Serie / Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Obwohl John Percival Hackworth als Viktorianer dem Lebensstil des 19. Jahrhunderts nacheifert, ist er dennoch einer der genialsten Programmierer der Welt. Doch sein letzter Auftrag wird zum Desaster. Er soll ein interaktives Buch programmieren, das ein Kind selbstständig erziehen kann: Die Illustrierte Fibel für die junge Dame. Je nach den Bedürfnissen geht das Buch individuell auf den Schüler ein und bringt ihm alles bei, was gefordert wird. Heimlich macht Hackworth eine Kopie von dem fertigen Exemplar, doch dann wird er überfallen und das Buch ist weg und landet, weil der Dieb nicht um den Wert weiß, in den Händen der kleinen Nell, die aus dem untersten Milieu kommt und deren Mutter sich kaum um ihre zwei Kinder kümmert. Für Nell jedoch offenbart dieses Buch eine Zukunft, denn nun kann sie lernen und Antworten auf all die Fragen finden, die sie beschäftigen.
Und dann ist da noch Miranda - von Beruf Raktrice. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich im virtuellen Body Theater. Auf Kundenwunsch spielt sie Szenen aus einem Bühnenstück oder im Ensemble ein ganzes Theaterstück nach. Doch dann bekommt Sie Aufträge, die Szenen aus der Fibel für die junge Dame nachzuspielen, die Nell sich wünscht, und bald werden die Aufträge zu Mirandas Lebensinhalt. Immer mehr füllt sie die Mutterrolle aus und beginnt Nell zu suchen. Das Problem: Die Kunden-Raktrice-Beziehung ist streng vertraulich, und es ist unmöglich, den Auftraggeber aufzuspüren.
Diamond Age wird gerne dem Cyberpunk-Subgenre zugeordnet, aber das ist falsch. Es gibt ein paar Szenen, die darauf hinweisen, vor allem der Beginn mit der Erzählung um Nells nichtsnutzigen Vater Bud und Hackworths Diebstahl des Buchs, doch der Rest des Romans konzentriert sich dann verstärkt auf Nell und ihre Umwelt. Die Geschichte an sich ist faszinierend. Kann ein Buch, wie intelligent es auch sein mag, einen Menschen erziehen? Es scheint so, da Menschen ja interagieren und eine Raktrice immer wieder Figuren aus dem Buch Leben verleiht und Einfluss nimmt.
Der Hauptteil des Buchs ist die Erzählung um Prinzessin Nell, und es ist faszinierend zu lesen, wie gegen Ende Erzählung und Wirklichkeit mehr und mehr verschwimmen. Überhaupt ist das Ende wunderbar gelungen.
Leider kann man das nicht unbedingt über den Mittelteil sagen. Nach einem recht furiosen Beginn wird der Roman an manchen Stellen ein wenig zu langatmig. Zwar sind die einzelnen Passagen nicht uninteressant, aber die Geschichte stagniert längere Zeit, und der Leser bekommt so das Gefühl, der Autor habe sein Ziel aus den Augen verloren. Aber man soll nicht kleinlich sein. Der Roman bietet einen interessanten Ausblick auf eine Welt in naher Zukunft, doch die Welt könnte nicht fremder sein. Obwohl der Roman inzwischen 12 Jahre alt ist und viel über Kommunikation schreibt, wirkt der Roman zu keinem Zeitpunkt veraltet. Dies liegt daran, dass Neal Stephenson seine Beschreibung sehr vage gehalten hat und in Detailfragen Technik beschreibt, die uns wohl noch in 100 Jahren unmöglich erscheinen wird.
Fazit: Diamond Age ist, abgesehen von den Längen im Mittelteil, ein durchaus gelungener Roman, der für jeden SF-Leser einiges bietet. So mag es nicht verwundern, dass das Werk mit dem Hugo Award für den besten Roman des Jahres 1995 ausgezeichnet wurde. Ein Auszeichnung, die der Autor durchaus nicht zu unrecht erhalten hat. 7 von 10 Punkten.