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Titel: Mein Leben als Waffe
Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
„Das sieht übel aus. Ich treib mich ab und zu mit den Rächern rum. Die haben Rüstungen. Zauberkräfte. Superkräfte. Staub zum Schrumpfen. Strahlen zum, Wachsen. Heilfaktoren. Ich bin nur ein Waisenjunge, der bei Schaustellern aufwuchs und mit einer Waffe aus dem Paläolithikum kämpft.“, so dachte Hawkeye bevor er aus großer Höhe auf ein Autodach klatschte, nur um im Krankenhaus mit zahlreichen Knochenbrüchen zu erwachen.
Zeit seines Daseins – und die Geburtsstunde unseres Helden datiert auf das Jahr 1964 – war Hawkeye immer nur eins: irgendwie da! Ihm fehlte nicht nur die vigilante Coolness eines Green Arrows, seines DC-Pendants, auch in künstlerischer Hinsicht war Bedeutsamkeit eher kein Markenzeichen dieses Helden.
Beides hat sich mit dem 2012'er-Relaunch der Figur so grundlegend geändert, dass es 2014 in einem Eisner Award in der Kategorie „Best Single Issue“ für Heft #11 gipfelte, einem durch und durch innovativen Comic, das auch im vorliegenden fetten Sammelband enthalten ist (dass David Aja schon 2013 zwei Awards abgreifen konnte, sei nur am Rande erwähnt). Doch der Reihe nach:
Nachdem sich unser Held – Clint Barton alias Hawkeye - von seinem tiefen Fall leidlich erholt hat, führt sein erster Weg zurück in seine karge Wohnung in einem schäbigen Haus in einer heruntergekommenen New Yorker Straße; jedoch nicht, um sich weiterhin der Rekonvaleszenz hinzugeben, sondern um einen handfesten Streit mit seinem russischen Vermieter, den er ob seines Mietwuchers politisch unkorrekt als Ballonseiden-Dracula bezeichnet, von Zaun zu brechen, der schlussendlich und nach einigen Schmerzen damit endet, dass Clint fürderhin ein Kampfhund namens Arrow begleitet und er Besitzer einer Mehrfamilienbruchbude ist.
Im Namen der Gerechtigkeit werden Hawkeye und seine junge, brillante Freundin – in nicht sexuellem Sinne – Kate Bishop, aktiv, als sie während einer „High Society“-Verantstaltung einer Verbrecherband, die die „Richie Rich“-reichen Gäste ausnehmen will, die Suppe versalzen. Bedauerlicherweise gerät Clint durch diese Aktion damit zum ersten Mal in das Visier von Wilson Fisk alias Kinpin, dem kahlköpfigen Super-Schurken.
Und das Leben hält noch andere Fährnisse für unseren Helden bereit, angefangen bei einer Inventur seiner Pfeilsammlung einschließlich Sortieren und Beschriften über das Wiederbeschaffen eines kompromittierenden Videobandes, das ihn dabei zeigt, wie er einen Verbrecher eiskalt exekutiert und das in den falschen Händen mindestens eine Rächer-Krise, wahrscheinlich aber ein Staatskrise auslösen würde, bis hin zu einem Vorweihnachtsblues. Und dann wären da noch das weibliche Geschlecht, das für Hawkeye genauso rätselhaft wie unwiderstehlich ist und immer eine veritable Ohrfeige – buchstäblich oder metaphorisch – für unseren Helden bereit hält.
Was für DC-Fans Green Arrow, ist für Marvelianer Hawkeye; die einzige Gemeinsamkeit der beiden Helden nach ihrer beider Relaunch ist jedoch nur noch die paläolithische Waffe. Während die Neuauflage des Grünen Pfeils vor allem durch schlechtes Storytelling, oberlangweilige Charaktere und ein – euphemistisch ausgedrückt - durchwachsenes Artwork von sich reden macht, ist Marvel mit der neuen Hawkeye-Serie ein grandioses Stück Comic-Unterhaltung gelungen.
Im Mittelpunkt der an der Grenze zwischen (Crime)Noir- und Superhelden-Comic angesiedelten Geschichte steht der Mensch Hawkeye, ein Held ohne Superkräfte, der ganz in der Banalität des „realen“ Lebens verhaftet ist und der sich den Fährnissen, die es für ihn bereit hält, mit Chuzpe und einer großen Klappe entgegen wirft. Da seine Rächer-Homies vor allem durch Abwesenheit glänzen, steckt er dabei ein ums andere Mal gehörige Prügel und Rückschläge ein, findet jedoch in der jungen, coolen und toughen Kate Bishop ebenso oft handfesten und moralischen Rückhalt.
Auch wenn sich die Welt des Helden durch evidente Widersprüche auszeichnet – hier das große Kapital, erworben oft durch Verbrechen, dort das Elend und der Schmutz -, ist das Comic weit davon entfernt, eine pessimistische Geschichte zu erzählen, denn Situationskomik sowie brillante, pointierte, lebendige und lakonische Dialoge verleihen dem Setting einen unterhaltsam trocken-komischen Grundton. Eine zweite Besonderheit der Serie sind der abwechslungsreiche, innovative Storyaufbau bzw. originelle Perspektiven, die gleichermaßen humorvoll wie spannend sind. Insbesondere das „Eisner Award“-gekürte 11. Heft sucht in einer Superhelden-Serie seinesgleichen.
Das Artwork ist zwar unterm Strich detailarm, kantig und skizzierend und erinnert darin an die Noir-Krimis eines Sean Phillips' oder die expressiven Zeichnungen eines Marcelo Frusin, ist aber dennoch und trotz der zurückhaltenden Koloration von mitreißender Lebendig- bzw. Natürlichkeit.
Fazit:
Menschlich, lebendig, humorvoll und einfach mitreißend. Eine neue Referenz für moderne Superhelden-Comics. Die mit Abstand beste Serie im aktuellen Marvel-Programm und das Highlight unter Paninis Megabänden.