Reihe: Chronik der Unsterblichen Eine Rezension von Gloria Manderfeld |
Im winterlichen Transsylvanien wird der Unsterbliche Andrej Delaney am Grab seines vor vielen Jahren verstorbenen Sohnes Marius von einem Unbekannten angegriffen, einem Ritter in schwarzer Rüstung, dessen magische Waffe die Kraft hat, den Unsterblichen tödlich zu verwunden. Ohne seinen langjährigen, ebenso unsterblichen Begleiter, den Numidier Abu Dan, irrt Andrej zwischen Halluzinationen und erschreckenden Erinnerungen gefangen durch die verschneite und lebensfeindliche Landschaft, während er das Verrinnen seiner Lebenszeit spürt – doch sein Erzfeind, der Großinquisitor Domenicus ist ebenfalls vor Ort und macht ihm ein ungewöhnliches Geschenk: Eine Phiole aus dem Vorrat des Grafen Vlad Dracul, die das ewige Leben verheisst und Andrej die Möglichkeit gewährt, bei jedem Schluck, den er daraus trinkt, an einen Ort zu gelangen, an den ihn sein Herz führt.
Getrieben durch sein Verlangen, seine verlorene, große Liebe Maria zu finden und die Spur seines verschollenen Ziehsohns Frederic wieder aufzunehmen, weiss Andrej dem Inquisitor nicht viel entgegen zu setzen und trinkt die ersten Schlucke – nur um sich in einem Strudel der Ereignisse wiederzufinden, in dem ihm auch eine alte Bekannte begegnet und ihm ein verlockendes Angebot macht: Meruhe, eine Göttin vom schwarzen Kontinent, versucht Andrej davon zu überzeugen, an ihrer Seite zum Gott werden zu wollen. Dass dieses Angebot nur ein Teil eines alten Spiels zwischen Meruhe und des Asen-Gottes Loki darstellt, ahnt Andrej in diesem Augenblick natürlich noch nicht – und so führt ihn sein Weg unter anderem in das pulsierende London, auf ein rauschendes Fest im Schloss des Grafen Dracul und zu guter Letzt nach Ungarn, um sich dort der letzten Auseinandersetzung um sein Seelenheil und seine weitere Zukunft zu stellen: Denn der Inhalt von Draculs Phiole hat, wie alle großartig klingenden Geschenke, auch einen nicht zu unterdrückenden Nachteil …
Die literarische Vorlage der Rockoper 'Blutnacht' stellt ein Sequel der Buchreihe 'Die Chronik der Unsterblichen' dar, von welcher bereits sechzehn Bände erschienen sind – und genau dies wird für einen unvorbereiteten Leser schnell zum Verhängnis: In die Szenerie eines verwirrten, seinen Erinnerungen nachhängenden Andrej im winterlichen Transsylvanien hineingeworfen, bleibt dem Leser nur, das Schreibwerk Hohlbeins weiter zu konsumieren, um überhaupt eine Chance zu erhalten, die Zusammenhänge zu verstehen. Wer Andrej, Abu Dan, Meruhe und alle anderen Handelnden sind und was sie miteinander zu tun haben, eröffnet sich recht langsam und erst nach und nach, während die Erinnerungen Andrejs, Abu Dans Wirken und der Handlungsstrang um Meruhes Intrigen bunt durcheinander gemischt werden. Dies macht es auch nach fünfzig Seiten noch schwierig und mühsam, der Handlung überhaupt zu folgen, die sich wenig Zeit lässt, Orte und Personen tiefgreifender zu erklären und zu beschreiben. So verbleibt dem Leser nur, mit vielen Fragen im Hinterkopf fortzufahren, in der Hoffnung, irgendwann vielleicht alle Zusammenhänge zu verstehen. Grundsätzlich ist dies sicherlich kein schlechter Weg, um die Spannung über eine weite Strecke der Handlung zu erhalten, doch erweist sich dieser erzählerische Kunstgriff für einen Leser, der die komplette „Chronik der Unsterblichen“ nicht kennt, als ausgesprochen mühsam und wenig anregend.
Hohlbeins Stärke war es schon bei seinen frühen Werken, Charaktere und Umgebungen zu konstruieren und starke Konflikte zu beschreiben, allerdings scheint gerade in diesem Werk ein guter Teil dessen zu fehlen: Andrej schwankt stets zwischen tiefer Depression ob seiner Verluste, halbgarem Sich-Mitziehen-Lassen und Ideen- und Antriebslosigkeit, sodass er als Hauptcharakter neben den beiden Macherpersönlichkeiten Abu Dan und Meruhe ziemlich blass und langweilig wirkt; es stellt sich irgendwann die berechtigte Frage, warum Meruhe so versessen darauf ist, mit einem emotional offensichtlich vollkommen unausgeglichenen Mann wie Andrej die Ewigkeit teilen zu wollen.
Auch die Hintergrundwelt, die sich historisch an Eckdaten kaum wirklich festmachen lässt, wirkt wie eine wild zusammengewürfelte mythisch-magische Mischung, in der Elemente ägyptischer Mythologie genauso eingearbeitet sind wie die nordischen Göttergestalten in Form von Loki und seinem Vater Odin, gewürzt mit ein wenig Vampirismus und Vampirsage durch den Pfähler Graf Vlad Dracul und die ungarische Blutgräfin Erszebeth Bathory. Sicherlich ist diese Idee ungewöhnlich und lässt vermuten, dass dem Autor wichtig war, die unterschiedlichen Mythentraditionen des europäisch-afrikanischen Kulturraums zu beleuchten, doch hätten es weniger wilde Sprünge auch getan – der Hinweis auf ägyptische Kulträume in Vlad Draculs und Bathorys Keller wirkt nach all dem Götterwirken und -durcheinander deplaziert und übertrieben.
Auf der Rückseite des Buches findet sich ein begeisterter Kommentar des Rezensenten der 'Welt': „Hohlbeins große Stärke sind die Bilder, die er heraufbeschwört. Fast meint man, beim Lesen einen Film zu sehen.“ Dies trifft durchaus zu – wenn damit ein Splatterfilm mit psychedelisch-verworrenem Drehbuch und emotionsarmen B-Schauspielern gemeint war. Verglichen mit Hohlbeins Frühwerk „Enwor“ oder seinen vielfach prämierten Kinder-Phantastik-Büchern ist 'Blutnacht' durch den technischen Aspekt der gelungen gewählten Sprache zwar noch lesbar, aber nur für hartgesottene Fans wirklich empfehlenswert. Wenigstens ein Prolog mit einer kleinen Einführung in die Welt der Unsterblichen hätte es sein dürfen.
Fazit: Verwirrend, wenig mitreißend, durchwachsene Erzählstränge und unausgegorener Hauptcharakter – für eingefleischte Fans sicherlich brauchbarer Lesestoff, allen anderen ist es nicht zu empfehlen. Vier von zehn Punkten wegen der gelungenen Sprache.