|
Titel: Carmilla, die Vampirin Eine Besprechung / Rezension von Max Pechmann |
Die Neuauflage der Vampirnovelle „Carmilla“ im Diogenes Verlag war längst überfällig. Leider handelt es sich, zwecks Geldsparen, nicht um eine Neuübersetzung, aber immerhin darf man sich glücklich schätzen, dass es diesen Klassiker der Schauerliteratur endlich wieder auf dem Markt gibt.
Le Fanus Werk über die lesbische Vampirfrau Carmilla beeinflusste seit seinem Erscheinen 1872 beinahe sämtliche folgenden Kurzgeschichten und Romane, in denen es um Vampirismus geht. So u.a. auch Bram Stoker, der zunächst die Handlung von „Dracula“ wie bei „Carmilla“ in die Steiermark verlegen wollte.
Sheridan Le Fanus Erzählung handelt von der 19jährigen Laura, die mit ihrem Vater in einem Schloss in der Steiermark lebt. Eines Abends kommt es vor dem Schloss zu einem Unfall mit einer Kutsche. Eine der beiden Fahrgäste, die hübsche Carmilla, verliert dabei ihr Bewusstsein. Lauras Vater beschließt kurzerhand, Carmilla bei sich aufzunehmen, bis diese wieder gesund ist. Doch ab diesem Moment geschehen sonderbare Dinge. Um das Schloss herum sterben junge Frauen und Mädchen an einer sonderbaren Krankheit. Währenddessen schwankt Laura zwischen Abneigung und Hingabe gegenüber den sinnlichen Annäherungsversuchen von Carmilla, bis auch sie unter den ersten Symptomen der rätselhaften Seuche leidet. Lauras Vater sucht inzwischen nach den Ursachen für ihre Krankheit und kommt dabei der unheimlichen Vergangenheit Carmillas auf die Spur.
Wie auch in seinen übrigen Romanen und Geschichten (wie etwa „Schachmatt“, „Onkel Silas“ oder „Wylders Hand“) kreiert Le Fanu von Anfang an eine großartige Spannung, die bis zum Finale anhält. Stets kommt es zu neuen Zwischenfällen, die dank Le Fanus rasanten Erzählweise eine unerhörte Dichte schaffen. Zwischendurch gelingen ihm wunderbar schauerliche Beschreibungen, so wie derjenigen der seltsamen, alten Frau, die ebenfalls in der verunglückten Kutsche sitzt und bei der es sich um Carmillas geheimnisvolle Mutter handelt. Auch Lauras Kindheitstrauma, das durch einen unheimlichen, nächtlichen Besuch ausgelöst wurde, ist effektreich beschrieben. Hinzu kommen Le Fanus typische erotischen Anspielungen, die heutzutage sicherlich lau wirken, doch dazumal die Moralvorstellungen der Leser provozierten. Besonders die unterschwellige Erotik hatte es den Hammer-Studios so sehr angetan, dass sie „Carmilla“ in den 60ern und 70ern gleich mehrmals verfilmten. Die letzte Adaption mit dem Titel „Nur Vampire küssen blutig“ (Regie Jimmy Sangster!) orientiert sich dabei sogar etwas genauer an der Vorlage.
Sherdian Le Fanu wird immer wieder gerne mit heutigen Thriller-Autoren verglichen. Auf jeden Fall nahm er die Elemente dieses Genres vorweg, was dazu führt, dass viele seiner Erzählungen geradezu modern anmuten und daher genauso gut in unserer Gegenwart spielen könnten. Trotz seines hohen Unterhaltsungswertes gilt er in Deutschland noch immer als Geheimtipp, im Gegensatz zum englischsprachigen Raum, wo Le Fanu zu den wichtigsten Vertretern der Schauerliteratur zählt. Wer daher noch nichts von ihm gelesen hat, hat nun die Möglichkeit, sich von der Spannung seiner Geschichte anstecken zu lassen.