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Titel: Die Drachen der Tinkerfarm
Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Tad Williams ist ein leidenschaftlicher Autor, ernsthaft in seinem Bestreben, gute Bücher zu schreiben, und mit seiner Ideenwelt ein eigenständiger Autor, der zu überzeugen weiß. Da wartet man schon einmal gern auf sein neues Werk. Aber, ehrlich gesagt, warte ich auf den dritten Band der Reihe “Shadowmarch“. Leider ist er noch nicht erschienen, so dass ich mich mit dem etwas einfacher gehaltenen Jugendroman „Die Drachen der Tinkerfarm“ begnüge. Diese Wortwahl soll jetzt nicht abwertend gemeint sein, sondern bedeutet nur, dass ich weiterhin auf den “Shadowmarch“-Abschlussband warte.
Werfen wir also zuerst einmal einen Blick auf das Titelbild. Drachenreiterinnen gibt es viele, und so erstaunt es mich nicht, dass ich mich an ein Buch der jungen Autorin Licia Troisi erinnerte, das bei cbj erschien. Die den einzelnen Kapiteln vorangestellten Zeichnungen von Jan Reiser sind sehr stimmungsvoll und bieten eine bildliche Einleitung in die Kapitel, in denen die jugendlichen Leser immer wieder etwas Neues entdecken. Vor ihrem inneren Auge breitet sich eine wunderbare Welt aus, die mit einem flüchtigen, ja eher abschätzenden Blick beginnt und sich dann in staunendes Augenaufreißen steigert. Ohne dass ich mich jetzt auf etwas versteife, denke ich, dass ein Großteil der Erzählung aus der Feder von Deborah Beale stammt, der Ehefrau des Autors. Zwar vermisse ich als Erwachsener die "Wortgewalt" von Tad Williams, für das Jugendbuch wäre diese jedoch eher fehl am Platz. Statt dessen lese ich ein Jugendbuch, das alle Ansprüche an ein solches Werk erfüllt.
Gideon Goldring ist der Besitzer eines Hofes im Standard Valley, Kalifornien. Standard hört sich an, als wäre alles klar geregelt und es gäbe keine Überraschungen. Weit gefehlt. Die erste Überraschung für die Mutter Colins, der übrigens heimlich an der Tür lauscht, und den Verwalter Walkwell ist es, dass Gideon Fremde einlädt. Fremde, so nennen sie die anderen. Er sagt „Verwandte“ dazu - seine Nichte Lucinda und sein Neffe Tyler, zweiter oder dritter Verwandtschaftsgrad oder so. Aber immerhin Familie. Die zweite Überraschung ist, dass er ihnen erzählt, er erhalte Briefe von einem Anwalt und die machten ihm das Leben schwer. Aber darüber reden will er nicht. Währendessen gibt es Stress an der Ostküste der USA. Na ja, nicht an der ganzen Küste, aber immerhin in der Familie von Tyler und Lucinda Jenkins. Die Mutter ist längst allein, da ihr Mann und Vater ihrer Kinder sie verlassen hat; die sind Kinder zwar ganz nett, aber trotzdem ...
Mutter will einen Singleurlaub machen und die beiden so lange zu Frau Peirho geben. Frau Peirho ist nicht abgeneigt, in den Ferien auf die beiden sonst recht verständigen Kinder Obacht zu geben. Die beiden können nicht zu ihrem Vater und haben den Eindruck, ihre Mutter wolle sie auch nicht. In diesem Augenblick kommt der Brief von Gideon Goldring gerade richtig. Er lädt die Kinder auf seinen Hof ein. Oje, da hat die Mutter was gesagt. Die Kinder fühlen sich gleich strafversetzt. Ein Bauernhof. Womöglich mit Kühemelken, Schweinehüten und Ähnlichem. Dann doch lieber Martin und seinem Bruder beim Popelfressen zusehen. Und dann noch ohne Internet oder seine geliebten Konsolenspiele. Tyler ist nicht begeistert und Lucinda ist von dieser "Todesfarm" erst recht nicht erfreut.
Im Zug wird es noch ein wenig seltsamer, denn sie bekamen noch eine Art Verhaltensregel mit auf den Weg. Alles steht in einem Buch. Vor allem so wichtige Dinge wie, dass Kühe Feuer speien und fliegen können.
Kaum am Bahnhof angekommen, werden sie in einer Pferdekutsche abgeholt. Die beiden glauben, dass ihre schlimmsten Befürchtungen - kein Strom, kein Internet, keine modernen Errungenschaften der Großstadt - wahr werden. Ihre Befürchtungen: Sklaven zu werden und dass die Gesetzte gegen Kinderarbeit gebrochen werden, scheinen sich zu bestätigen. Auf der Tinkerfarm angekommen, werden sie zum Arbeitseinsatz eingeteilt.
Die Farm scheint jedoch nicht ganz koscher zu sein. Die dort beschäftigten Farmarbeiter verbergen einiges. Langsam lernen die Kinder den Tierbestand der Farm kennen - und staunen. Die Tiere, die sie kennen lernen scheinen dem Märchenbuch entsprungen zu sein: Drachen, Einhörner und viele mehr. Man könnte fast meinen, in einem mystischen Zoo zu sein, mit Onkel Gideon als Direktor. Und Mrs. Needle ist eine Hexe, weil sie mit einem Schwarzhörnchen spricht? Die beiden Kinder sind bald auf einer gefährlichen Entdeckungsreise, da es gilt, die einzelnen Geheimnisse der Farmbewohner zu lüften. Nicht nur die haben Geheimnisse. Auch von außen kommen Menschen mit Geheimnissen und vor allem mit Gier in den Augen. Der reiche Stillmann etwa ist ein Abkömmling der Familie Tinker und will die Farm wiederhaben. Dafür scheint ihm jedes Mittel recht zu sein. Und noch ein Geheimnis scheint es zu geben - das liegt aber in den Geschwistern selbst.
Im Großen und Ganzen bin ich mit dem Buch sehr zufrieden. Die Ausstattung mit Schutzumschlag und Lesebändchen entspricht den allgmeinen Ansprüchen. Die zusätzlichen Zeichnungen, die in frühen Jugendbüchern gang und gäbe waren, werden wieder aufgegriffen. Eine schöne Arbeit des Verlages und ein Zugeständis an die jungen Leser, die auch gern etwas sehen und nicht nur lesen wollen.
Nachteile hat das Buch leider auch. Mal wird der Hof Hof genannt (Seite 11), dann wieder wird er amerikanisch als Farm bezeichnet (Seite 25). Und auf der selben Seite heißt die Farm „Ordinary Farm“, während der Titel von der Tinkerfarm spricht und nur zwei Zeilen vorher ebenfalls Tinkerfarm steht. Ein wenig Konsequenz wäre schon angebracht. Lucinda küsst ihre Mama auf die Backe. Im Gesicht habe ich Wangen, die Backe sitzt etwas tiefer und weiter hinten ...
Ach ja, und dann ist da noch ein ganz klein wenig Ähnlichkeit mit „Fabelheim“ von Brandon Mull.