Serie / Zyklus: Shadowrun Besprechung / Rezension von Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Auf eine Zusammenfassung dieses Romans, die über das Allernotwendigste hinausgeht, möchte ich in dieser Rezension verzichten, da ich es mir nie verzeihen könnte, dem geneigten Leser auch nur das geringste Stückchen Spannung und die Freude an den überraschenden Wendungen zu nehmen. Daher folgt nach einer kurzen Vorstellung der Hauptpersonen dieses Dramas um Verrat und Rache lediglich eine Inhaltsangabe en minature.
Jaywalker: Mensch; Straßensamurai. Jaywalkers Cyber-Modifikationen sind so extrem, dass er mehr Maschine als Mensch ist. Seine Seele ist kaum noch mit seinem Körper verbunden. In Extremsituationen zeigt dieser deshalb die Tendenz, autonom und unabhängig von Jaywalkers Willen zu agieren und reagieren.
Phoenix: Elfe; Deckerin. Phoenix ist querschnittsgelähmt und spielt mit dem Gedanken, den toten Ballast ihrer Beine operativ entfernen zu lassen. Aus naheliegenden Gründen hängt sie am liebsten in der Matrix 'rum.
Steel: Ork; Rigger. Steel hat - wie die meisten Rigger - ein Vorliebe für das Basteln und Schrauben. Er spricht nicht gerne über seine Vergangenheit.
Conquistador: Mensch; Metazoologe; Taschenspieler und Trickser. Conquistdor ist kultiviert und weltgewandt. Er beherrscht die Kunst der Verkleidung und Tarnung ebenso wie allerlei kleinere Kartenkunststückchen. Sein engster Freund ist das erwachte Mungo Julius, das trotz seiner geringen Größe eine tödliche Kampfmaschine ist.
Kike: Mensch; Katzenschamanin. Kike repräsentiert die Aspekte ihres Totems nahezu perfekt: sie ist eitel und verspielt, mit einem Hang zur Grausamkeit und relativ starken magisch-schamanistischen Fähigkeiten.
Christo: Troll; Strassensamurai. Christo ist von schlichtem Gemüt und weniger vercybert als Jaywalker; wegen seiner Rassenmerkmale - Größe und Gewicht - ist er jedoch im Kampf fast ebenso tödlich.
Five: Mensch; Killer. Five ist die Person für das Wetwork. Er ist ein Mann mit psychopathischen Zügen. Seine bevorzugte Farbe ist Schneeweiss, da jegliche Form von Schmutz in ihm äußersten Ekel hervorruft
Zur Story: durch einen Zufall rettet Jaywalker einen kleinen Jungen, den sechsjährigen Mickey, vor einem Wahnsinnigen. Es stellt sich heraus, dass der Kleine ungeheure, destruktive psychische Kräfte besitzt, deren Anwendung ihn allerdings dem Tod jedesmal ein Stückchen näher bringt. Das Team der Runner versucht, ihm aus Altruismus zu helfen, da sich ein wirklichen Profit aus der Sache nicht abzeichnet. Einer der sieben ist jedoch ein Verräter, der diejenigen seiner "Chummer" tötet - oder es zumindest versucht -, die seine ganz speziellen Pläne, die er für den Kleinen hat, gefährden könnten. Die Jagd beginnt als der Verrat auffliegt....
...und nun zu etwas ganz anderem, nämlich der Beurteilung: Maike Hallman ist ein Shadowrun-Meisterwerk gelungen. Vergessen sind (hoffentlich) die Charrettes, Findleys, Odoms und Smedmans dieser Welt und der des Jahres 2050.
Die Autorin legt sehr viel Wert auf die Authentizität ihrer Figuren. Sämtliche Protagonisten sind liebevoll und geradezu akribisch ausgearbeitet, und zeigen in ihren Handlungen und Reflexionen eine Tiefe, die man bei den Helden der angloamerikanischen Vielschreiberlinge (s. o.) oft schmerzlich vermisst. Dabei vermeidet Hallmann selbst bei den Gegenspielern der Runner stets Schwarz-Weiß-Schemata, sodass eine eben noch sympathische Figur im nächsten Augenblick als das größte A....loch der Welt erscheint, um anschließend wieder das Mitgefühl des Lesers zu erringen - oder auch nicht.
Die generelle Atmosphäre des Romans wird durch seinen Titel mehr als treffend charakterisiert: alptraumhaft, düster und klaustrophobisch: wenige Handlungsorte und räumliche Enge kennzeichnen die Situation des Teams. Über allem schwebt seit der ersten Begegnung mit Mickey die Ahnung einer tödlichen Bedrohung durch die geheimnisvollen Kräfte des Kindes. Das Entsetzen über den Verrat, das Fiebern nach Rache und die Frustrationen bei der Jagd des Täters: all das durchlebt der Leser aufgrund der geringen Distanz zu den "Helden" unmittelbar. Das fehlende Happyend ist der folgerichtige und angemessene Abschluss dieser Tragödie.
Der Schreibstil von Maike Hallmann ist flüssig und weiß zu gefallen. Selbstbewusst verzichtet sie weitgehend darauf, in den -bei vielen Autoren beliebten - Gossenslang zu verfallen, um ihren Charakteren eine fragwürdige Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die von ihr verwendete Metaphorik erschließt sich dem Leser rasch und trägt zur düsteren Atmosphäre der Romans einen großen Teil bei. Was ich ihr zudem besonders hoch anrechne: kein sogenannter "Shadowtalk" (<< ... blablabla ... >>), welchen die Hardcorefans so schätzen, strapaziert die Nerven des Lesers.
Ein wirklich winziger Minuspunkt zu guter Letzt: ich habe nicht verstanden, weshalb als Handlungsort unbedingt Seattle gewählt werden musste. Zugegeben ist diese Location bei Shadowrunfans en vogue. Mehrere winzige Details der Geschichte weisen jedoch darauf hin, dass sowohl die Autorin als auch ihre Figuren eindeutig europäisch - man könnte auch schreiben "deutsch"- sozialisiert sind; z.B. als ein wirklich übles Gangmitglied über sein verkorkstes Leben und eine im letzten Lehrjahr abgebrochene Ausbildung zum Automechaniker sinniert: deutscher geht's nimmer. Ein klein wenig mehr "Lokalpatriotismus" wäre hier durchaus wünschenswert gewesen, zumal sich keine zwingenden Gründe für Seattle als "0815"-Ort aus der Story ergeben.
Der Preis des Buches ist mit 9 Silberlingen zwar recht hoch, angesichts der Qualität jedoch mehr als angemessen. Was mich hier - wie auch bei den übrigen Titeln der Phoenix-Reihe - stört, ist das fehlende Glossar. Shadowrun-Einsteigern kann die fehlende Kenntnis solcher Begriffe wie Decker, Rigger, Matrix und Chummer durchaus die Lesefreude trüben.
Obwohl dieses der mit Abstand beste Shadowrunroman ist, den ich bisher gelesen habe - und das sind alle in Deutsch veröffentlichen - kann ich mich nicht entschließen, das Statement "unbedingt empfehlenswert" abzugeben, auch wenn es dieses Buch absolut verdient hätte. Es fehlt so ziemlich alles, was ein großer Teil der Shadowrun-Spieler und -Leser als Leben und Lebensinhalt begreift: es gibt keine Matrixtrips, keine wunderschön und fantasievoll designten MPCP's, CPU's, I/OP's, SPU's; SAN's usw., keine unbesiegbaren Kampfutilities, weder weißes noch graues noch schwarzes IC, nicht der klitzekleinste Drache macht den Protagonisten das Leben schwer, Magie wird mehr zum Heilen als zum Rösten angewandt, Megacons spielen zwar in Seattle eine Rolle, nur nicht in dieser Geschichte und das Schlimmste: die Runner sind überhaupt nicht "cool". ...na gut: dieser Roman ist UNBEDINGT LESENSWERT!!!!
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