Reihe: Anthologiereihe Dunkle Seiten (Band 6) Eine Rezension von Carmen Weinand |
Ich muss zugeben, dass ich die Bände I-V nicht kenne und auch von den meisten der teilnehmenden Autoren bisher nichts gehört hatte. Allerdings kenne ich bereits Geschichten von Marc Gore und Marc Hartkamp, so dass mir ein Ausflug in den sechsten Band von “Dunkle Seiten” durchaus interessant erschien.
Zum Inhalt:
Marc Hartkamp: Trick or Treat
Eine recht kurze aber sehr feine Geschichte zu Halloween – erzählt aus der Ich-Perspektive. Ich kenne und mag Marc Hartkamps Geschichten. Auch diese hat mich nicht enttäuscht. Allerdings hätte sie gerne etwas länger sein dürfen. Locker und eher gemütlich erzählt und mit einer winzigen Prise Humor versehen, punktet diese Story mit einem sehr schönen Unterhaltungswert.
Birgit Raule: Die Séance
Wieder aus der Ich-Perspektive, wird diese Geschichte von einem jungen Mann erzählt, der an einer Sceance teilnimmt, die völlig anders als erwartet verläuft. Nicht für jeden Teilnehmer dieser Runde geht die Story gut aus. Ein nettes Ende, zu dem gruseliges Gelächter ganz gut passt.
Marc Gore: Orgiastic – Nächte der blutigen Exzesse
Bruce, ein Serienkiller auf dem Höhepunkt seiner perversen Exzesse. Hier fließt mehr Blut über die Seiten als Wasser durch den Rhein. Marc Gore geht an die Grenzen und weit darüber hinaus. Für einige Leser sehr unterhaltsam, für andere wiederum zu viel des Guten. Jedenfalls gibt es hier mehr Action als so mancher Leser sich gewünscht hatte.
Alexander Knörr: Der Rausch des Feenlandes
Ein Junge, ein uraltes Buch und ein wundersames Geheimnis. Das war eine wirklich tolle Geschichte, die eine Art verwunschenen Zauber zu haben scheint. Keinerlei Gewalt, kein Blut und trotzdem fesselnd und faszinierend. Diese Story hat mit wenig Aufwand eine starke Wirkung erzielt. Sehr schön geschrieben.
Manfred Schnitzler: Die blutende Wand
Eigentlich eine Vampirstory, wenn man es recht bedenkt – obwohl der Titel nicht sofort darauf schließen lässt. Gut geschrieben und ziemlich gruselig. Hier wird mit den Urängsten gespielt. Wer geht schon gerne in den Keller?
Daniel Möhle: Schwesterherz
Sehr kurze aber sehr gute Geschichte über – ja, da darf man eigentlich bei der Kürze der Story gar nichts weiter erzählen. Hier wäre jede Einzelheit ein Spoiler. Zwei Schwestern und ihr Schicksal. Hat mir wirklich gut gefallen. Klein und gemein.
Thomas Williams: Santas Dorf der Verdammten
Manuel und Laura hatten sich ihre Flitterwochen wirklich anders vorgestellt. In der Wüste gestrandet, finden sie mitten in der Einöde ein waschechtes Weihnachtsdorf. Nur zu blöd, dass die Bewohner dort so gar nichts mit Friede, Feude und Eierkuchen am Hut haben. Eine wirklich unterhaltsame Geschichte mit einem Schuss Humor und einem wirklich coolen Ende. Super!
Oliver Henzler: Das Ferkeltaxi
Dazu fällt mir spontan dieser Spruch ein (auch als Buchtitel bekannt): Wenn man stirbt, zieht das Leben an einem vorbei, sagen sie (oder so ähnlich). So in etwa würde ich diese Geschichte beschreiben. An keiner Stelle kann man genau sagen, ob es sich gerade um die Realität handelt oder nicht. Mir kam es eher wie ein Strom von Erinnerungen vor, gepaart mit einer sehr melancholischen Stimmung und gewürzt mit kurzen Glücksmomenten. Diese Geschichte ist kein Action-Highlight aber trotzdem cool – die Sorte Story, die man nicht beschreiben kann.
Melanie Vogltanz: Wicked Tale
Zwei Brüder, das Gute und das Böse, unheimliche Kreaturen und eine furchtbare Rache. Darum geht es in “Wicked Tale”. Fast hatte ich gedacht…aber es war alles ganz anders. Schöne Horrorgeschichte im eher altmodischem Stil. Trotzdem ein kleines Meisterwerk in meinen Augen.
S.R. Nikolay: Der Nebel
Ein Nebel, in dem Kreaturen oder Wesenheiten auf Seelenfang gehen. Leider war diese Geschichte nicht nur sehr kurz sondern auch ziemlich unspektakulär und vorhersehbar. Trotzdem ganz nett geschrieben. Auf der Unterhaltungsskala würde ich sie im soliden Mittelfeld ansiedeln.
Sonja Jeziorowski: Der blutige Bräutigam
Hochzeiten, die mit dem Tod enden, bringen häufig auch einen Rachegeist mit sich. Nette kleine Geschichte im Stil der guten alten Gespenstercomics. Nicht überragend aber auch nicht schlecht.
Die mal mehr oder wenigen langen Kurzgeschichten in “Dunkle Seiten VI” sind in ihrer Unterschiedlichkeit kaum zu schlagen.
Die Unterhaltungsskala reicht von actionreich, melancholisch, nachdenklich bis hin zu gruselig und abartig.
Womit wir auch schon beim Thema wären. Die viel diskutierte Geschichte “Orgiastic” von Marc Gore hatte bereits vor Wochen schon für Diskussionen und empörte Reaktionen seitens der Leser gesorgt. Obwohl ich persönlich schon viel perversen Kram gelesen habe, ist ein Teil dieser Geschichte selbst für mich ein persönliches No Go. Wenn auch das wahre Leben mitunter bestialische Geschichten schreibt, gibt es trotzdem so etwas wie eine unsichtbare Tabu-Grenze, die hier für meinen Geschmack deutlich überschritten wurde. An der Stelle, wo der Säugling brutal zu Tode gekocht wurde, wandelte sich bei mir die gute Unterhaltung in maßloses Entsetzen.
Hier stellt sich mir die Frage, ob diese Geschichte überhaupt in die Anthologie passt. Evtl. wäre sie in einer Storysammlung ähnlich krasser Geschichten nicht so unangenehm aufgefallen. Da hätte, meiner Meinung nach, der Verlag die Anthologie anders mischen müssen. Marc Gore hat bessere Geschichten auf Lager, die hier eher gepasst hätten.
Fakt ist jedoch, dass darunter nicht die gesamte Anthologie leiden darf, denn die anderen Geschichten haben mir sehr gut gefallen und mich bestens unterhalten.
Ein weiterer Kritikpunkt wäre auch das Vorhandensein der qualitativ eher miesen Grafiken am Ende jeder Geschichte, deren pixelige Qualität mich an meinen ersten Ducker in den neunziger Jahren erinnert. Dann lieber die Bildchen weglassen. Auch das Cover ist, ehrlich gesagt, nicht der Brüller.
Insgesamt erschien mir das Gesamtwerk gut lektoriert und korrigiert, so dass es diesbezüglich nichts zu beanstanden gibt.
Fazit: Abgesehen vom Punktabzug für das mittelmäßige Cover, die schlechten Illustrationen und das eher unglückliche Händchen des Verlages bei der Zusammenstellung der Geschichten, kann sich der Rest von “Dunkle Seiten VI” durchaus sehen lassen. Fast alle Geschichten haben wirklich gerockt und bieten ausgezeichnete Unterhaltung an dunklen Abenden. Ein besonderer Daumen-hoch-Orden meinerseits geht an Thomas Williams für “Santas Dorf der Verdammten” – mein Highlight der gesamten Anthologie. Da werde ich gleich mal forschen müssen, was es von ihm noch zu lesen gibt.