Titel: Life of Pi - Schiffbruch mit Tiger Eine Besprechung / Rezension von Vero Nefas |
Inhalt
Pi ist 16 Jahre alt, als er seine Heimat Indien verlassen muss. Zusammen mit seinen Eltern, seinem Bruder und den Tieren aus dem Zoo seines Vaters macht er sich auf die große Reise über den Ozean. Dann aber kommt es zur Katastrophe und das Schiff sinkt. Niemand überlebt, außer Pi. Er kann sich auf ein Beiboot retten – zusammen mit einem Zebra, einer Hyäne, einem Orang Utan und einem bengalischen Tiger. Bald sind nur noch Pi und Richard Parker, der Tiger, übrig. Gemeinsam treiben sie in einem Rettungsboot auf dem Pazifischen Ozean und erfahren das größte Abenteuer ihres Lebens.
Kritik
Life of Pi ist ein ungewöhnliches Buch – ganz anders, als man es eigentlich erwartet, wenn man den Klappentext und den Titel liest und doch um Welten besser, als wenn es die Erwartungen erfüllt hätte. Dieses Buch bewegt, bezaubert und berührt von der ersten Seite an. Selbst das Vorwort des Autors lässt einen nicht kalt und zieht einen sofort in den Bann – ist es doch mehr Teil der Geschichte, als ein eigentliches Vorwort, in dem der Autor sich an seine Leser richtet.
Das Buch selbst ist in drei, inhaltlich voneinander getrennte Abschnitte unterteilt und gerade der erste Teil des Buches (eine Art überlanger Prolog) hat es in sich – da sind so viele Szenen, Momente, Begebenheiten bei denen man Schlucken oder sich sogar ein Tränchen aus dem Augenwinkel wischen muss, aber auch solche die einen herzlich lachen lassen. Man lernt Pi kennen, als wäre er ein Freund, man begleitet ihn, von frühster Kindheit bis hin zur Fahrt über den Ozean. Dabei wechselt sich die Erzählung Pis mit den Kommentaren des Autors ab.
Der zweit Teil unterscheidet sich vom ersten – in der Technik des Erzählens, aber auch und vor allem inhaltlich. Und obwohl man glaubt, dass in 227 Tagen auf hoher See nicht viel passieren kann ,ist die Geschichte spannender als ein Thriller: Das ultimative Handbuch, wenn man Schiffbruch erleidet und zusammen mit einem bengalischen Tiger überleben muss;-). Richard Parker ist wirklich ein sehr ungewöhnlicher Reisegefährte, aber genau diese Beziehung, die die beiden miteinander aufbauen müssen, um überleben zu können und die Art und Weise wie Pi das es schafft, ist großartig geschrieben. Spätestens jetzt versteht man auch, warum der lange (aber ganz und gar nicht langweilige) “Prolog” sein musste, warum es nötig war Pi kennen zu lernen, bevor man mit ihm auf Reisen geht.
Piscine Molitor Patel, genannt Pi, erzählt auf tragisch-komische Weise die Geschichte seines Lebens, erklärt wie es zu seinem Namen kam, was ihn mit Gott verbindet, warum er die Tiere liebt und wieso er ist, wie er ist. Zwei Stellen die mich ganz besonders berührt haben möchte ich euch nicht vorenthalten.
“Den Zoo von Pondicherry gibt es nicht mehr. Seine Gruben sind mit Erde zugeschüttet, die Käfige niedergerissen. Wenn ich ihn heute besuche, dann besuche ich ihn am einzigen Ort, der ihm geblieben ist – in meiner Erinnerung.” (Seite 37)
“[...] Denn Hindus, in ihrere großen Liebe zu allen Geschöpfen, sind tatsächlich haarlose Christen, genau wie Muslims, die Gott in allen Dingen sehen, bärtige Hindus sind, und Christen in ihrere Gottesfürchtigkeit sind Muslims mit Hut.” (Seite 71)
Dieses Buch zieht einen von Beginn an in seinen Bann, dabei ist es aber nicht seicht, sondern auf hohem sprachlichem Niveau geschrieben. “Life of Pi” ist wahre Literatur, wie man sie heute nur noch selten findet. Geschickte eingestreute Wortspiele, tiefgründiger Humor und viele verdeckte Anspielung, die man mitunter nur versteht, wenn man ein minimales Wissen über Religion, Philosophie und Geschichte mitbringt (ich bin mir nicht sicher, ob ich alles gefunden habe) machen dieses Buch zu einem außergewöhnlichen Vergnügen. Erzählkunst in Perfektion. Selbst, wenn absolut nichts passiert – oberflächlich gesehen -, wenn Martel sich in ausschweifenden Beschreibungen einfachster Dinge verliert (er ist derart detailverliebt, dass man es fast schon als “manisch” bezeichnen kann) wird das Buch nicht langweilig oder langatmig. Alles ist so farbenfroh und lebendig beschrieben, dass es am geistigen Auge vorbei zieht, wie Bilder auf einer Leinwand. Man liest dieses Buch nicht, man erlebt es auf jeder einzelnen Seite. Einzig und allein das Boot kann ich mir immer noch nicht wirklich vorstellen, bzw. ich weiß nicht ob meine Vorstellung auch nur im Ansatz mit der Beschreibung des Autors übereinstimmt.
Die Geschichte ist so wunderschön, emotional und eindringlich erzählt, dass man nach nur wenigen Seiten das Gefühl hat Pi schon ewig zu kennen. Er – aber auch Richard Parker – sind eher gute Freunde, Wegbegleiter, als Romanfiguren und ich bin mir sicher, dass dieses Buch mich mit seinen Gedanken und Ideen noch eine ganze Weile auf meinem Weg begleiten wird.
Fazit
“Life of Pi” ist wie ein Tiger: beeindruckend, überwältigend, wunderschön, atemberaubend und gefährlich. Eine Naturgewalt, wie ein Sturm auf hoher See, der ein Schiff zum kentern bringt, wirbelt es einige Teile des eigenen Weltbildes durcheinander und ja – es ist eine Geschichte die einen an Gott glauben lässt, weil es diese Geschichte ohne Gott nie gegeben hätte. Eine sprachgewaltige Reise zum wahren Glauben, zu Gott, ganz egal welchen Namen er trägt. Dieses Buch vermochte mich zu fesseln, wie einst die Abenteuerromane meiner Kindheit und es weckte dieselben Gefühle in mir, von denen ich glaubte, dass ich sie nie wieder fühlen würde. Ich habe geweint, gelacht, gebangt, gezittert, gefiebert aber vor allem habe ich diese Buch geliebt. Und am Ende bleibt nur eine Frage zu beantworten, die sich jedem Leser am Ende des Buches stellen wird und auf die es keine richtige oder falsche Antwort gibt. Ich habe mich für die Variante “glauben” entschieden. Was wählst du?
“Es gibt ja immer diejenigen, die es sich zur Aufgabe machen, Gott zu verteidigen, als ob der Urgrund des Seins, dasjenige, das alles zusammen hält, schwach sei und ihre Hilfe bräuchte. [...] Die Leute verstehen nicht, dass man Gott im eigenen Inneren verteidigen muss, nicht nach draußen. Ihr Wut müsste sie selbst treffen. Denn das Böse in der Öffentlichkeit ist nicht weiter als das Böse, das aus dem Inneren entwischt. Das Feld, auf dem das Gute sich schlagen muss, ist nicht die große Arena, sondern die Lichtung im eigenen Herzen” (Seite 95)
5/5 Sternen