Reihe: Mercy, Band 1 Eine Rezension von Damaris Metzger |
Inhalt/Verlagsinfo
Mercy weiß nicht, wer sie ist. Sie hat nicht mal einen eigenen Körper. Manchmal wacht sie einfach in einem anderen Menschen auf und übernimmt für kurze Zeit sein Leben. "Souljacking" heißt dieser Fluch, dem sie willenlos ausgeliefert ist. Erst als sie Ryan trifft, wird alles anders: Mercy verliebt sich - zum allerersten Mal. Doch Ryan braucht mehr als ihre Liebe, er braucht Hilfe. Seine Schwester wurde entführt und nur Mercy kann sie finden. Denn in Mercy schlummert eine uralte Macht. (Text- und Bildquelle: Ravensburger Buchverlag)
Mehr zur "Mercy"-Reihe unter www.souljacking.de
Über die Autorin
Rebecca Lim wurde in Singapur geboren und wuchs in Australien auf. Sie studierte Jura und Wirtschaft an der Universität von Melbourne, bevor sie Romane für Jugendliche und Erwachsene zu schreiben begann. Rebecca Lim lebt zusammen mit ihrem Mann und drei kleinen Kindern in Melbourne.
Rezension
Der erste Satz: Irgendwas stimmt nicht mit mir.
Wer bin ich? Diese Frage beschäftigt Mercy, solange sie sich erinnern kann. Mit Mühe kann sich Mercy an ihren Namen und ihr Aussehen erinnern. Doch sie ist körperlos. Sie wacht in immer anderen Körpern auf, führt diese eine Weile, bevor sie den Körper wieder verlässt und zum nächsten weiterzieht. Diesen Prozess kann Mercy nicht beeinflussen und zwischen ihr und dem menschlichen Körper findet auch keine Kommunikation statt. Mit den wechselnden Körpern verblasst auch die Erinnerung in diese. Mercy kann sich maximal an zwei vorangegangen Menschen erinnern.
Ich kann mich nicht erinnern, wer ich bin oder wie ich hierherkam. Ich weiß nur: Wenn ich aufwache, kann ich alles sein, egal welches Alter, egal wer. Wieder einmal. So ist es immer.
Wenn ich mich zu sehr zu Hause fühle, wache ich eines Morgens auf, und alles um mich herum hat sich über Nacht verändert. S. 5
In "Gefangen" wacht Mercy im Körper von Carmen auf. Diese gehört zu einer Highschool-Gruppe, die auf dem Weg zu einer Partnerschule ist, um zusammen mit verschiedenen Schulen ein Chor-Konzert zu geben. Und hätte Mercy-Carmen nicht genug damit zu tun, ihren aktuellen Körper kennen zu lernen, wird sie am Zielort auch noch bei Familie Daley untergebracht, der Problemfamilie im Ort. Hier ist etwas Schlimmes passiert, dies spürt Mercy sofort, als sie ihren Gasteltern die Hand schüttelt. Mercy-Carmen erfährt, dass vor zwei Jahren die Tochter der Familie entführt wurde. Die Eltern versuchen, die Tatsache zu akzeptieren, dass sie tot ist. Aber Ryan, der verschlossene Sohn der Daleys, sucht immernoch verbissen nach seiner Schwester. Mercy kann nicht anders, sie muss Ryan helfen.
Mercy Zerrissenheit ist sofort nach dem Einstieg ins Buch spürbar. Ihre Gedanken zu ihrem Dasein sind so komplex und bizarr, dass man das Gelesene erst begreifen und sich dann etwas orientieren muss. Das erfordert eine hohe Konzentration, die man aber gerne aufbringt. Was man liest ist nämlich richtig gut!
Die ausdrucksstarke Sprache fesselt ab Seite 1. Sie ist sehr nüchtern und nicht kompliziert - bedient sich oft kurzen Sätzen, die manchmal auch nur aus einem Wort bestehen. Dabei wirken Mercys Erzählungen durch viele Metaphern und Vergleiche sehr bildlich. Durch die eingängliche Sprache wirken sie aber nie überladen oder vollgestopft. Mercys Gedankengänge sind so immer gut nachvollziehbar.
Die im Klappentext beschriebene Liebesbeziehung von Mercy-Carmen zu Ryan nimmt den kleinsten Teil der Geschichte ein. Richtig existent ist sie nie. Das ist aber auch gut so, denn würde sie im Vordergrund stehen, würde das dem ohnehin recht kurzen Buch den eigentlichen Kerninhalt wegnehmen. Und der behandelt eindeutig Ryans Suche nach seiner verschwundenen Schwester und Mercys Frage WER, bzw. WAS sie ist. Der Leser verfolgt so schnell einen Kriminalfall, den Ryan, zusammen mit Mercy-Carmen, lösen möchte. Die Anfänge ihrer Privatermittlungen sind etwas abrupt, die Geschichte kommt so aber schnell ins Rollen und hält sich nicht mit einer langen Einleitungsphase auf.
Stellenweise wirkt der Roman wie ein realer (Jugend-)Thriller, dann wird die Handlung wieder so überirdisch mystisch, dass man fast schon ehrfürchtig innehalten möchte. Die Frage, mit was man es hier zu tun hat, warum Mercy (dt. Erbarmen, Gnade, Mitleid) sich so nennt und was ihre Vergangenheit ist, nagt an einem und kann keinesfalls einfach beantwortet werden.
Die Hauptprotagonistin Mercy erzählt die Geschichte in der Ich-Form, im Präsens. Sie ist auch die Person, die am besten charakterisiert wurde. Ihre Gefühle sind plausibel, ihr Charakter gut durchdacht und sympathisch. Teils etwas ruppig, aber sehr schlagfertig und nachdenklich, ist sie ein wirklicher Sympathieträger. Dass sie Ryan als außerordentlich attraktiv betitelt und dies auch ab und an wiederholt wird, stört die Handlung nicht. Dazu steht sie viel zu sehr im Vordergrund. Leider wird Ryan seinem verschlossenen, düsteren Bild tatsächlich gerecht, und man erfährt wenig von seinen Gefühlen. Er bleibt zu blass. Das ändert sich zwar in den letzten Kapiteln, für echte Sympathie ist es dann doch etwas spät. Hier muss man auf die Nachfolgebände hoffen.
Alle Nebencharaktere haben den richtigen Platz in der Geschichte und fügen sich nahtlos in diese ein.
Einige Szenen sind, im Verhältnis zur Kürze des Buches, etwas lang geraten. So hätten die Chorproben in der Schule etwas weniger Umfang einnehmen können, dafür hätte den spannenden Szenen mehr Länge nicht geschadet.
Dem aufmerksamen Leser werden zwei kleine Logikfehler auffallen. So wird die Lehrerin Miss Dustin einmal mit Miss Justin betitelt (...bei den ganzen Dustins und Justins kann man aber auch ins Schleudern kommen!). Außerdem wird ein Mädchen mehrfach als strohblond beschrieben, streicht sich an einer Stelle aber das lange schwarze Haar aus dem Gesicht. Nicht schön, aber schnell wieder vergessen.
Auf die richtige Spur im Kriminalfall kommt man kaum. Geschickt wird man von der Autorin an der Nase herumgeführt, da sie immer neue Spuren und somit verschiedenen Verdächtige streut. Wenn man dann meint, man hat die Lösung, kommt es doch ganz anders. Jeder Leser sollte sich auf einen sehr beklemmenden Schluss gefasst macht, der so auch für einen Psychothriller für Erwachsene geschrieben sein könnte. Sehr hart, weil anhand der bisherigen Geschichte völlig unerwartet!
Zu einer eindeutigen Aussage, was Mercy ist, kommt es nicht. Man bekommt höchstens einen Lösungsansatz und wird sich seine eigenen Gedanken machen. Infolgedessen ist man am Ende auch etwas geplättet und verwirrt. Aber das ist gut so! Der Ravensburger Buchverlag geht hier neue Wege und alle Titel der "Mercy"-Reihe erscheinen kurz hintereinander. Sehr schön!
Persönliches Fazit
"Mercy: Gefangen" hat eindeutig gehalten, was es auf dem Cover verspricht. Es nahm mich gefangen! Anfangs fasziniert, mittig interessiert und am Ende elektrisiert, werde ich die Folgebände unbedingt im Auge behalten. Die Kombination aus (Jugend-)Thiller und Fantasy hat mich hier überzeugt, obwohl sie sich ganz anders darstellt, als beispielsweise in "Bodyfinder". Vorhandene Kritik, wie ausbaufähige Charaktere und mehr Ausgewogenheit in der Handlung, könnte in den Folgebänden einiges an Boden gut machen. Ich war überrascht, was in diesem dünnen Buch steckt und gebe für diesen Serienauftakt 4 von 5 Sternen.