| Titel: Kriegsspiel Originaltitel: The War Game Regie & Drehbuch: Peter Watkins Darsteller: Michael Aspen, Dick Graham (Moderation), Laiendarsteller Laufzeit: 84 min FSK: 12 Großbritannien 1966, DVD erschienen 2003 Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Eglseer |

"Wenn unser Leben von einem System abhängt, das eine solche Kritik nicht ertragen kann, helfe Gott uns allen"
(Peter Watkins)
Die Beziehungen zwischen West und Ost verschlechtern sich nach einem chinesischen Einmarsch nach Vietnam dramatisch. Ost-Berlin wird abgeriegelt, die USA gibt der NATO ihre Nuklearwaffen in Europa frei. Um dieser Bedrohung vorzukommen, startet die UdSSR einen atomaren Schlag gegen die westliche Hemisphäre.
Der Film beginnt zwei Tage vor dem Atomkrieg, zeigt, wie weite Teile Großbritanniens evakuiert werden - alle Frauen und Jugendliche unter 18 Jahren werden in Gebiete gebracht, die wahrscheinlich kein Ziel eines Angriffs werden. Die überforderte und verstörte Bevölkerung wird mit Flugblättern auf die Gefahren eines atomaren Angriffs hingewiesen und aufgefordert, Schutzräume zu bauen. Immerzu kommentiert ein Moderator in der Art eines Nachrichtensprechers die Ereignisse, weist emotionslos darauf hin, dass die Vorwarnzeit bei einem Angriff zwischen vier und dreieinhalb Minuten liegt, bei einem seegestützten Angriff noch weniger - etwa 40 Sekunden.
Nahe einer Ortschaft in Kent explodieren drei Nuklearwaffen und verursachen durch Hitze- und Druckwellen einen gigantischen Schaden bei Häusern, Tieren und Menschen. Die Kamera schwenkt über verbrannte Menschen, im Feuersturm erstickte und verkohlte Feuerwehrmänner, zusammenbrechende Kinder und Eltern. In der Art eines Dokumentarfilmes werden Szenen eines Krankenhauses gebracht, vor dem Polizisten nicht behandelbaren Menschen den Gnadenschuss geben, Ärzte und Krankenschwestern selbst kaum verarbeiten können, was sie sehen. Weite Gebiete werden auf Verstrahlung geprüft, der Landbevölkerung gesagt, dass sie durch die Radioaktivität so geschädigt ist, dass sie nur noch wenige Wochen zu leben hat.
Hunger bricht aus, als die wenigen nichtverstrahlen Lebensmittel zur Neige gehen. Selbst Hausfrauen greifen nun zur Waffe, um für sich selbst Nahrung und Wasser zu beschaffen, und schrecken auch vor dem Mord an Polizisten nicht zurück. Weite Teile der überlebenden Bevölkerung sind apathisch, neurotisch durch den Schock dessen, was sie erlebt haben.
Die Überlebenden des Atomkrieges beneiden diejenigen, die gestorben sind.
Der im Auftrag der BBC 1966 gedrehte Film in der Art eines fiktiven Dokumentarfilmes übertraf (!) die Erwartungen so sehr, dass man von einer Ausstrahlung im Fernsehen absah. Der Film gelangte dann erst später in die Kinos, in Deutschland wurde er 1971 gezeigt. Peter Watkins mischt in seinem Werk Straßeninterviews realer Passanten, Auszüge realer behördlicher Vorgaben für den Ernstfall, Meinungen anerkannter Wissenschaftler und stellt sie seinen Bildern des Krieges gegenüber. Dramatischer kann man die Auswirkungen des Krieges in Verbindung mit den unzureichenden Vorbereitungen der Menschen und der Regierung kaum darstellen. Man graust sich nicht nur an den Bilder, die Watkins uns gnadenlos vorsetzt, sondern wird in diesem Strudel zusätzlich noch mitgerissen durch die ständig im Off kommentierende Nachrichtenstimme Dick Grahams und die eingesetzten Interviews.
Kaum kann sich der Blick lösen, man wird emotional mitgerissen und erlebt, wie Watkins uns einen Spiegel vorsetzt - das wird passieren, wenn der Krieg kommt. Und selbst kann man sich kaum darauf vorbereiten. Eine Erkenntnis, die schon in dem Film Threads zwanzig Jahre später eine Rolle spielt - klar ist zu erkennen, dass The War Game als Ideenquelle für Threads, der der Grausamkeit noch eines draufsattelte, diente.
The War Game endet vier Monate nach dem Angriff, als eine verletzte, hungernde, verwahrloste und sterbende Bevölkerung Weihnachten feiert - inmitten von Trümmern und bar jeglicher Hoffnung.
The War Game bekam 1966 den Oscar für den besten Dokumentarfilm, den "Großen Preis der Vereinten Nationen" und in Deutschland das Prädikat "besonders wertvoll".
Meine Bewertung: 10 von 10 Punkten