Reihe: Mass Effect, Band 3 Eine Rezension von Mario Pfanzagl |
Auch nachdem Commander Shepard dem Citadel-Rat mit der Rettung einiger hundert menschlicher Kolonisten bewiesen hat, dass die Reaper nicht nur immer noch da draußen sind, sondern über die Kollektoren sehr aktiv auf die Menschheit Jagd machen, wird sehr wenig gegen die heraufdämmernde Apokalypse unternommen. Also sieht es der Unbekannte wieder einmal als eine Aufgabe Cerberus' an, zu tun, wozu keiner willens oder fähig ist, nämlich Mittel und Wege zu finden, die Reaper-Gedankenkontrolle zu brechen. Doch dazu müsste man erst einmal an Testsubjekten erforschen, wie sich diese überhaupt auf einen Organismus auswirkt, am besten einen menschlichen, denn das Wohl anderer Rassen ist ja bekanntlich keine Priorität für Cerberus.
Drei Jahre nachdem Cerberus' Versuch, die Migrantenflotte zu infiltrieren und für einen bevorstehenden Krieg gegen die Reaper zu nutzen, fehlgeschlagen ist (wobei sogar das biotische Wunderkind Gillian verloren ging), hat der Unbekannte die Fühler nach seinem einstigen Agenten Paul Grayson ausgestreckt, der hauptverantwortlich für diese Katastrophe war. Während Grayson auf Omega als Söldner im Dienste Arias steht, hat sich seine damalige Komplizin Kahlee Sanders wieder als Projektleiterin in der Grissom-Akademie eingerichtet und betreut dort erneut biotisch begabte Kinder. Trotz ihres losen Kontaktes ahnen beide nicht, dass das Schicksal sie schon bald wieder zwischen die Fronten im schmutzigen Krieg des Unbekannten gegen den Rest der Galaxis machen wird. Denn Grayson soll zum ersten Versuchsobjekt für die Infektion mit Reaper-Nanniten werden.
Doch bei Graysons Entführung kommt auch dessen Asari-Geliebte ums Leben und das ruft seine Auftraggeberin Aria auf den Plan, die zwar sehr leicht mit dem Verschwinden des Söldners und einer Ladung roten Sands klarkommen würde, aber nicht dem Mord an ihrer Tochter. Während Cerberus sich also daran macht, Grayson in einen Avatar für den Willen der Reaper zu verwandeln und damit sein Todesurteil zu unterzeichnen, bleibt natürlich auch Aria nicht tatenlos. Um die Lage noch zu komplizieren, ist es Grayson kurz vor seinem Verschwinden gelungen, eine Menge an Insider-Informationen über Cerberus an Kahlee Sanders weiterzuleiten, die sich damit sofort an niemand Geringeren als Admiral David Anderson wendet, um einen Schlag gegen den Unbekannten auszuführen, von dem sich Cerberus womöglich nie wieder erholen wird ...
In Vergeltung führt Drew Karpyshyn alle Handlungsfäden zusammen, die er in Die Offenbarung und Der Aufstieg sowie den beiden Spielen entworfen hat. Neben Karpyshyns exklusiver Romanprotagonistin Kahlee Sanders sind mit David Anderson und Paul Grayson jedoch auch die beiden mehr oder weniger freiwilligen Helden der vorigen beiden Mass-Effect-Romane mit von der Partie, wenn es darum geht, Cerberus selbst zu Leibe zu rücken - wobei womöglich die Reaper auf die Galaxis losgelassen werden, während eine rachlüstige Aria sich in einem Doppelspiel des Unbekannten verfängt. Das ist in knappen Worten genau das, worum es in Vergeltung geht. Und zwar sehr spannungs- und wendungsreich, denn im Verlauf der Handlung bleibt kaum ein Stein auf dem anderen.
Mitunter ein Grund dafür, warum Vergeltung wohl der beste der bisher drei Mass-Effect-Romane geworden ist, ist der Unbekannte (in Der Aufstieg noch "der Erleuchtete" genannt, im Original "the Illusive Man"), der nun eine echte Hauptrolle eingenommen hat. Mit seinem Vollstrecker Kai Leng nimmt der Unbekannte direkten Einfluss auf die Jagd nach Paul Grayson und gerät dabei einmal sogar selbst in Lebensgefahr. Gerade in den Details, die dank dem Unbekannten über Cerberus' wahre Stärke und seine eigene Herkunft offenbart werden, steckt die ganz besondere Würze des dritten Mass-Effect-Romans. Wer daran schon Gefallen gefunden hat, der darf sich 2011 mit dem Mass-Effect-Comic Revolution gleich noch auf ein ganz dem Unbekannten gewidmetes Comicspecial freuen, das sich einzig und allein mit dessen Werdegang beschäftigt.
In Hinsicht auf etwaige Mass-Effect-3-Teaser ergeht sich Vergeltung in allerlei kryptischen Andeutungen, denn so wie Offenbarung mit der Migrantenflotte einen Schauplatz vorstellte, den man in Mass Effect 2 schließlich bereisen konnte und der den Leser zugleich das erste Mal wirklich auf Tuchfühlung mit Cerberus gehen ließ, so könnten die neuen Bündnisse des Unbekannten und dessen Erkenntnisse über Reaper-Mensch-Hybriden zum Thema von Mass Effect 3 werden. Was in Hinsicht auf Cerberus' Gesamtzustand und Arias Organisation geschieht, wird zudem wohl so oder so Eingang in das Game finden.
In Sachen Charakterzeichnung hat Drew Karpyshyn mit Vergeltung wieder einmal bewiesen, dass er wie schon in seinen Star-Wars-Fans bekannten Darth-Bane-Romanen es ausgezeichnet versteht, seine Charaktere konsequent weiterzuentwickeln, wie Paul Grayson. Der ist seit Offenbarung zwar vom roten Sand losgekommen, hat seinem Leben schlussendlich aber keinen neuen Drall verleihen können. Auch das Happyend mit Kahlee Sanders ist ihm verwehrt geblieben; stattdessen zeigt sich, dass die beiden zwar immer noch losen Kontakt miteinander haben, aber jeder de facto wieder seinen eigenen Weg eingeschlagen hat. Kahlee ist sogar auf ihren alten Posten zurückgekehrt und zeigt wenig romantische Gefühle gegenüber ihrer alten Flamme Grayson, der sich gleich eine Geliebte geangelt hat, wenn auch nur auf körperlicher Basis. David Anderson hingegen ist genau der, den man schon in Mass Effect 2 erlebt hat, ein alter Kämpfer, der nichts mehr mit der Politik zu tun haben will und am liebsten schon bei seiner letzten Gelegenheit mit Shepard losgezogen wäre, hätte er nicht seine Verpflichtungen gegenüber der Menschheit gehabt. Bei der Entscheidung, die Anderson in Vergeltung treffen muss, kann es sein, dass sie ihn durchaus für eine aktivere Rolle in Mass Effect 3 zurückbringen wird.
Fazit:
ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel, in dem die Reaper, Aria und Cerberus es auf unsere drei Helden abgesehen haben.
Vergeltung - die Rezension von Jürgen Eglseer