Titel: Israel verstehen - in 60 Tagen oder weniger Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Eglseer |
„Ich denke, das Erste, was wir alle verstehen sollten, die nicht in Israel oder in den besetzten Gebieten leben, ist, dass wir nicht dort leben. Ich glaube, dass viele Leute sehr, sehr feste Meinungen darüber haben, was dort vor sich geht und wir haben nicht das geringste Recht dazu. Dieses Buch handelt also gewissermaßen davon, wie ich versuche, mit mir und meinen Meinungen ins Reine zu kommen. Es gibt genug Gezeter über dieses Thema aus den beiden Extremlagern und ich denke, es sollten mehr Leute Ansichten ausdrücken, die nicht zum einen oder anderen Ende gehören.“ Sarah Glidden
Charles Rosner Bronfman und Michael Steinhardt gründeten 2000 das "Birthright Israel"-Programm, das es jungen Juden im Alter zwischen 18 und 26 Jahren ermöglicht, eine kostenlose Reise nach Israle zu unternehmen, um sich mit der Kultur des Landes vertraut zu machen. Das Programm ist ein großer Erfolg, seit 2000 nahmen schon über 110.000 Jugendliche daran teil. Auch Sarah Glidden, eine Comiczeichnerin aus New York, interessiert sich für diese Reise. Zusammen mit einer Freundn wagt sie eines Tages den Trip und macht sich auf in das heilige Land.
Glidden geht mit bestimmten Erwartungen auf diese Reise. Sie ist eine recht aufgeklärte und ganz gut informierte Person, die primär mehr über den Hintergrund des Konfliktes zwischen den Israeli und den Palestinensern erfahren möchte. Dabei hat sie sich eigentlich schon für eine Seite entschieden und Partei ergriffen. Ihrer Meinung nach sind die Israelis Schuld an der Misere und erwartet auf ihrer Reise auch die Bestätigung dafür. Vor einigen Jahren nahm ihr Bruder an diesem Programm teil und kam als fast schon geläutert zu bezeichnend zurück - ein Umstand, der Sarah Gilden nicht nur sehr peinlich war, sondern für sie erst einmal ein abschreckendes Beispiel darstellte.
Nun fährt also dieser kritisch eingestellte Twen nach Israel und erwartet dort propagandistische und monothematische Vorträge und Führungen. Was sie jedoch dann in Israel erwartet, ist der Umstand, das der Konflikt im Heiligen Land weitaus vielschichtiger ist, als sie sich das jemals vorstellen konnte. Glidden ist mehr und mehr überfordert mit der Situation und sowieso mit der Beantwortung der Frage, wer in diesem Konflikt denn eigentlich der Schuldige ist. Denn in einem Streit dieser Art gibt es hundert und tausende kleine Facetten von Schuld auf beiden Seiten - die sich wiederum gegenseitig beeinflussen. Das alles hatte Glidden nicht erwartet und nachvollziehbar schildert sie in ihrem Comic auch ihre eigene Figur am Rande eines Nervenzusammenbruches.
Zusammen mit der Autorin wandert der Leser durch die Geschichte Israels, lernt die Orte der Historie kennen und die Menschen, die dort Leben. Mit emotional großartigen - jedoch nicht übertriebenen - Momenten werden die herausragend positiven aber auch negativen Ereignisse in der Geschichte des Landes beschrieben. Dabei wandelt sich auch die Meinung des Lesers über Israel parallel mit der Hauptfigur - aus einer einfachen und glatten Positionierung wird die etwas verwirrte Erkenntnis, das das alles doch nicht so einfach ist, wie in den Medien immer dargestellt.
Die Zeichnungen sind in einer Mischung aus Stiftzeichnung und Aquarelltechnik angefertigt, was diese nicht unbedingt detailiert wirken lässt - umso besser werden Emotionen und auch die Handlungsorte dargestellt.
Wem würde ich diesen Comic empfehlen? Jedem!
Für Ethiklehrer, die ihren Schülern beibringen wollen, wie eine religiös vielschichte Kultur funktioniert. Für Geschichtsinteressierte, die mehr als die oberflächlich beschriebene Geschichte Israels erfahren wollen. Für Juden, die wissen wollen, warum ein jüdisches Land handelt wie es handelt und für Comicfans, denen ich ein herausragendes Debut einer Autorin ans Herz legen möchte.
Meine Bewertung: 10 von 10 Punkte
Eine kleine Lesung aus ihrem Comic (da nur s/w-Zeichnungen) findet sich hier: http://www.youtube.com/watch?v=RPBPLgeg4_E&feature=related