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Serie: Reisende im Wind, Band 6.1 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Anlässlich der deutschen Neuauflage von François Bourgeons fünfbändigem Zyklus „Reisende im Wind“ (Les Passagers du vent) erscheint bei Splitter in deutscher Erstveröffentlichung ebenfalls der abschließende zweibändige Zyklus „Das Mädchen vom Bois-Caïman“, dessen Handlung zwar auf den fünf ersten Bänden aufbaut und der deren Geschichte in Rückblenden vervollständigt, der aber auch ohne tiefere Vorkenntnisse wenn auch nicht in allen Details so doch im Großen und Ganzen nachvollziehbar bleibt.
Wir schreiben das Jahr 1862: Inmitten des amerikanischen Sezessionskriegs bricht die 18-jährige Isabeau „Zabo“ Murrait vom feucht-stickigen New Orleans aus auf, um ihren jüngeren Bruder Nano auf dem Anwesen ihrer Urgroßmutter in Baton Rouge zu besuchen. Nach einem Zwischenstopp bei einem befreundeten Pfarrer, der ihr ein kleines Paket aushändigt, sowie einem kurzen Halt am ihrem durch den Krieg zerstörten Elternhaus macht sich die junge Frau per Steamboat auf den Weg Richtung Nord-Westen.
Auf der von Yankees besetzten Plantage Nottoway trifft sie den Adressaten ihres Päckchens, den Fotografen Coustans, welcher sich entscheidet, Zabo auf ihrer Reise hinter die Frontlinie des Bürgerkrieges zu begleiten. Nach einigen kleineren Zwischenfällen, die den beiden die Schrecken und Folgen dieses Krieges vor Augen führen, erreichen sie schließlich das Anwesen Lanette der 98-jährigen Ahnfrau.
Als die alte Isabeau Murrait ihre Lebensgeschichte zu erzählen beginnt, die von Gefängnissen, Kriegen und der Sklaverei handelt, begreift die junge Isabeau Murrait schnell, dass sie beide weitaus mehr als nur der Name verbindet.
Der amerikanische Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 wurde nicht nur in unzähligen Sach- bzw. Fachbüchern thematisiert, sondern war/ist auch Gegenstand von Romanen, Kinofilmen oder TV-Shows. Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ (Gone with the Wind) oder John Jakes Roman-Trilogie - „North And South“, „Love And War“ und „Heaven And Hell“ -, welche als Vorlage für die TV-Serie „Fackeln im Sturm“ diente, sollten den meisten Leser zumindest vom Hörensagen her ein Begriff sein. Weniger bekannt dürfte innerhalb des deutschen Publikums hingegen sein, dass der Sezessionskrieg seit geraumer Zeit auch im Comic Einzug gehalten hat, wenn auch der Fokus dieser grafisch oft unterirdisch schlechten Produktionen eher auf der militärischen und/oder didaktischen Ebene liegt.
In „Das Mädchen vom Bois-Caïman“ nimmt sich mit François Bourgeon ein Franzose dieses uramerikanischen Themas an, wobei man durchaus im Hinterkopf behalten sollte, dass Frankreichs Geschichte auch mit der Kultur insbesondere Louisianas verknüpft ist.
Bourgeons Blickwinkel auf diesen Abschnitt amerikanischer Vergangenheit ist alles in allem ein relativ distanzierter, das heißt der Autor umreißt in seinem ruhig erzählten „Comicroman“ mit der Akkuratesse eines Historikers weitgehend ohne Melodramatik oder Pathos Weg und Wesen seiner Protagonisten. Die Kehrseite der Medaille ist, dass der Leser, wenn überhaupt, dann nur sehr zögerlich eine emotionale Beziehung zu den Figuren aufbaut. Relativiert wird dieser Mangel durch das extrem hohe Maß an Authentizität, denn auch wenn die Figuren selbst sowie deren Schicksal einem nicht nahe gehen, so erwächst alleine aus dem Gefühl, amerikanische Geschichte „hautnah“ mitzuerleben, hinreichend Spannung.
Ein dramaturgischer Trick verstärkt die Authentizität: Übersetzt wird nur die Grundsprache Zabos und Coustans' - Französisch -, während das Englisch der Yankees und das Kreolisch der Sklaven im Original belassen und erst, um den Lesefluss nicht zu stören, im Anhang erläutert werden.
Während die Story „nur“ interessant und außergewöhnlich ist, ist das Artwork schlichtweg überwältigend. Mit seinen rechteckigen, unterschiedlich großen Panels folgt Bourgeon zwar einem konventionellen Seitenlayout, durchbricht das strenge Schema jedoch immer wieder durch kleine Bilder innerhalb von Bildern, wodurch er dem Artwork einen leicht cineastischen Anstrich verleiht.
Die herausragendsten stilistischen Merkmale jedoch sind der Detailreichtum und der hohe Realismus der Bilder, die nicht nur die grandios stimmungsvollen Landschaften oder die mit Akribie gezeichneten architektonischen Bildelemente auszeichnen, sondern die sich in den Proportionen der Figuren, der „Kostümierung, den Faltenwürfen der Kleidung, den zahlreichen Accessoires bis hin zur natürlichen und atmosphärisch intensiven Koloration niederschlagen.
Fazit: ein hochauthentischer Comic, dessen grandioses Artwork in Verbindung mit der historischen Genauigkeit das Bild einer zerrissenen Gesellschaft in der Hitze der amerikanischen Südstaaten zeichnet.