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Titel: Der Teratologe Eine Besprechung / Rezension von Carmen Weinand |
Die beiden befreundeten Reporter Westmore und Bryant erhalten von ihrem Auftraggeber die Anweisung, den Multimilliardär John Farrington zu interviewen. Farrington führt Zeit seines Lebens ein eher geheimnisvolles Dasein. Von ihm existieren weder Fotos noch genauere Informationen über sein Privatleben. Allein deswegen schon sind die beiden Journalisten mehr als gespannt auf diesen Job. Schneller als ihnen lieb ist, befinden sie sich auf dem luxuriösen und hermetisch abgeriegelten Anwesen des Milliardärs, der sein Leben einem mehr als ungewöhnlichen Traum gewidmet hat. Farrington benutzt seinen Reichtum und seinen Einfluss, um etwas zu schaffen, was mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit, wenn nicht sogar ziemlich sicher, noch nie jemandem gelungen ist. Er will Gott herausfordern und ihn dazu bringen, ihm zu erscheinen.
Wer noch nie einen Roman von Edward Lee gelesen hat (von Wrath James White kenne ich leider noch nichts), wird wahrscheinlich bereits auf den ersten Seiten denken: “Großer Gott!” und sich in den nächstgelegenen Eimer übergeben. Wer jedoch bereits Werke von Lee kennt und zudem noch das Wort Teratologe googelt, kann sich in etwa denken, womit er zu rechnen hat.
Somit war ich nicht im geringsten überrascht, als ich mich lässig durch eine doch recht fantasievolle Aneinanderreihung sexueller und im höchsten Maße brutaler Exzesse mit missgebildeten Menschen las. Dank “Bighead”, “Der Besudler auf der Schwelle”, “Das Schwein” und allen anderen bisher erschienenen Werke von Lee, hebe ich inzwischen nur noch amüsiert eine Augenbraue, während der jungfräuliche Leser wahrscheinlich schon mit dem Stressherpes kämpft. Nicht, dass mich das nicht blendend unterhalten hätte. Es schockiert mich nur nicht mehr. Training ist alles.
Leider ist mir der Co-Autor Wrath James White überhaupt noch kein Begriff. So stellt sich mir also prompt die Frage, wie die Zusammenarbeit zwischen ihm und Edward Lee vonstatten ging. Haben sie sich mit den Kapiteln abgewechselt? Hatten sie ein Brainstorming der abartigen Ideen und Lee hat sie nieder geschrieben oder war es sogar anders herum? Spontan könnte ich mir diese Fragen nicht selbst beantworten. Ich würde aber sofort daran glauben, dass “Der Teratologe” ein typischer Lee ist, weil mir der Schreibstil vertraut erschien und ebenso weil das Thema Religion wieder eine große Rolle spielt. Auch in diesem Roman wird das leuchtende und reine Bild, dass die Kirche ganz gerne nach außen hin zeigt, gewaltig angekratzt. Hier wirft der Leser einen Blick auf die düstere, menschliche Seite der Geistlichen und darf dabei sein, wenn diese freigesetzt wird.
Geld regiert die Welt. Wie vielseitig und manipulativ man es einsetzen kann, wenn der Betrag stimmt, ist auch so ein Punkt, den Lee gerne mal anspricht. Wer sich also im Dschungel der Perversitäten zurecht findet, entdeckt schließlich doch noch so etwas wie einen halbwegs sinnvollen Inhalt. Das und der wirklich gekonnte Schreibstil des/der Autoren rettet den Roman schließlich auch davor, endgültig in der Trash-Schublade zu landen.
Nachdem ich mich tapfer durch all den kranken Scheiß gelesen habe, erwarte ich eigentlich immer eine Belohnung in Form von fantastischen Inhalten. Diese bekomme ich dann schließlich auch geliefert – leider (wie bei “Das Schwein”) viel zu spät und vor allen Dingen viel zu wenig davon. Das explosive, fantastische, wirklich heftige und farbenprächtige Ende kam leider viel zu schnell und exekutierte die Story an der Stelle, an der sie für mich erst so richtig los ging. Trotzdem kann ich nicht aus meiner Haut und betrauere offiziell und ungeschönt das Ende dieses Romans. Ich hätte gerne noch länger daran gelesen. Das ist wohl das Geheimnis dieser Bücher. Sie enden dann, wenn man gerade richtig angefixt ist – so gerade eben die richtige Dosis, die man braucht, um schmachtend auf einen neuen Band zu warten.
Fazit:
“Der Teratologe” von Edward Lee und Wrath James White hält, was der Klappentext verspricht. Leser, die mit ihrem ersten Lee (sofern es nicht “Innswich Horror” war) bereits Probleme hatten, werden sicher auch mit diesem Buch nicht warm werden. Seid so gut und lest etwas, mit dem Ihr zurecht kommt. “Der Teratologe” ist für Hardcore-Fans, die wissen, was sie zu erwarten haben. Ich bin so jemand. Deswegen gebe ich grünes Licht für Gleichgesinnte und den erhobenen Zeigefinger für Stressherpespatienten.