Titel: Necromancer Eine Besprechung / Rezension von Karsten Kruschel |
Zehn Jahre hat es gedauert, ehe es “Necromancer” in den deutschen Buchhandel geschafft hat – merkwürdigerweise mit einer Illustration auf den Cover, die zum Buch paßt wie die Fast aufs Auge. Sowas ist man gar nicht mehr gewohnt. Natürlich gibt es keine Szene im Roman, die zu diesem Bild gehören könnte, aber die Stimmung ist perfekt getroffen. Martha Wells hat eine ganz eigene Version einer Fantasy-Welt erschaffen: Eine quicklebendige Hybride aus klassischem Detektivroman, Schauergeschichte, altväterlicher Phantastik und einer kleinen Prise SF. Kein Ork, kein Elf und kein Zwerg weit und breit.
Der Roman handelt in der Stadt Vienne im Land Ile-Rien. Diese Metropole hat man sich vorzustellen wie ein Wien des 19. Jahrhunderts, das anstatt von Paris mitten in Frankreich liegt. Adlige Häuser, Verschwörungen um die Macht im Lande, eine mit Kriegen und denkwürdigen Ereignissen vollgestopfte Historie bilden den Hintergrund für eine an Wendungen reiche Geschichte um einen Edeldieb, der es mit Zauberei zu tun bekommt.
Zauberei nun ist in Ile-Rien eine gewagte Angelegenheit; wer sie ausübt, benötigt nicht nur gewisse Kräfte, die wenige haben, er bewegt sich auch gefährlich nah an den Regionen der Finsternis. Die finstersten Zauberkunststücke sind gar verboten, nämlich die, für deren Ausführung man menschliches Leben auslöschen muß. Manche Arten von Magie benötigen eben einen ganz besondere Treibstoff.
Als Nicholas Valiarde, seines Zeichens Gentleman-Verbrecher mit doppelter Identität, bei einem Einbruch im Keller eines Palastes einem Ghul begegnet, stellt seine Verbündete Madeline ein paar Stockwerke weiter oben fest, daß der Schutzzauber des Hauses, eine sehr alte und mächtige Magie, zerstört worden ist. Eigentlich wollen die beiden mit ihren Verbündeten aus der kriminellen Unterwelt Viennes einen Racheplan durchführen, bei dem der Schuldige am Tod von Nicholas’ Stiefvater zur Strecke gebracht werden soll. Dieser Count Montesq hatte den harmlosen Forscher der Nekromantie bezichtigt und hinrichten lassen.
Klingt kompliziert?
Martha Wells wirft den Leser umstandslos und ohne Federlesen mitten in die Geschichte hinein und hat es gar nicht mit Erklärungen. Man kann sich im Lauf der Zeit allerlei zusammenreimen, daß es da mal einen Krieg mit magischen Wesen namens Fay gegeben haben muß beispielsweise, deren Geister unter den Gräbern Viennes herumtreiben. Und daß die Magie auch an Maschinen gebunden werden kann, wie die Nicholas’ Stiefvater konstruiert hat (eines der raren SF-Motive). Und daß es einen völlig skrupellosen Zauberer gibt, der mithilfe nekromantischer Zauberei die Macht an sich reißen will. Schlimmer noch, der die Lebenden als Brennstoff benutzen will, um wieder aus dem Grab zu steigen.
Die Handlung schlängelt sich zwischen allerlei phantastischen Geschehnissen wie ein gasflammenbeleuchteter Mantel-und-Degen-Roman auf ein Finale mit natürlich glücklichem Ausgang zu; aber was wirklich Spaß macht, ist, wie er das tut. Die Figuren sind klar gezeichnet (eine davon ganz offensichtlich eine Hommage an Sherlock Holmes), kommen mit der notwendigen Portion Humor daher und wirken meistens, als könnten sie demnächst am Küchentisch sitzen. Natürlich gibt es Popcorn-Effekte wie vielleicht die eine oder andere Rettung in letzter Minute zuviel, und wie fast alle Genre-Romane aus den USA ist das Buch eindeutig zu lang geraten. Das kann das Lesevergnügen nicht ernsthaft schmälern.
Martha Wells hat noch mehr Geschichten aus Ile-Rien erzählt - neben einer kompletten Trilogie um die Tochter des Helden aus “Necromancer” gibt es auch noch die Vorgeschichte der Stadt Vienne als eigenen Fantasy-Roman. Auf diese Ereignisse nimmt sie im Text immer wieder Bezug, was neugierig macht auf die anderen Geschichten aus Ile-Rien. Wenn “Necromancer” seine Leser in Deutschland findet, kriegen wir vielleicht auch die anderen Texte zu lesen. Wäre nur schön, wenn jemand dem Übersetzer mitteilen könnte, daß es für so komplizierte englische Worte wie “Count” oder “House” neuerdings ganz brauchbare deutsche Entsprechungen gibt...