Serie / Zyklus: Utopisch-Phantastische Bibliothek, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Ulrich Blode |
Das Automatenzeitalter ist das einzige Buch des Ingenieur-Chemikers Ludwig Dexheimer (1891-1966). Unter dem Pseudonym Ri Tokko veröffentlicht er 1930 die Utopie Das Automatenzeitalter. Die vorliegende Ausgabe basiert auf dem 1929 oder 1930 entstandenen Typoskript und der unvollständigen Druckausgabe des Wiener Almathea-Verlags vom November 1930. Der Herausgeber Ralf Bülow präsentiert dem Leser die vollständige Fassung des Automatenzeitalters mit all ihren Stärken und Schwächen.
Die Handlung ist die Voraussetzung für das Erkunden der Erde im Jahr 2500. Mi und Lu treffen sich am Strand von Capri, werden Freunde und begeben sich auf eine Reise um die Welt. Sie treffen Freunde, Wissenschaftler, erholen sich an Freizeitorten und vieles mehr. Das Paar entdeckt auf einer Arktisinsel eine Kälteschlafkammer, sie besuchen Wetterstation, Zentralmuseum und -küche, Fabrikanlagen, Gärten, die Arktis ...
Heimat der Protagonisten ist die Automatenstadt, die zwischen Alpen, Seine und Oder liegt. 200 Millionen Villengrundstücke mit je 1000 Quadratmetern bilden die gigantische Stadt, die die Menschheit beherbergt. Mi und Lu (eventuell am Vornamen des Autoren angelehnt) sind wie die meisten akademisch ausgebildet, denn die Wissenschaft nimmt einen bedeutenden Platz ein.
Eine größere Bedeutung als die Handlung haben die technischen und sozialen Ideen für das Buch. Oft dienen einzelne Situationen, wie der Besuch eines Vortrages, als Grund für lange deskriptive Passagen, die die Zukunftswelt in vielen Einzelheiten erläutern. Es gibt Homaten, die Robotern ähneln, Wetterlenkung, moderne Verkehrslenkung, modernen Wohnungsbau, Solarenergie und Recycling. Anstelle über das Internet, informiert sich die Informationsgesellschaft durch Funk- und Fernsehen und kann dabei auf Speicher mit unzähligen Filmen, Bildern und Büchern zugreifen. Nanoelektronik, Klonen und weitere Technologien kommen in Tokkos Utopie vor. Neben all der Technik ist auch die Menschheit gereift und hat viele ihrer schlechten Angewohnheiten abgelegt. Das Buch durchzieht ein "radikaler Pazifismus und Individualismus" (Bülow, 2004). Ralf Bülow weist zudem in der Einführung auf zwei Gedanken im Automatenzeitalter hin, die heute von den meisten Menschen abgelehnt werden: das wären die Blutrache und die Eugenik, die das Töten von behinderten Neugeborenen erlaubt. Letzteres entspricht dem damaligen Zeitgeist, entspringt aber keinem rassistischen oder völkischem Denken Dexheimers.
Im Jahr 1938 verbietet die Reichsschrifttumskammer den Roman, weil er zu pazifistisch erscheint..
Es ist schwierig, bei einem derart umfangreichen Buch eine Lieblingsstelle auszuwählen, bei der man ins Träumen kommt. Da gibt es die kurze Beschreibung eines Sternenobservatoriums, das ferne Planeten entdecken kann. Oder "Im Reich der Korallen" begeben sich Mi und Lu ins Meer.
Botanische Themen kommen indes häufiger vor. Die Handlung und der Stil leiden oft unter den vielen erklärenden Passagen. Zwar ist die Einfallskraft des Autors faszinierend, doch als Leser wünscht man sich mehr Stellen, bei denen man alleine aufgrund der Schreibkunst ins Schwärmen kommt und nicht wegen der vielen Details.
Das Automatenzeitalter des Ri Tokko (Ludwig Dexheimer) ist der erste Band der Utopisch-Phantastischen Bibliothek des Shayol Verlags. Das Buch "explodiert" vor Einfallskraft und gleicht damit die dramaturgischen Schwächen aus. Es ist eine detailliert gezeichnete Welt, die zum Schluss einige Fragen für den Leser offen lässt. Üben diejenigen Homaten, die sich von den Menschen bevormundet fühlen, einen Aufstand? Wie gestaltet sich der Griff in den Weltraum? Außerdem entsteht Mis und Lus gemeinsames Kind in einem Inkubator ...
Ralf Bülow und der Shayol Verlag sind für ihre Arbeit zu loben. Die Ausstattung und Präsentation des Buches ist gelungen. Bülow liefert sachkundig die Einleitung und ein editorisches Nachwort. Zudem liefert Dexheimer, über den man nur wenig weiß, eine knappe Beschreibung seines Lebens. In Die Wissenschaft von der Zukunft erklärt er, dass Extrapolationen möglich sind, aber ungenauer werden, je weiter sie in die Zukunft gehen, bzw. dass sie nicht jede Erfindung voraussagen können. Mehr als siebzig Jahre nach der Erstausgabe erscheint der vollständige Roman bei Shayol und ist aufgrund der limitierten Auflage von 222 Exemplaren entsprechend teuer. Das Titelbild ist dem Schutzumschlag der Erstausgabe aus dem Almathea-Verlag entnommen. Das Automatenzeitalter ist historisch und aktuell zugleich, ein Muss für jeden Science-Ficton-Fan und Phantastik-Begeisterten sowie historisch-technisch Interessierte.
Inhalt
9 Einführung
17 Lebenslauf
19 Leitwort: Die Wissenschaft von der Zukunft
23-787 Das Automatenzeitalter: Kapitel 1-71
788 Zeittafel
790 Editorisches Nachwort