Titel: Das Science Fiction Jahr 2011 Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Vor vielen, vielen Jahren begann der Wilhelm Heyne Verlag mit der Herausgabe des Heyne Magazins, unter der Leitung von Wolfgang Jeschke. Aus dem vierteljährlichen interessanten Magazin wurde Jahre darauf das Science Fiction Jahr, da sich nicht genügend Leser für ein vierteljährliches Magazin in Taschenbuchform begeistern konnten. Nun erscheint bereits seit mehr als zehn Jahren das Science Fiction Jahr mit fortlaufender Jahreszahl. Das SF-Jahrbuch ist für mich bereits eine liebgewordene Tradition geworden. Und wie immer ist es in vielen Teilen sehr aktuell, in anderen wird auf die Vergangenheit ein Rückblick genommen und über Themen berichtet, die in den letzten beiden Jahren interessant und lesenswert waren oder die sogar kontrovers diskutiert wurden. Hauptthema dieses Jahr ist die Future History, eine frei erfundene Geschichtsschreibung der Zukunft. Nachdem das Thema bereits für letztes Jahr angekündigt wurde, findet es sich, weil angeblich zu umfangreich, nun hier. Diese Art der SF ist nun nicht neu, eins der bekanntesten Beispiele ist sicherlich Isaac Asimov mit seinem Psychohistoriker Hari Seldon. Bereits im Jahr 1979 erschien im Olde Hansen Verlag ein großformatiger Bildband mit dem Titel Kriege im All. Dort wurde eine fiktive Geschichte der ins All expandierenden Menschen beschrieben. Eine Fülle von Bildern der unterschiedlichsten Künstler wie Voss, Vallejo etc. zeigte Planeten und vor allem Raumschiffe. Neben diesem Einzelband erschienen wenig später weitere Bände in Folge mit jeweils einem bestimmten Thema. Natürlich darf in diesem Zusammenhang die Serie Perry Rhodan nicht fehlen, die Anfang Oktober im Rosengarten Mannheim einen bescheidenen 50. Geburtstag feierte. Genauso bescheiden wie der Beitrag von Hartmut Kasper. Wesentlich lesenswerter waren die Beiträge von John Clute und Stephen Baxter zu diesem Thema. Das Hauptthema wird fortgeführt mit Beiträgen von Sascha Mamczak, Karsten Kruschel, Karlheinz Steinmüller und anderen zu den Autoren Stapleton, Heinlein, Asimov und den Gebrüdern Strugatzki. Sie werfen zwar einen gelungenen Blick auf das Hauptthema, handeln es aber auf insgesamt knapp 200 Seiten relativ kurz ab. So viel zum Thema umfangreich.
Für die sich nicht besser zu beschäftigen wissenden Spieler am PC sind die Computerspielrezensionen von gewichtigem Interesse, können jedoch nur als veraltet gelten, da die entsprechenden Spielezeitschriften wesentlich aktueller sind. Mit einem etwas anderen Konzept könnte die Spalte der SF als Bibliographie genutzt werden, indem man mehr über die Spiele berichtet und nicht von den Spielen und ihrem Spielspaß.
Vom neuen Weg, ein Magazin zu schreiben, liest und hört man auf den Seiten des Artikels von Uwe Neuhold: Unter der Überschrift Wie klingt die Zukunft? schreibt er mehr als nur ausführlich über Science-Fiction-Filmmusik und andere zukünftige Ohrwürmer. Der Beitrag ist mit zahlreichen Scanner-Codes versehen, die es ermöglichen sollen, über ein Smartphone den entsprechenden Melodien zu lauschen. Ich persönlich kann dazu nichts sagen, denn ich bin handylos glücklich.
Der vorliegende Almanach kann schon gar nicht mehr als Taschenbuch bezeichnet werden. Manch einer hat sich über den hohen Preis für ein Buch dieses Formats beschwert. Im gleichen Zusammenhang kaufen sie aber gebundene Bücher die, umgerechnet auf die Seitenzahl, das Drei- bis Vierfache kosten würden. Man kann einem Leser natürlich nicht alles recht machen. Vielen wird in der modernen Zeit einiges recht antiquiert vorkommen, und so wären die Überarbeitung verschiedener Bereiche und eine eventuell andere Möglichkeit der Präsentation erstrebenswert. Einen Weg dazu zeigt der Musik-Artikel. Bei anderen Artikeln wie etwa über die Future History sollten vielleicht neuere Autoren in den Vordergrund rücken. Dafür wäre es sicherlich interessant, über neue Strömungen, wie etwa den Steampunk, zu berichten oder aber die Welle der Untergangsszenarien bei den Jugendbüchern.
Alles in allem ist das Buch aber immer noch lesenswert. In der Fülle wird nicht jeder Beitrag jedem Leser gefallen. Für das Buch gilt aber weiterhin ein unbeschränktes Empfehlenswert.
Der Inhalt, kurz gelistet:
Stephen Baxter: Von der Entstehung der Zukunft. Future Histories in Literatur und Film
John Clute: Die helle und die dunkle Seite des amerikanischen Traums. Die Geburt der Future History aus dem Geist der Pulps
Karsten Kruschel: Vorgebliche Landkarten des Künftigen. Von der Spiegelung der Gegenwart in die ferne Zukunft
Sascha Mamczak: Der Weg aus Onkalo oder Plädoyer für die Future History
Karlheinz Steinmüller: Die Spinne in der Badewanne. Olaf Stapledons visionäre Geschichte der Zukunft
Bartholomäus Figatowski: Am Puls der Menschheit. Ein Streifzug durch Robert A. Heinleins Future History
Richard Wagner-Glass: Das größte Märchen aller Zeiten. Die Roboter/Foundation-Saga von Isaac Asimov
Erik Simon: Der Mittag der Menschheitsgeschichte. Anmerkungen zum Zukunftszyklus der Gebrüder Strugazki
Hartmut Kasper: Unser Mann. Perry Rhodan: Eine vorläufig unendliche Geschichte der Zukunft
Gary K. Wolfe: Zurück auf Anfang. Der Weltuntergang in der Science Fiction ... und was danach geschieht
Uwe Kramm: "Wenn man die Grenzen der Menschlichkeit ausloten will, muss man die Menschen eben zum Äußersten treiben!" Ein Gespräch mit Peter Watts
Sascha Mamczak: "Es muss auch Autoren geben, die alles den Bach runtergehen lassen!" Ein Gespräch mit Adam Roberts
David Hughes: Alienated. Wie aus dem SF-Meisterwerk "Alien" ein Franchise wurde
Peter M. Gachler: Der weite Weg zum Publikum. Fritz Langs Großbaustelle "Metropolis" - die Entwicklungsgeschichte eines Mythos
Christian Endres: Was kostet die Katze? Was eine Neil-Haiman-Kurzgeschichte und die Zukunft der Filmfinanzierung miteinander zu tun haben könnten
Peter M. Gaschler: Flash Forward! Die ersten Turbo-SF-Serien des 21. Jahrhunderts
Peter M. Gaschler: Nummer 6 gibt nicht auf. Die britische Kultserie "The Prisoner"
Uwe Neuhold: Wie klingt die Zukunft? Eine Reise durch die Soundwelten der SF-Filme
Hartmut Kasper: Aliens, Nazis, Wunderwaffen und Kim Wilde
Hartmut Kasper: Über superheldenhafte Gartenarbeit, eine Unterschrift von Wonder Woman und Triumphzüge durch die Kulturgeschichte
Hartmut Kasper: Superhelden im Superformat
Christian Endres: Helden für alle. Die Superheldenserie "The 99" als Brückenschlag zwischen westliche und muslimischer Kultur
Hartmut Kasper: "The Rocketeer" - Eine Hommage mit Raketentornister
Christian Endres: Tierische Steampunk-Thriller. Ein quasi-viktorianisches Genre goes French in Bryan Talbots Graphic Novel "Grandville"
Hartmut Kasper: Die Hühnchen-Apokalypse. John Laymans und Rob Guillorys bissiges Comic-Debüt "Chew"
Thomas Gläser: Hollywoods Benutzeroberfläche. Wie SF-Filme und Interface Design sich gegenseitig beeinflussen
Julian Koschwitz: Schnittstelle Mensch. Spekulative Szenarien der SF und Entwicklungen im Hybrid Design
Usch Kiausch: "Vielleicht treffen wir ja irgendwann auch mal außerirdische Europäer..." Ein Gespräch mit Professor Harald Lesch
Uwe Neuhold: Quantenschwärme. Über die notwendige Revolution des Menschenbildes
Peter Kempen und Wolfgang Neuhaus: Kommunion in der Unendlichkeit. Eine kosmovirtueller Polylog
Rezensionen von:
Hartmut Kasper, Sascha Mamczak, Karsten Kruschel, Sven-Eric Wehmeyer, Franz Rottensteiner, Hermann Urbanek, Gundula Sell, Christian Endres und anderen mehr.
Zudem finden sich einige Interviews mit SF-Schaffenden, die gewohnten Überblicke zur SF im Allgemeinen, auf der Leinwand und dem Bildschirm und Monitor, SF fürs Ohr und die allseits bekannten Priesverleihungen.