Titel: Sommer der Nacht Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Der Roman beginnt langsam, der Anfang ist recht lesenswert und vor allem traditionell. Sommer im Örtchen Elm Haven. Eine amerikanische Provinzstadt im Mittelwesten, wie sie nicht amerikanischer sein könnte. So langsam stirbt der Ort vor sich hin, bis nicht einmal genug Schüler anwesend sind, die kleine Schule mit Leben zu füllen. Nach den Schulferien werden sich die Kinder umorientieren müssen: Die eigene Schule wird geschlossen. Am letzten Schultag geschehen seltsame Dinge. Ein kleiner Junge verschwindet spurlos, doch die Eltern machen sich keine großen Sorgen deswegen. Anders der Nachwuchs: Sechs Jungen erforschen die Umgebung, um herauszufinden, was geschah. Die Ereignisse reihen sich aneinander wie Perlen an eine Schnur, so dass wir durchaus wieder von einem typischen Horrorroman sprechen können. Die sechs Kinder finden ihr Misstrauen berechtigt, denn langsam, aber sicher übernimmt das Grauen den kleinen Ort. Die verstorbene Lehrerin Mrs. Duggan hält es nicht länger in ihrem Grab; sie feiert Auferstehung. Der Lastwagen der Abdeckerei will einen der Jungs über den Haufen fahren, und ein Soldat in der Uniform des ersten Weltkriegs ohne Gesicht taucht auf.
Und dann wissen wir, warum das alles geschieht: Die unheilbringende Säule der Offenbarung erwacht zu unheilvollem Leben. 60 Jahre, 6 Monate und 6 Tage nach ihrem letzten Opfer erwacht sie wieder zu unheiligem Leben. Im Mittelalter wurde sie eingeschmolzen und dient seither der Schule als Schulglocke. Und noch etwas Grausames geschah. Am Glockenseil knüpfte man vor Jahren einen Farbigen auf, von dem behauptet wurde, er fange Kinder und fresse sie. Je näher die Jungs dem Geheimnis kommen, desto weniger werden sie. Einen hat es gehimmelt, als er in einen Mähdrescher kam und als Kleingeschnetzeltes endete. Mit viel Einfallsreichtum stellen sich die Kinder dem Bösen und werden praktisch vom Grauen überrannt.
Die Fortsetzung dieser überarbeiteten (Heyne 9798) Neuausgabe, Im Auge des Winters, erscheint demnächst. Bis dahin sollte man sich dem Buch widmen. Es begann erst recht langweilig, ohne den richtige Biss, nur um langsam, aber sicher in Fahrt zu kommen. Die Helden sind keine Helden, sondern Kinder wie du und ich sie einmal waren. Die Erzählstränge laufen nebeneinander her, und während Dan Simmons von einem zum anderen springt, lernen wir die Jungs mit ihrem Mut und ihren Ängsten kennen. Langsam, fast schleichend hält der Horror Einzug in Elms Haven. Und solange die unglaublichen Vorgänge des Ortes logisch nachvollziehbar bleiben, so lange bleibt der Horror überschaubar. Die Gänsehaut zeigt sich erst später bei den Lesern. Nämlich dann, wenn sie das Buch aus der Hand legen und zum Schlafen das Licht anlassen. Der subtile Horror schleicht ins Bewusstsein, tröpfelt weiter bis hinab in das Unterbewusstsein, um dann im Irrealen seinen Weg in die Seele zu finden. Das Einzige, was mir dabei den Horror brachte, war das Ende der Erzählung. Das war so trivial, einfach, vorhersehbar, dass aller Grusel, der sich vorher aufbaute, sich im Logikwölkchen des Lesers auflöst. So wird das Ende unglaubwürdig und eines Autors vom Range eines Dan Simmons eindeutig unwürdig. Hier hätte es für den Übersetzer die Möglichkeit gegeben, hilfreich einzugreifen. Pech. Chance vertan.