Serie/Zyklus: ~ Buchvorstellung von Ulrich Blode |
Das Cusanus-Spiel ist der lang erwartete Roman Wolfgang Jeschkes. Die in seinen Romanen Der letzte Tag der Schöpfung und MIDAS angerissenen Themen der Zeitreise, Auswirkungen neuester Technologien und den Widerstreit des Menschen mit seinen eigenen Erfindungen kulminieren zu einem Opus Magnum.
Wolfgang Jeschke beschreibt in seinem Roman die nahe Zukunft. Es ist die Mitte des 21. Jahrhunderts: klimatische und gesellschaftliche Umbrüche verändern Europa in bislang unbekanntem Maße. Zudem hat in Deutschland eine atomare Katastrophe stattgefunden, die weite Landstriche auf Generationen hinaus verseuchte. Flüchtlinge aus Afrika streben in das vermeintlich sichere Europa und in Italien kommt der Faschismus empor. Man versucht zu retten was zu retten ist. Restaurierungsprojekte mit Hilfe moderner Technologien werden vorangetrieben, wie die Rettung des versinkenden Venedigs durch Nanotechnologien.
Im Mittelpunkt des Cusanus-Spiel steht die Biologin Domenica Ligrina, die in Rom gerade das Studium beendet. Da kommt es passend, dass ihr eine Stelle an einem vatikanischen Institut, das naturwissenschaftliche Forschungen betreibt, angeboten wird. Nach langen Eignungsprüfungen, wird ihr mitgeteilt, dass es um Zeitreisen geht. Die Wissenschaftler sind aber nur Trittbrettfahrer und nutzen die Auswirkungen einer Technologie, die weit entfernt aus der Zukunft stammt. Sie seien nur wie Hunde, die U-Bahn fahren, ohne den Fahrplan bestimmen zu können.
Aus dem Deutschland des 15. Jahrhunderts soll Domenica Pflanzen und Samen sammeln, die für die Renaturierung der verstrahlten Gebiete benötigt werden. Durch unbedachte Äußerungen und dass sie die Pflanzensamen nach einem noch unbekannten Lehrsystem kennzeichnet, kommt der Verdacht der Hexerei auf und Domenica wird verhaftet. Aus dem Kerker in Köln schreibt sie Briefe an Kardinal Nicolaus Cusanus, in der Hoffnung auf Rettung.
Eine letzte und reine Science-Fiction-Ebene ergänzt die Handlung: Von jenseits der Raum-Zeit treten Wesen in Erscheinung, die unbekannte Eingriffe in die Zeit ausüben können. Dabei haben die Menschen gelernt, dass es unmöglich ist größere Zeitmanipulationen herbeizuführen.
Zeitreisen, Katastrophen und höhere Wesen sind allseits bekannte Science-Fiction-Elemente. Und Jeschke erdenkt aus diesen ein komplexes Szenario, das auf festen Grundpfeilern beruht. Zum einen wären da die Protagonisten, die sehr nah geschildert werden. Selbst Nebenpersonen, z. B. die Astronautin einer gescheiterten Marsmission, spielen für Domenica eine wichtige Rolle. Beeindruckend sind die Passagen um den Geistlichen und Wissenschaftler Nikolaus von Kues (Nicolaus Cusanus). Jeschke beschreibt ihn als einen sehr vielseitig interessierten Menschen und erhellt damit das Mittelalter, das im Vergleich zur Gegenwart recht trist erscheint. Auch die von Jeschke entworfenen Technologien bzw. deren Fortschreibung bieten beim Einsatz Faszinierendes, jedoch geht er mit deren Beschreibungen sowie mit den Wesen jenseits der Raum-Zeit sparsam um. Es geht um die Antwort, ob die Menschen nicht nur ihren Platz im Universum sondern auch zu sich selber finden.
Das Cusanus-Spiel ist ein Plädoyer für Humanismus und für Respekt vor der Schöpfung. Und der Roman hat etwas von einem Wissenschaftsthriller.
Eine Auszug aus Das Cusanus-Spiel ist als Die Cusanische Acceleratio in der Anthologie Alexanders langes Leben, Stalins früher Tod (1999) von Erik Simon.
Wolfgang Jeschke (geboren 1936) wurde mehrfach mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet. Er hat über einhundert Anthologien herausgegeben, verfasste einige Romane, Kurzgeschichten und Hörspiele.