Titel: Flesh Gothic Eine Besprechung / Rezension von Carmen Weinand |
Florida: Reginald Hildreth, Milliardär und Pornoproduzent, verschwindet nach einer aus dem Ruder gelaufenen Orgie spurlos aus seiner riesigen Villa. Zurück bleiben jede Menge verstümmelte Leichen und die einzige Überlebende: Faye, die Hausmeisterin, die, inzwischen restlos wahnsinnig geworden, ihr Dasein in einem Pflegeheim fristet.
Reginald's Gattin Vivica glaubt nicht an den Tod ihres Mannes. Deswegen heuert sie eine Gruppe Experten an, die in der Villa paranormale Aktivitäten untersuchen sollen. So entsteht ein buntes Team, bestehend aus verschiedenen Spezialisten, die unter anderem Astralwanderungen, Telekinese und Hellseherei beherrschen.
Der ehemalige Journalist Westmore soll diese Arbeiten für Vivica dokumentieren. Schnell stellt sich heraus, dass die Villa nicht nur Schauplatz eines grausamen Massakers, sondern weitaus mehr als das ist.
Westmore wird zum paranormalen Ermittler.
"Flesh Gothic" gehört mit 448 Seiten schon zu den umfangreicheren Werken von Edward Lee. Das liegt zum Teil daran, dass Lee sich anfangs sehr viel Zeit für die einzelnen Charaktere nimmt. Der Leser bekommt also nicht nur eine Reihe von Namen um die Ohren gehauen, sondern lernt jeden einzelnen Protagonisten gründlich kennen. Das hat den Vorteil, dass man sich im weiteren Verlauf gut an jeden von ihnen erinnern kann. Allerdings braucht der Roman deswegen auch ein Weilchen, um Fahrt aufzunehmen.
Für die ungeduldige Fraktion unter den Lesern dürfte das im Wesentlichen ein Grund zur Kritik sein. Auch mir kann es eigentlich nie schnell genug gehen, endlich zum Kern der Story zu gelangen. Vielleicht hätten es ein paar Seiten weniger auch getan. Trotzdem hat das mein Lesevergnügen in keiner Weise beeinträchtigt.
Inzwischen habe ich (fast) alle auf deutsch erschienenen Werke von Edward Lee gelesen (an "Der Besudler auf der Schwelle" bin ich gerade dran).
Deswegen beginne ich auch langsam zu begreifen, wie der Autor tickt und wie seine Romane aufgebaut sind. Jeder, der bereits "Bighead" gelesen hat, erwartet wahrscheinlich grundsätzlich eine Anhäufung actiongeladener, abartiger Splatterszenen, die sich gegenseitig an Perversität übertreffen. Nun ja - auch hier darf der eher blutrünstig veranlagte Leser sich über reichlich Gemetzel und sexuelle Abarten freuen. Trotzdem liegt der Schwerpunkt in diesem Roman eher auf den paranormalen Detektivarbeiten, die die Protagonisten leisten. Lee hat ein dämonisches Rätsel geschaffen, dessen Lösung sich nur langsam und raffiniert entwickelt. Ehe ich mich versah, sah ich mich in umfangreiche Ermittlungsarbeiten verstrickt, die ich mit Spannung verfolgt habe. Natürlich gibt es falsche Fährten und überraschende Wendungen, doch das sollte jeder für sich selber herausfinden.
Erfreulicherweise gelingt es Lee wirklich immer, dem Leser durch gründlich recherchiertes Fachwissen ein gewisses Niveau zu bieten. So auch in "Flesh Gothic". Umfangreiche Einzelheiten über paranormale Fachgebiete und Dämonologie heben den Roman quasi aus dem Einheitsbrei der trashigen Ekelromane heraus und verleihen ihm einen gewissen Anspruch. Für mich, als interessierte Leserin von Literatur über solche Themen, war es eine willkommene Fundgrube interessanter Details, die ich nahezu verschlungen habe.
Wer bereits andere Romane von Lee kennt, wird bemerkt haben, dass es immer irgendein gründlich recherchiertes Fachgebiet gibt, mit dem sich die Protagonisten beschäftigen. Vielleicht ist das seine Art zu zeigen, dass er wesentlich mehr kann, als mit Blut, Gedärm und Orgien um sich zu werfen.
Nach einer etwas zu langen Einführungsphase hat mich "Flesh Gothic" dann schließlich komplett am Haken gehabt. Die letzten zwei Drittel habe ich sozusagen gefressen. Die langsame Steigerung der Spannung, die schrittweise Auflösung des "Rätsels" und das wirklich abgefahrene Finale haben mir tolle Lesestunden geschenkt. Also lehne ich mich zufrieden zurück und freue mich, dass ich noch einen Lee "in Reserve" habe, den ich gleich im Anschluß inhalieren muss.
Fazit:
"Flesh Gothic" hat mich mit einem gelungenen Mix aus paranormalen Gruselelementen, herrlich sonderbaren Charakteren und einer angemessenen Ladung Sex und Gore bei Laune gehalten. Haunted House meets The Playboy Mansion. Es ist ein Lee - nicht mehr und nicht weniger.