Serie / Zyklus: NOVA SF-Magazin, Band 13 |
Markus Gebelin : Radikale
Die Reaktionsfreudigkeit des Luftsauerstoffs verstärkt sich, die Menschheit stirbt aus.
Nette Idee, aber zu wissenschaftslastig, zu wenig dramatisch. Hier wurde ein intelligenter Plot verschenkt, schade.
Uwe Post : Noware
Verwahrlosung, sinnlose Brutalität, dummdreistes Verhalten bei absoluter Nicht-Bildung : Das sind die Prämissen der heutigen Gesellschaft, aus denen Uwe Post eine düstere Zukunftsvision entwickelt. Als alt-kommunistische Terrorzellen zusammen mit Nazis und Islamisten weltweit sämtliche Kommunikationsknoten zerstören, bricht die Zivilisation zusammen.Schon nach kurzer Zeit regiert die Macht des Stärkeren, nackte Brutalität ist allerorten zumLebensstil geworden.
Uwe Post zeigt sehr schön eine realistische Extrapolation der heutigen Gesellschaft auf, Szene, Slang, Verhaltensmuster (insbesondere die aggressiv-dummen Aktionen) der Jugendlichen in der vor-apokalyptischen Zeit sind dem Heute entnommen - ebenso wie das gedankenlose Desinteresse der Erwachsenen. Und beide Verhaltensmuster werden konsequent in die Zukunft extrapoliert. In der Gestalt des Protagonisten - feige, intellektuell, vom Ausnahmezustand völlig überfordert - gelingt dem Autor ein weiteres Paradestück : Anhand dieses Nicht-Helden, dieses Otto Normalverbrauchers, hält er uns allen,die wir lieber wegschauen statt Frieden und Gerechtigkeit zu verteidigen, einen Spiegel vor. Und dies in aller Deutlichkeit : Die Story hat bei mir an mehreren Stellen Brechreize ausgelöst. Dies gelingt dem Autor durch die reine Faktendarstellung, die Schilderung der unhaltbaren Zustände,tatsächlich ekelhafte Szenen kommen nicht vor, hier hält sich Uwe Post angenehm zurück.
Keine Kritik dieser Geschichte ist jedoch vollständig, ohne den Hinweis auf die bemerkenswerte Eingangssequenz. Hier schildert Uwe Post eine Seeschlacht, die direkt "Ben Hur" entnommen sein könnte, es ist faszinierend, wie nahtlos sich diese in die Story integriert. Insgesamt gesehen halte ich die Geschichte für ein Juwel, ein Highlight des Jahres 2008.
Frank Hebben : Imperium Germanicum
In einer Parallelwelt dauert der 1. Weltkrieg bereits 30 Jahre. Ganz Europa ist ausgeblutet und kampfesmüde. Die letzten Kämpfe werden bereits innerhalb der Armeen ausgetragen, denn auch hier wollen die Nazis die Macht übernehmen.
Eine perfekte Hommage an Remarque, das Grauen des Krieges wird genauso eindringlich geschildert wie in "Im Westen nichts Neues". Frank Hebben gelingt es auf wenigen Seiten, den Krieg als Greuel an sich darzustellen, vor hundert Jahren brauchte Remarque dafür noch einen kompletten Roman. Und auch unter Berücksichtigung der Antikriegsliteratur seit '45, auf die Hebben natürlich reflektieren kann, liegt hier eine bemerkenswerte Story vor, die ihresgleichen sucht.
Michael Schneidereit : Der Krieg der Geister
Nach einer Klimakatastrophe hat eine neue Eiszeit begonnen, die Menschheit ist in die Barbarei zurückgefallen. Primitive Jäger- und Sammler-Gemeinschaften werden von ebenso primitiven Stadtbewohnern, die in der sogenannten Festung leben, überfallen. Eines Tages wird bis auf eine Jagdgruppe wird ein ganzes Dorf niedergemetzelt. Diese Jagdgruppe macht sich auf, ihr Dorf zu rächen. Vor der Festung bringen sie sich dann gegenseitig um, damit sie als Geister die uneinnehmbare Festung stürmen und alle Bewohner töten können - das ist ihr Glaube.
Im ersten Moment dachte ich : "Was für eine blöde Geschichte mit einem bescheuertem Ende !". Erst beim genauerem Hinsehen begriff ich, daß ich es hier mit einem flammendem Fanal gegen Aberglauben und Sektierertum zu tun hatte. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Story in einem ganz anderem Licht, müssen einzelne Handlungsabschnitte und Szenen bei einer zweiten Lesung ganz anders bewertet werden. Beim genauerem Hinsehen erkennt man auch, daß während der gesamten Geschichte der Aberglaube, die Religion der Jagdgruppe, das zentrale Thema ist. Auch wenn oftmals dieser Aberglaube scheinbar nur aus Gründen des Lokalkolorits dargestellt wird, wird dem Leser tatsächlich die Gleichung Aberglauben = Primitivität = keine Zivilisation nahegebracht. Der Autor bezieht hier eindeutig Stellung zur aktuellen Kopftuch-Diskussion, ohne den in unserer Gegenwart tobenden Konflikt auch nur ansatzweise zu erwähnen. Eine sehr bemerkenswerte Story, hervorragend umgesetzt, ein Autor, den man sich merken muß !
Nadine Boos : Omajova
Diese Parallelweltstory führt in ein Universum, in dem es nach dem 1. Weltkrieg kein Versailles, keine Reparationen gab. Deutschland hat seine Kolonien in Afrika behalten und ist zur wirtschaftlichen Weltmacht aufgestiegen. In der deutschen Kolonie Deutsch-Südwest kehren Gastarbeiter, die jahrzehntelang in Deutschland gearbeitet haben, aber jetzt dort nicht mehr benötigt werden, zurück in ihre alte Heimat. Doch auch hier sind sie überflüssig, auch hier werden sie ausgegrenzt.
Ein sehr schönes und interessantes Setting. Nadine Boos stellt sehr schön dar, wie viel eine "Kleinigkeit" wie der Versailler Vertrag doch geändert hätte. Und es gelingt ihr hervorragend aufzuzeigen, daß grundlegende Probleme unserer Gegenwart auch bei einer geänderten Realität eben nicht einfach verschwinden. Sehr angenehm ist, daß die Story sich für diese Problemdarstellung Zeit nimmt, dabei aber trotzdem dynamisch und spannend wirkt. Und amüsant ist die Erwähnung von "Konrad Ostwald", einer meiner Lieblingsschauspieler in unserer Realität. Insgesamt aber keine leichte Kost, sondern eine Geschichte, mit der man sich schon gedanklich auseinandersetzen muß. Für mich ist "Omajova" eine herausragende Story auf sehr hohem Niveau.
Ralph Doege : Balkonstaat
Die Menscheit lebt nicht mehr in Wohnungen, sondern auf den Balkons, Privatleben ist ebenso wie Musik und Liebe verboten.
Ralph Doege erzählt die klassische Geschichte eine Liebespaares in einer solchen Umgebung. Und ebenso klassisch wird dieses Vehikel benutzt, um auf die Unmenschlichkeit des Systems hinzuweisen. Bemerkenswert ist hier auch weniger der triviale Plot als die Ausgestaltung desselben. Viele kleine Details, witzige Gimmicks & Gadgets fließen in die Erzählung ein, der Leser wird durch diese Phantastik in den Bann geschlagen. Normalerweise kann ich mit so einem Tüddelkram nix anfangen, aber diese Story hat mir sehr gut gefallen.
Holger Eckhardt : Düsterkamps Didaktik
Im Deutschland des Jahres 45 taucht ein Haus aus der Zukunft auf. Dies ist nichts Neues, zeitliche und räumliche Versetzungen gibt es seit dem 1. Weltkrieg. Als es vom SS-Spezialisten Düsterkamp durchsucht wird, erfährt er seine eigene Zukunft.
Gut geschrieben, ich habe es mit Genuß gelesen. Allerdings ist die Story doch ziemlich trivial mit einem sehr hinkonstruiertem moralischem Schluß, was das Lesevergnügen deutlich relativiert.
Jakob Schmidt : Alle Zeit der Welt
Ein Krebspatient lässt sich kryogenisch einfrieren. Als er nach Jahrhunderten (?) aufwacht ist die Welt von Zombies bevölkert, die eine Gruppenintelligenz bilden.
Man erkennt natürlich sofort die Welt aus "I am Legend", dies ist sehr gut umgesetzt, inklusive Brutalität und Barbarentum. Von daher ist die Story auch als Kritik an der aktuellen Hollywood-Version zu verstehen. Andererseits gelingt es dem Autor, die relativ einfache Story durch die Einführung des Zombie-Gruppenbewusstseins deutlich über das Trivialniveau zu heben. Am Gegensatz zwischen diesem Gruppenbewusstsein und dem erwachten Krebspatienten wird dargestellt, was alles den Menschen ausmacht, von Humanität bis zur Opferbereitschaft. Deutlich wird gezeigt, daß ein Bewusstsein alleine noch lange keine Intelligenz ausmacht. Von dieser Warte aus ist "Alle Zeit der Welt" auch ein Plädoyer für mehr menschliche Wärme im täglichen Umgang miteinander, weil erst dies echte Intelligenz konstituiert. Mir hat die Story ausnehmend gut gefallen, ich halte sie für eines der Glanzlichter dieser Ausgabe.
Thomas Wawerka : Die Göttin des Überflusses
Das übliche Szenario : Eine Stadt, sauber und sicher, umgeben von einer Stadtmauer, jenseits der Stadtmauer Chaos, Barbarei und Tod. Hat ein Stadtbewohner nicht genug Geld, um sich zu finanzieren, muß er entweder raus oder sich umbringen.
Kein besonders innovatives Setting, kein wirklich neuer Plot. Zwar nett geschrieben, aber das Thema ist bereits in "Zardoz" (1974) besser ausgeführt.
Hartmut Kasper : Wenn man stürzt
In einer zukünftigen Welt werden die Menschen von Maschinen betreut - bis zur Unmündigkeit.
In zarten, poetischen und gleichzeitig brutalen, unmenschlichen Bildern zeigt Hartmut Kasper die zwangsläufigen (?) Folgen der momentanen Sicherheitsmanie. Niemand ist mehr für seine Handlungen verantwortlich, jede Tat, jede Aktion wird durch Sicherheitsmechanismen abgefedert, relativiert. Dies geht bis zur selektiven Gedächtnislöschung von Täter und / oder Opfer. Bemerkenswert dabei, daß der Autor auf jede Technik-Beschreibung verzichtet und sich voll auf das Gefühlsleben der (Letzten ?) Menschen konzentriert.
Für mich war die Geschichte insofern irritierend, als ich Stories dieses Typs eigentlich grundsätzlich ablehne. "Wenn man stürzt" hat mir aber im Gegensatz dazu gut gefallen, ich war zu keinem Zeitpunkt gelangweilt, fand den Plot insgesamt gesehen sogar recht spannend. Empfehlens- und lesenswert !
Christian Günther : Dreistern blau
Eine Katastrophe hat Deutschland unbewohnbar gemacht. An der Ostsee hält ein Trupp Soldaten Grenzwache. Als Flüchtlinge eintreffen werden sie zunächst festgehalten, dann sollen sie auf Befehl des Oberkommandos erschossen werden. Während die meisten Soldaten diesem Befehl willig und/oder gedankenlos nachkommen wollen, hat einer Gewissensbisse und sieht am Ende keine Alternative als seine Kameraden umzubringen. Nach der Freilassung der Flüchtlinge flüchtet er selber. Nach kurzer Zeit trifft er auf den Grund für die Flucht der Menschen : Eine Horde Androiden, die programmiert wurden, ebenso zu handeln wie er und seine Kameraden, die ohne Gewissensbisse auch noch die letzten Menschen umbringen.
Ich fand die Story zwar nett, aber zu moralisierend und zu platt. Allerdings finde ich das deutliche Statement, das Christian Günther hier über die persönliche Verantwortung des Einzelnen abgibt, bemerkenswert. Er stellt deutlich klar, daß jeder, der mit den Wölfen heult, auch für alle Taten der Wölfe verantwortlich ist und mit den daraus resultierenden Konsequenzen leben muß. Auch späteres positives Handeln macht frühere Untaten nicht ungeschehen. Und aus dieser Perspektive heraus hat mir die Geschichte gut gefallen, diese Intention ist sehr gut umgesetzt.
James P. Hogan : Murphy's War
Klassisches Szenario : Hacker infiltrieren die War Rooms zweier Großmächte, legen sie lahm, verhindern den III. Weltkrieg und lassen die Politiker mit der Abrüstung beginnen.
Die Story an sich ist schon ein echtes Juwel : Spannend und flüssig geschrieben, so daß trotz voraussehbarer Wendungen keine Langeweile aufkommt.
Bemerkenswerter empfinde ich den Unterschied zwischen dieser US-amerikanischen Sicht und den deutschen Stories aus NOVA 13. Hogan entwickelt hier trotz aller Macken ein im Grunde positives Menschenbild, eine optimistische Grundsicht. In jedem Satz merkt man, daß er unerschütterlich an das Gute im Menschen glaubt und daran, daß es sich schlußendlich durchsetzt. Dies steht im krassem Gegensatz zu den Geschichten aus Deutschland, bei denen doch eine pessimistische Grundhaltung überwiegt, man weiss, wozu der Mensch fähig ist und fürchtet, er werde dies in negativster Weise ausleben. Ich habe so ein bißchen den Eindruck gewonnen, daß es in Deutschland an positiven Utopien mangelt. Daher wünsche ich mir als Nachfolger dieser dystopischen Nummer 13 eine NOVA-Ausgabe utopischen Charakters.
Holger Eckhardt : Helden ohne Abenteuer
Schöne Darstellung der Mark Brandis - Romane, für meinen Geschmack etwas zu unkritisch. In jedem Fall aber lesenswert.
Ulrich Blode : Paul Gurk (1885 - 1953)
Ausführliche Biographie eines Vorkriegsphantasten, alleine schon wegen der ausführlichen Buchbesprechungen lesenswert.
Fazit : Wie eigentlich jede NOVA-Ausgabe ist auch diese wieder ein unbedingtes Muß. Alle Stories inhaltlich als auch stilistisch auf extrem hohem Niveau, wenn mir auch nicht alle gleich gefielen. Gerade anspruchsvollere Leser kommen hier auf ihre Kosten, eine Tatsache, die man bei der aktuellen Ausgabepolitik der größeren Verlage garnicht genug betonen kann. Ich kann nur jedem SF-Fan empfehlen, sich diese Ausgabe ebenso wie die Vorgänger zu sichern, in 10, 20 Jahren werden die NOVA-Ausgaben gesuchte Sammelobjekte sein, die auch dann noch mit Genuß gelesen werden.