| Titel: Deus X Besprechung / Rezension von Oliver Faulhaber
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Die Ansicht, daß bald die gesamte Biosphäre des Planeten zerstört sein wird, hat sich allgemein durchgesetzt. Das Einzige, was danach noch wenigstens eine Art "Leben" besitzt, wird das globale Netz - das "Big Board" - sein. Mittlerweile ist es nämlich gelungen, die Persönlichkeit eines Menschen in elektronischer Form zu speichern und so ein "Online"-Weiterleben nach dem Tod zu Ermöglichen. Um den Konsum von Medienkanälen und das Verbrauchen von Ressourcen bis in alle Ewigkeit zu sichern, werden noch vor dem Tod Verträge abgeschlossen, die den Einsatz eines Teils dieser "Nachfolger-Entität" als Expertensystem oder auch einer Steuerungsroutine erlauben (nachdem selbstverständlich vorher alle Bewußtseins- und Ich-Komponenten gelöscht wurden).
Die römisch-katholische Kirche, ehemals eine mächtige Organisation, hat immer mehr Mitglieder verloren, seit der Papst in einer Bulle dieses "Verewigen" der Persönlichkeit als Werk des Teufels verdammt hat. Sie macht den Netz-Entitäten eine Seele streitig und verweigert ihnen jegliche Rechte. Doch Maria I., die erste Päpstin, die nach der Meinung vieler nur aus genau diesem Grund - dem Wunsch, progressiv zu erscheinen - in ihr Amt gewählt wurde, will diese Frage ein für allemal klären: Sollte der Beweis erbracht werden, daß die Entitäten doch einen freien Willen besitzen (und nicht nur ein Abbild der Persönlichkeit sind), will sie deren Existenz voll anerkennen und ihnen alle Rechte, wie beispielsweise die Möglichkeit der Absolution, zugestehen.
Zu diesem Zweck läßt sie Pater DeLeone zu sich bestellen, ein todkranker Mann, der einer der striktesten Vertreter der Theorie ist, die Entitäten hätten keine Seele. Sie bittet ihn darum, von sich selbst eine Persönlichkeitsabbild erstellen zu lassen, um das Unbeweisbare zu beweisen: sollte er im "Big Board" seine Meinung ändern und den Entitäten einen freien Willen zugestehen, besitzen diese wirklich eine Seele. Sollte er bei seiner Meinung bleiben, ist das Gegenteil bewiesen. Doch verständlicherweise bedeutet das ein großes Opfer des Paters, da er ja gerade das als ein Werk Satans sieht und so seine Seele aufs Spiel gesetzt sieht. Schließlich entscheidet er sich jedoch dafür, der Bitte der Päpstin zu entsprechen, und läßt sein Persönlichkeits-Abbild in den Computer des Vatikans laden. Doch schon nach kurzer Zeit dringt jemand vom "Big Board" aus in den Computer ein und entführt die Nachfolger-Entität.
Die Kirche setzt natürlich alles daran, ihren "Pater" wieder zu finden, und wendet sich an Marley Philippe, sozusagen ein Detektiv im "Big Board". Er soll die Entität wieder aufspüren und zurück in die Hände des Vatikans bringen ...
Geschildert wird die gesamte Geschichte abwechselnd aus der Sicht von Marley Philippe und Pater DeLeone, zwei ziemlich gegensätzlichen Charakteren. Philippe hat mit der Kirche wenig am Hut und schippert auf seinem Boot das ganze Jahr hindurch über die Meere. Er lebt in den Tag hinein, sieht alles ziemlich locker und erledigt nur von Zeit zu Zeit Aufträge, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.
DeLeone hingegen hat sein ganzes Leben der Kirche gewidmet und hat schon mit allem Weltlichen abgeschlossen. In der Bitte der Päpstin sieht er eine letzte Chance, der Kirche zu dienen, auch wenn diese bestimmt nicht mehr in allen Dingen seinen Vorstellungen entspricht.
Urteil: Spinrad schafft es, mit viel Phantasie das Innere eines globalen Computernetzes zu schildern und auch die Charaktere sind dem Leser sofort sympathisch. Zu Bemängeln ist allerdings die Tatsache, daß der "rote Faden" - die Frage nach der Definition bzw. der Existenz einer Seele - zu "dick" ist, sprich zu große Teile des Buches bestimmt. Wer jedoch gerne ein Buch lesen würde, das die philosophischen und ethischen Folgen eines "Big Boards" mit eigenständigen Entitäten behandelt (vor allem aus der Sicht der Kirche), der wird an Deus X bestimmt Gefallen finden. Ansonsten ist es zwar lesenswert, doch als "Empfehlung" oder gar "Muß" würde ich es nicht einstufen.
Bewertung: 7 von 10 Punkten