Serie / Zyklus: nova SF-Magazin - Das deutsche Magazin für Science Fiction und Spekulation, Band 8 |
Die aktuelle Ausgabe von nova bietet seinen Lesern sieben Kurzgeschichten, eine Novelle von Michael K. Iwoleit, eine Gaststory von Eric Brown, ein Interview mit der spanischen Autorin Elia Barceló, einen Nachruf auf Carl Amery und eine Reflexion von Arno Behrend.
Im Vordergrund stehen natürlich wieder die Kurzgeschichten bekannter und weniger bekannter deutschsprachiger Autoren.
Den Reigen eröffnet Frank W. Haubold mit "Das ewige Lied". Junge Männer ziehen in einen interstellaren Konflikt gegen einen übermächtig erscheinenden, unsichtbaren Gegner. Christoph ist einer dieser jungen Männer, die ins Ungewisse aufgebrochen sind. Er wird in der Vorhut eingesetzt, wo ihn stundenlanges Warten auf den Gegner in eine Traumwelt abgleiten lässt, bis er zurückgeholt wird in die Realität, die den Tod für ihn bereit hält. Frank W. Haubold verfügt über eine unverwechselbare Stimme im Phantastikgenre. Seine melancholische Ausdrucksweise lässt eine ganz eigene Stimmung entstehen, die einen zum Nachdenken anregt. Wie kein anderer gelingt es ihm, wirklich unverwechselbare Kurzgeschichten zu verfassen. Für mich eines der Highlights dieser Ausgabe.
"002:32:45" von Frank Hebben zählt zu den ungewöhnlichsten Stories, die in nova bislang veröffentlicht wurden. Mit menschlichen Organen und Körperteilen aufgepeppte Roboter benötigen zum Überleben menschliches Blut. Eines dieser Wesen wird auf eine gefährliche Mission gesandt, um dieses Lebenselixier zu besorgen. Obwohl die Story nur wenige Seiten umfasst, hat sie doch einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Dieser ist zum einen in der Idee an sich zu suchen, aber auch in der schriftstellerischen Ausführung, die sehr technikorientiert ist.
Michael Schneibergs Story "Ein Garten für die Ewigkeit" ist dann schon konventioneller verfasst. Die Seelen der Toten werden von Aliens eingefangen und verkörperlicht. Fortan dienen sie beim Bau riesiger Raumplattformen am Rande des Sonnensystems. Ihr Sklavendasein endet, als einer der Toten einen Streik anzettelt und ihnen so einen gewissen Freiraum verschafft. Die Geschichte ist kurzweilig zu lesen, mit einigen humorvollen Passagen angereichert, hinterlässt aber keinen bleibenden Eindruck.
In "Jäger" von Malte S. Sembten und Florian Gagel erzählt ein Gentleman einigen seiner Freunde abendlich im Club von einem ganz außergewöhnlichen Jagdausflug, bei dem er Augenzeuge eines interstellaren Krieges geworden ist. Mitten in der Wildnis begegnete er Vertretern zweier Alienrassen, die sich gegenseitig bekriegten. Leider hinterließen sie keine Spuren auf der Erde, so dass er seine Geschichte nicht mit Beweisen untermauern kann. Gut erzähltes Jägerlatein mit einem bekannten Szenario. Dies ist zu wenig, um bei dem Niveau der hier präsentierten Geschichten über dem Durchschnitt zu liegen. Vom Stil her gut zu lesen, von der Idee her aber zu bekannt.
"Polexplosionen" von Jochen Bühler ist durchdrungen von den Werken Philip K. Dicks. Sogar eine der Figuren trägt den Namen Philip K.. Wer sich daran nicht stört, wird eine gut verfasste Geschichte vorfinden, in der eines der Motive des amerikanischen SF-Autoren aufgegriffen wird. Die Story dürfte ganz nach dem Geschmack der Herausgeber sein, zählt für mich aber nicht zu den Highlights.
Marcus Hammerschmitt zählt zu den bekanntesten SF-Autoren dieser Tage. Aufgrund wegbrechender Veröffentlichungsmöglichkeiten im Romanbereich, finden sich nur vereinzelt neue Kurzgeschichten von ihm. Mit "Der Keller" stellt er sein Erzähltalent einmal mehr unter Beweis. Die Story kommt als Polizeibericht verfasst daher, der den Tatort eines illegal eingerichteten Versuchslabors beschreibt und das, was die Polizei bis dato darüber herausgefunden hat. Nüchtern zu Papier gebracht und immer auf die Beweisbarkeit der Aussagen hin ausgerichtet, verbirgt sie doch so einiges vor dem Leser. Allein schon aufgrund der Erzählweise eine ungewöhnliche Story.
Björn Jagnows Geschichte "Besuch unter der Oberfläche" ist als Dialog in drei Aufzügen verfasst. Ein Reporter besucht eine in der Tiefsee allein lebende Wissenschaftlerin, um sie direkt vor Ort zu interviewen. Sehr schnell geraten sie in eine Diskussion über das Alleinsein, warum sie jeweils ihren Beruf ergriffen haben, und kommen sich näher. Da die Geschichte fast ausschließlich aus wörtlicher Rede besteht, ist die Leistung des Autors umso höher einzuordnen, denn er muss alle relevanten Informationen seinen beiden Figuren in den Mund legen. Zudem ist die Story aufgrund ihrer Kürze sehr handlungsdicht gepackt. Sicherlich mag der eine oder andere Leser sich fragen, warum sich diese Story in einem SF-Magazin wiederfindet. Aus meiner Sicht sind es genau solche Texte, die nova insgesamt immer wieder lesenswert machen.
Mein persönliches Highlight dieser Ausgabe stellt Michael K. Iwoleits Novelle "Psyhack" dar. Auf 55 Seiten entwirft er die Geschichte eines Mannes, der sein Gedächtnis nach jedem erfolgreichen Abschluss seiner nicht ganz gesetzestreuen Missionen löschen lässt. Mit der Zeit verschwimmen aber auch seine eigentlichen Erinnerungen, sein eigenes Ich. Er verliert sich in einer Gemengelage von Erinnerungsfetzen. Sich der Gefahr bewusst werdend, für immer seine ursprünglichen Erinnerungen und somit auch sein ursprüngliches Ich zu verlieren, versucht er auszusteigen und den alten Zustand wieder herstellen zu lassen. Ein Unterfangen, welches sein Auftraggeber nicht gutheißen kann und sich als sehr schwierig herausstellt. Im Verlaufe seiner Gedächtniswiederherstellung wird er konfrontiert mit seiner Vergangenheit und findet heraus, warum er für seinen Auftraggeber so wertvoll ist. Wie eine Zwiebel kommt Schale für Schale hinzu, bis er sich letztlich an alles erinnert und eine große Schuld abzutragen versucht.
Die Story lebt nicht nur von dieser schichtweisen Durchdringung des Gedankennebels, sondern bietet den Lesern noch die eine oder andere Wendung. Dabei versteht es der Autor seine Geschichte über die gesamte Länge hinweg zu erzählen. Er benötigt einfach die 55 Seiten, keine mehr und keine weniger. Mit "Psyhack" hat Michael K. Iwoleit einmal mehr unter Beweis gestellt, welch erzählerisches Talent in ihm steckt.
Betrachtet man alle Werke zusammen und vergleicht sie mit den bisherigen Ausgaben von nova, dann würde ich die vorliegende als über dem Durchschnitt ansiedeln. Ein Kauf lohnt sich allein schon für die Werke von Iwoleit, Haubold, Jagnow und Hammerschmitt.