Serie: Prequel zu Das blaue Schwert Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Aerin ist das einzige Kind König Arlbeths von Damar und dessen zweiter Frau, einer Fremden aus dem Norden, die bei Aerins Geburt verstarb. Trotzdem ist nicht Aerin Thronfolgerin des Landes, sondern Arlbeths Neffe Tor, weil Aerins Mutter eine Unbekannte war, die sich - genau wie ihre Tochter - schon äußerlich stark von den Damarianern unterschied. Die Mutter war zu ihren Lebzeiten beim Volke als Hexe verschrien, und ein Teil dieses Rufs hat sich auf die Tochter übertragen. Aerins Stellung bei Hofe wird dadurch nicht verbessert, dass ihr offenbar völlig "die Gabe" fehlt, jene schwachen magischen Kräfte, die sonst alle Mitglieder der königlichen Familie besitzen.
Aerin verlebt im Königsschloss eine zurückgezogene Kindheit. Die einzigen Menschen, denen ihr Wohlergehen am Herzen liegt, sind ihre Kinderfrau, ihr Vater und ihr Cousin Tor. Ihre Freizeit als Kind und Halbwüchsige verbringt Aerin damit, sich von Tor zur Kämpferin ausbilden zu lassen, sich mit des Vaters altem Kriegsross Talat anzufreunden (das wegen einzigartiger Tapferkeit im Kampf ein Gnadenbrot genießt) und Bücher über die Geschichte Damars zu lesen. Bei deren Lektüre stößt sie auf Beschreibungen der Großen Drachen, die einstmals im Auftrag 'böser’ Mächte das Reich verwüsteten. - Und sie stößt auf die Beschreibung einer feuerfesten Salbe, die früher als Schutz gegen die Lindwürmer diente. Aerin wird zur Hobbychemikerin und entdeckt nach Jahren die richtige Rezeptur.
In der Handlungsgegenwart bedrohen nur noch degenerierte Nachfahren der Großen Drachen - nicht gefährlicher als andere Raubtiere auch - die Dörfer des Reiches. Als wieder einmal eines dieser Tiere Felder niederbrennt, stiehlt sich Aerin mit Talat davon und tötet mit knapper Not ein Kleindrachenpärchen. Damit begründet sie ihren Ruf als Drachentöterin.
Dann brechen dunkle Zeiten über Damar herein: Kunde gelangt an den Königshof, dass einer der Grenzlords unter dem Einfluss dämonischer Kräfte aus dem Norden den Bürgerkrieg plant. Arlbeth und Tor stellen ein Heer auf, um gegen den Feind zu ziehen. Gerade als sie aufbrechen wollen, meldet ein verzweifelter Bote, dass Maur, der totgeglaubte letzte der Großen Drachen, in Damar eingefallen ist. Arlbeth und Tor wollen ihr Heer nicht teilen und vertrösten den Mann. Dafür schenkt Aerin ihm Gehör und zieht in den Kampf gegen ein uraltes Wesen und seinen magischen Herrn, vor dem einst ihre Mutter nach Damar flüchtete.
Wie alle Texte McKinleys (mit Ausnahme von Sunshine) wurde Die Heldenkrone im angelsächsischen Raum als Jugendbuch vermarktet. Der Roman erzählt die Vorgeschichte von McKinleys Werk Das blaue Schwert, das es bis auf die Vorschlagsliste für die Newbery Medal brachte, einen der bedeutendsten amerikanischen Literaturpreise für Jugendbücher. Die Heldenkrone selbst gewann diesen Preis und hat in Übersee seitdem viele Leser gefunden - Amazon.com etwa listet 229 fast durchweg begeisterte Kommentare auf.
In Deutschland erschienen McKinleys zwei Damar-Romane in der Fantasy-Reihe des Heyne Verlags. Das ist insofern durchaus verständlich, als die Protagonistin der Heldenkrone, Aerin, im Hauptteil des Romans zwanzig Jahre alt - also erwachsen - ist. Andererseits scheint sich das Buch inhaltlich an eine jüngere Leserschaft zu richten. Aerin ist (wie viele von McKinleys Hauptcharakteren) ein unscheinbares junges Mädchen, das ihr Leben in die Hand nimmt und all die abenteuerlichen Dinge erlebt, die in Fantasybüchern sonst den Jungen vorbehalten bleiben. Nicht umsonst ist McKinleys Lieblingsszene in Der Herr der Ringe diejenige, in der sich Eowyn auf den Feldern von Pelennor einem Ringgeist samt seines Nazguls entgegenstellt.
Aerin überlebt ihre Abenteuer mit viel Glück und dank der Tatsache, dass sie offenbar von einem höheren Schicksal für ihre Rolle vorgesehen ist (ein beliebter Taschenspielertrick in der Genre-Fantasy, der es Autoren erlaubt, die Gesetze der Wahrscheinlichkeit nicht allzu weit das hässliche Haupt erheben zu lassen). Dass sie es ist, die den Männern die Arbeit abnimmt, scheint vielen jungen Leserinnen sehr imponiert zu haben (siehe Amazon.com). McKinley meinte in ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung der Newbery Medal, alle Mädchen träumten davon, eine Prinzessin und zu großen Taten fähig zu sein - und auch sie selbst wäre viel lieber als Arlbeths Tochter geboren worden. Zu diesem Wunschtraumcharakter des Buches passen sicher auch die vielen wie intelligente Personen behandelten Tiere, die eine Rolle spielen: zuerst das Schlachtross Talat, später auch diverse Raubkatzen und Wildhunde.
Von klassischen Märchen unterscheidet sich Die Heldenkrone andererseits nicht nur durch seine tatkräftige Heroine, sondern auch dadurch, dass Aerin gleich zweifach die Liebe findet. Allerdings wird Sex nur angedeutet, und die Atmosphäre der betreffenden Kapitel ist so ungebrochen romantisch, dass ich mich als erwachsener Leser nicht angesprochen fühlte. Wenn man selbst Teenager ist und die typischen Versatzstücke der Genre-Fantasy mag (einige echte Klassiker wie das Blaue Schwert Gonturan, die sagenumwobene Heldenkrone und den unsterblichen Magier vom See habe ich dem geneigten Leser bisher erspart), wird man in Die Heldenkrone bestens bedient: Robin McKinley versteht ihr Handwerk inhaltlich wie stilistisch. Andernfalls jedoch gibt es interessantere Bücher, um seine Zeit totzuschlagen.