtausenden ausgestorben ist. Während die beteiligten Wissenschaftler und Ärzte versuchen Ponter Boddit vor allzu neugierigen Medienleuten zu schützen, schwenkt Sawyer auf die zweite Handlungsebene, die Welt aus der Ponter Boddit stammt, um. Hier sieht sich sein Lebensgefährte und wissenschaftlicher Partner Adikor Huld mit einer Mordanklage konfrontiert. In einer Gesellschaft, in der jeder Schritt von einem Minicomputer aufgenommen und auch gespeichert wird, ist das plötzliche Verschwinden eines Menschen schlichtweg nicht möglich. Es sei denn, der Minicomputer hat keinen Zugang zum Hauptspeicher und die Datenübertragung ist damit unterbrochen. So geschehen bei Ponter und Adikor, denn beide befanden sich in ihrer Welt auch tief unter der Erde, um hier mit einen Quantencomputer zu experimentieren. Durch dieses Experiment öffnete sich eine Tür in eine Parallelwelt, in der Ponter sich nun wiederfindet.
Die Romanhandlung an sich ist nicht besonders verschachtelt, sondern sehr geradlinig erzählt. Manches wirkt, wie die Vergewaltigung, die die Genetikerin Mary Vaughan durchlebt, ein wenig überflüssig und hätte weggelassen werden können. Auch das sehr gefühlsduselige Ende des Romans wäre so nicht notwendig gewesen.
Sieht man einmal von diesen Schwachpunkten ab, dann sind es vor allem die Grundidee und die Ausarbeitung der gesellschaftlichen Strukturen der Neanderthaler, die den Roman aus der Masse der SF-Werke herausheben. Robert S. Sawyer entwirft mit wissenschaftlicher Präzision, die teilweise den Lesefluss ein wenig stört, eine Parallelwelt, in der die Neanderthaler die herrschende Rasse und die Menschen ausgestorben sind. Diese Welt unterscheidet sich fundamental von unserer, basiert aber auf wissenschaftlich fundierten Annahmen über die Gesellschaftsstruktur der Neanderthaler. Ponter sieht sich einer menschlichen Gesellschaft gegenüber, die selbst zerstörend die Ressourcen ihrer Welt vernichtet und nicht in der Lage ist, diesem entscheidend entgegenzuwirken. Selbstverständlichkeiten oder Dinge, über die niemand von uns nachdenkt, werden von Sawyer aufgeworfen.
Hinzu kommen gut gezeichnete Charaktere, allen voran Adikor Huld, der sich einem völlig unberechtigtem Vorwurf gegenüber sieht und seine Unschuld mit List beweisen muss. Diese Figur wird noch am intensivsten dargestellt, bei anderen bleibt manches noch an der Oberfläche.
Insgesamt gesehen stellt der vorliegende Roman kein überragendes Werk der SF-Literatur dar, ragt aber aufgrund seiner Grundidee aus der Masse der momentan erscheinenden SF-Werke heraus. Eine abschließende Bewertung ist erst nach dem Vorliegen der beiden anderen Teile möglich, denn es bleibt abzuwarten, inwieweit es Sawyer gelingt die hier gelegten Grundlagen in ein spannend und erfrischend neues Konzept einzubauen. Für sich alleine gesehen, stellt "Die Neanderthal Parallaxe" dennoch eine Leseempfehlung dar.