Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Nach dem großen Erfolg seines Erzählungenbandes Das Tor der Träume, der 2001 für einiges Aufsehen sorgte und eine zweite Auflage nach sich zog, erschien zu Beginn diesen Jahres eine weitere Zusammenstellung von phantastischen Erzählungen. Von den insgesamt elf Erzählungen sind bereits fünf vorab anderweitig erschienen.
Die Spannbreite der Erzählungen reicht diesmal von Horror über dunkle Phantastik und Märchen bis hin zu Science Fiction. Wobei diesesmal lediglich drei Stories der SF zuzurechnen sind. Auf alle Erzählungen möchte ich hier nicht eingehen, sondern werde mich auf die noch nicht anderweitig erschienen konzentrieren.
"Der Puppenmacher von Canburg" erinnerte mich stark an die Legende um den Rattenfänger von Hameln. Mit "Es war einmal eine kleine Stadt,..." beginnt Haubold seine Geschichte um einen Puppenmacher, der sich in einer kleinen Stadt niederläst, deren Bürger fast ausschließlich von der Zucht einer bestimmten Hunderasse leben. Eifersüchtig sind sie darauf bedacht ihr Monopol zu halten und so sehen sie jedem Fremden mit Argwohn entgegen. Auch der Puppenmacher wird von ihnen nur mitleidig belächelt. Schon bald, so prophezeien sie, wird er aufgrund schlecht gehender Geschäfte die Stadt wieder verlassen. Dank der Kinder aber, die ihm ihr Spielzeug zur Reparatur geben, hält er sich in der Stadt und kann diese sogar von einer Krähenplage befreien. Den dafür eingeforderten Lohn erhält er nicht und so nimmt er die Angelegenheit selbst in die Hand.
Die Erzählung endet bei weitem nicht so grausig wie die des Rattenfängers. Haubolds Geschichte ist weitaus besser für Kinder geeignet. Ich würde sie als märchenhafte Phantastik bezeichnen.
Bei "Die Stimme des Blutes" handelt es sich um eine Horrorstory mit konventionellem Inhalt und Erzählstrang. Der junge Christoph, ein Kenner alter Schriften und Bücher, die über geheime Praktiken, Hexen, dunklen Mächten usw. berichten, nimmt die Einladung eines seiner Brieffreunde an. Dieser möchte ihm einige seiner Schätze vorführen. Natürlich kann Christoph nicht wiederstehen und macht sich auf den Weg in einen abgelegenen Teil der Republik. Das für Christoph interessanteste Werk berichtet über einen Wolfskult. Das dieser sehr lebendig ist, spürt der junge Mann alsbald am eigenen Leib.
In einem ruhigen Stil, der nicht mit dem moderner Horrorstories vergleichbar ist, schildert Haubold die Geschehnisse. Ein wenig brutal wird es zum Schluß zwar, aber drastischere Schilderungen, die durchaus möglich gewesen wären, vermeidet der Autor.
Eine etwas härtere Gangart legt Haubold in "Sieben" ein. Ein Seriekiller bewegt sich durch die Nacht, auf der Suche nach einem neuen Opfer. Es ist Halloween und da er über eine kleine Statur verfügt, fällt er unter den verkleideten Kindern und Jugendlichen kaum auf. Frei kann er sich seinem Opfer nähern, einer jungen Mutter, die vor kurzem ihren Ehemann verloren hat und über dieses Ereignis noch nicht hinweggekommen ist. Scheinbar läuft alles nach Plan für den Killer. Bis zu dem Zeitpunkt jedenfalls als der tote Ehemann plötzlich auftaucht und sich einmischt.
Diese Story ist realistischer und gegenwärtiger verfaßt. Der Stil gradlinieg und modern in der Wortwahl. Es wird nichts beschönigt oder ausgelassen, sondern Haubold schildert das Leiden sowohl der Frau wie auch des Serienkillers, aus deren jeweiligen Perspektiven die Geschichte auch erzählt wird.
"Die Rakete" spielt vor dem Hintergrund einer sich zum negativen hin weiterentwickelten Weltlage. Zum Gedenken eines ihrer Freunde, der bei einem Terroranschlag ums Leben kam, haben seine Freunde eine Rakete gebaut. Gewidmet ihrem Freund, der von den Sternen fasziniert war. Alles läuft im geheimen ab, niemand außerhalb ihrer Gemeinschaft darf etwas von diesem Projekt erfahren, was auch klappt. Jedenfalls bis kurz nach dem Start.
Beginnt die Story noch wie eine der Geschichten in denen jugendliche Amerikaner sich an die guten Zeiten ihrer Jugend zurückerinnern, an warmen Sommertagen, jugendlichen Streichen usw. und dies alles aus einer verklärten Sichtweise heraus, so endet sie doch ein wenig anders. Zwar ist am Ende dann doch wieder alles in Lot und entspricht den verklärt, patriotischen Stories amerikanischer Autoren, aber ein Teilstück paßt nicht so richtig ins Schema. So geht ein wenig Zusammenhang verloren, da die Intention des Autors nicht ganz klar wird.
Die SF-Stories "Unter dem Regenbogen", "Die weißen Schmetterlinge" und "Die Abbadon-Mission" sind bereits jeweils in FANTASIA 156, NOVA 3 und DEUS EX MACHINA erschienen.
Lediglich die letzte Erzählung "Der traurige Dichter" erblickt meines Wissens hier zum ersten Mal das Licht der Öffentlichkeit. Ort der Handlung ist wieder einmal der Mars wie schon in "Die weißen Schmetterlinge".
Ein Dichter lebt als Einsiedler weit ab der nächsten Siedlung am Rande eines Sandmeeres. Hierhin hat er sich zurückgezogen und schreibt, umgeben von völliger Einsamkeit, an seinen Geschichten, in denen er seine Vergangenheit und die für ihn "guten Tage" wieder auferstehen läßt.
Oftmals nimmt er Manuskriptseiten mit auf seinen Spaziergängen und überarbeitet sie am Rande des Sandmeers. Eines Tages dann werden ihm einige Seiten durch einen Windstoß aus den Händen gerissen und ins Sandmeer geschleudert. Kurz darauf findet er sich als Hauptfigur in einer seiner Geschichten wieder. Geschichten, die der Leser bereits aus dem vorliegenden Erzählungsband kennt. Frank W. Haubold in Gestalt des traurigen Dichters?? Jedenfalls versucht dieser das Sandmeer zu bewegen seine in Geschichten gefaßte Vergangenheit wieder auferstehen zu lassen. Ein Unterfangen, welches dem Dichter an die Wahrheit seiner eigenen Vergangenheit zurückführt.
Diese Story hat mir ausgesprochen gut gefallen. Haubolds Wortwahl erinnerte mich wiederum an Märchen und weniger an SF. Der traurige Dichter verfügt über keinen Eigennahmen, sondern taucht nur als "trauriger Dichter" in der Geschichte auf. Der Handlungsort ist der SF entlehnt, könnte aber durchaus auch auf der Erde am Ufer eines Binnensees gelegen sein. Die Handlung als solche ist der Phantastik zuzuordnen, beinhaltet aber Elemente anderer Genres. Die Erzählweise ist dem Ort angepaßt, ruhig und bedächtigt schreitet die Handlung fort. Alles hektische bleibt außen vor.
Obwohl ich einige der Erzählungen schon kannte, habe ich alle elf hintereinander weg gelesen. Auffällig ist die unterschiedliche Erzählweise der Geschichten, wobei ich keine als schlecht oder nicht passend bezeichnen würde. Haubold ist in der Lage in verschiedenen Genres auf gleichbleibendem Niveau zu schreiben und deckt somit eine große Bandbreite der Phantastik ab, wobei ich die Fantasy hier ausnehmen muß. Leser von SF, dunkler Phantastik, Märchen und Horror dürften für sie lesenswerte Beiträge vorfinden.
Da die Bandbreite der Erzählungen so weitreichend ist, kann ich mir durchaus vorstellen, dass diese Zusammenstellung eine breite Leserschaft finden wird. Ich gehe auch davon aus, dass die eine oder andere Erzählung sich auf den Nominierungslisten der Phantastikpreise wiederfinden wird.