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Interview mit Scott Lynch Scott Lynch wurde am 02.04.1978 in St. Paul, Minnesota, USA als ältester von drei Brüdern geboren. Er war Tellerwäscher, Keller, Web-Designer, Ausilfskoch, Büromanager, Werbetexter und anderes mehr. Er lebt mit seiner Frau Jenny in New Richmond, Wisconsin, USA.
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Was war Dein Antrieb, dieses Buch zu schreiben?
Scott Lynch:
Mein eigentliches Ziel im Leben war es, Comic-Bücher zu zeichnen, doch es stellte sich heraus, dass ich ein zweitklassiger Zeichner bin. Schreiben dagegen war etwas, das ich beherrschte, und ich hatte die Disziplin, das auch zu beweisen. So war es unausweichlich, dass ich früher oder später versuchte mein erstes Buch zu schreiben.
Erik Schreiber:
Woher kommen die Ideen für Deine Geschichten?
Scott Lynch:
Alles hat irgendwie Potential, wenn man es genauer betrachtet. Jedes Buch, das man liest, jeder Film, den man sich anschaut, jedes Magazin, jeder Tag ... da steckt keine große Magie dahinter. Man siebt die Inspiration aus der eigenen Erfahrung heraus.
Erik Schreiber:
Liebst Du Europa? Die Welt von Locke Lamora erinnert mich an Venedig, ist das das Vorbild?
Scott Lynch:
Ob ich Europa liebe? Ich denke, ich muss! Ich bin ein Geschichtsfanatiker und Fantasy-Leser, und so viele Stränge der traditionellen Fantasy stammen aus dem, was man in Nordamerika als europäische Erfahrung bezeichnet. Ich hatte einfach eine wunderschöne Zeit in dem kleinen Teil von Europa (Vereinigtes Königreich, Holland und Frankreich) und hoffe in Zukunft etwas mehr von dort zu sehen.
Camorr basiert nicht direkt auf Venedig, aber je mehr sich die Stadt entwickelte, desto mehr Parallelen kamen zum Vorschein. So entschied ich mich, einige Punkte bewusst zu platzieren.
Erik Schreiber:
In Deutschland bedeutet Locke: gebogene Haarsträhne. Welche Bedeutung hat der Name für Dich?
Scott Lynch:
Locke ist nach einem Final-Fantasy-VI-Charakter benannt. Das Spiel hatte um 1994-95 einen großen Einfluss auf mich. Eigentlich ist das nicht ganz richtig, es hat sogar noch heute einen großen Einfluss auf mich. Es ist einfach ein schönes Stück Arbeit, auch wenn 15 Jahre Entwicklung dazwischen liegen.
Erik Schreiber:
Ist Locke ein Alter ego von Dir, etwa ein Rollenspiel-Charakter?
Scott Lynch:
Locke basiert tatsächlich auf einem Charakter, den ich kurz in einem Spiel vor zehn Jahren gespielt habe. Ich mochte das Konzept der Geschichte und verbrachte Jahre damit, das Setting so zu gestalten, bis es mir gefallen hat. Um auf das Alter ego einzugehen, nun, Locke hat da schon einige Eigenschaften, die definitv mir gehören. Er ist aber gleichzeitig niemals eine Reflektion meiner selbst, noch war das jemals so gedacht. Er und ich widersprechen uns in so mancher philosophischer Sicht.
Erik Schreiber:
Spielst Du selbst RPG oder LARP?
Scott Lynch:
Leider nicht mehr so oft, wie ich es mal getan habe. Aber: Ja, ich war jahrelang ein begeisteter Spieler. Ich spielte Call of Cthulhu, Cyberpunk 2020, Vampire: The Masquerade, Ars Magica und einige andere. Ich schrieb auch einige LARP-Spiele, viele davon sehr schlecht konzipiert, und umso erstaunlicher, dass wir die alle irgendwie gemeistert haben. LARP war mein Hobby für ca. 7-8 Jahre, nur leider ist es schwierig, das Ganze aufrechtzuerhalten, da die Mitspieler älter werden oder umziehen.
Locke Lamora ist ein Edelganove, ich sehe ihn da in gleicher Weise wie etwa Arsène Lupin. Gibt es Zusammenhänge?
Scott Lynch:
Das ist eine Aussage, die ich schon oft gehört habe, leider, denn ich habe niemals eine der Arsène-Lupin-Geschichten gelesen und kann daher auch keine qualifizierten Aussagen darüber machen.
Erik Schreiber:
Welche Rolle spielt Sabetha? Sie ist mir ein wenig zu undurchsichtig.
Scott Lynch:
Ich denke, jetzt schon Sabetha zu kommentieren würde den Aufbau von “The Republic of Thieves“, in der sie die Chance erhält, für sich selbst zu sprechen, ruinieren. Ich weiß, es ist eine faule Ausrede, aber verzeih mir.
Erik Schreiber:
Welches Vorbild gibt es für den Stadtstaat Camorr? Venedig? Neapel? Mailand?
Scott Lynch:
Da ist schon ein Stück von Venedig in Camorr - die Kanäle, das Zeughaus, die Gondeln.
Erik Schreiber:
Ist der Name eine Anspielung auf die Camorra?
Scott Lynch:
Ja. Ich dachte mir, es ist ein schönes elegantes Wort, das auch ein wenig gefährlich klingt.
Erik Schreiber:
Welche Rolle spielt der "Graue König"? Ist er ein Emporkömmling, der die Stadt beherrschen will, und reicht ihm das?
Scott Lynch:
Ich warne die Leser, jetzt wegzuschauen, wenn sie dieses Buch noch nicht gelesen haben. Der „Grey King“ ist nicht der soziale Emporkömmling oder ein Unterdrücker im eigentlichen Sinn. Seine Sichtweise ist ziemlich beengt, und seine Eroberung der Unterwelt in Camorr ist nur eine Zwischenlösung, seine lang ersehnte Rache zu erleichtern.
Erik Schreiber:
Locke tritt nicht alleine auf. Warum eine Gruppe? War es Dir wichtig, jeder Person besondere Eigenschaften zuzuordnen, die einer allein nicht haben kann?
Scott Lynch:
Das sind die Hauptpunkte unseres Fachs. Man hat eine Gruppe von Individualisten mit relativ ausgeprägten Fähigkeiten und Spezialgebieten. „The Gentlemen Bastards“ sind ein bisschen in allem fähiger als der Standardcharakter, dennoch ist Locke der Kopf der Bande und der Manipulator, Jean die Muskelkraft, die Sanza-Brüder Mädchen für alles, und Bug der Spion und Späher. Allein wegen Camorr sind sie eine Gruppe. Es ist ein rauer und vielleicht auch unmöglicher Ort, um Platz für Einzelgänger zu lassen. Man braucht eine eigene Gruppe, um nicht von anderen Gruppen verdrängt zu werden.
Erik Schreiber:
Die Lügen des Locke Lamora war für mich ein abgeschlossenes Abenteuer. War es als Einzelbuch gedacht?
Scott Lynch:
Nein, es war schon immer als Serie gedacht. Eigentlich war das vierte Buch der Serie, “The Thorn of Emberlain“, die Originalgeschichte, doch ich habe beschlossen, das es weiser ist, ein paar Jahre vorzugreifen, damit der Leser die Gegebenheiten um Locke besser versteht.
Erik Schreiber:
Im zweiten Teil kommt die Küstenstadt Tal Verrar ins Spiel. Welches Vorbild hat sie?
Scott Lynch:
Tal Verrar hat keinen echten realen Ursprung. Tut mir Leid.
Erik Schreiber:
Inwieweit kennst Du Dich in Europa aus und warum gerade italienisch angehauchte Fantasy?
Scott Lynch:
Ich erhebe keinen Anspruch darauf, Europa gut zu kennen, und bin mit dem, was ich als Leser und Forscher so aufnehme, ziemlich sicher. Explizit ist die „The Therin“-Kultur ein Mix mediterraner Kulturen unserer Erde. Aber auch nur, um sich von der vorgegebenen angelsächsischen Kultur, die in unserem Genre schon seit Jahren vorherrscht, zu entfernen.
Die Vadran-Kultur im Norden ist teutonisch/ost-europäisch, aber auch hier gibt es kein enges Zusammenspiel. Ich versuche mich davon zu distanzieren.
Erik Schreiber:
Deine ersten beiden Bücher wurden in Deutschland sehr positiv aufgenommen. Ist das überall der Fall, wo sie als Lizenz erschienen?
Scott Lynch:
Erst mal bin ich absolut, erfreut das zu hören, und zweitens, so hoffe ich, scheinen einige Länder es besser anzunehmen als andere, und dann gibt es noch viele Umstände, die einen Effekt auf die Beliebtheit haben. Demnach kann ich hierauf auch keine genaue Antwort geben, außer es werden mehr Bücher in Umlauf gebracht.
Erik Schreiber:
Über welches Lob hast Du Dich am meisten gefreut?
Scott Lynch:
Wenn Leser die kleinsten Details, die versteckten Witze, Dinge dieser Art entdecken, ist es für mich das Größte.
Erik Schreiber:
Wie planst Du Deine Geschichten? Hast Du einen Ablaufplan im Kopf oder nur eine lose Vorstellung, die während des Schreibens an Leben gewinnt?
Das Planen einer Geschichte ist sehr allumfassend und intensiv. Ich benutze viele Diagramme auf dem Papier. Ich liebe komplexe Handlungen und Geschichts-Strukturen und für mich bedeutet diese Vorgehensweise viel Liebe zum Detail. Ich fühle mich nicht wohl dabei, Dinge beim Schreiben einfach geschehen zu lassen.
Erik Schreiber:
Wenn Du schreibst, läuft für Dich ein Film im Kopf ab?
Scott Lynch:
Nicht immer. Nur dann, wenn es sehr emotional wird oder besonders actiongeladen ist. Ich stelle es mir sogar dreidimensional vor. Manchmal gehe ich sogar so weit, die Dialoge laut vorzusprechen, und spiele diese Szenen nach. Natürlich ist das Ganze dann absolut privat. Selbst unter der Dusche rezitiere ich die Dialoge und versuche sie zu verfeinern.
Erik Schreiber:
Hattest Du Einfluss auf die Titelbilder?
Scott Lynch:
Ha! Nein. Ich bekomme sicherlich einen Tobsuchtsanfall, wenn mein Verleger mit etwas Grauenvollem ankommt, und darüber lässt sich reden, nur habe ich nicht wirklich eine vertragliche Möglichkeit, die Titelseiten meiner Bücher zu bestimmen. Wir vereinbarten alle, dass ich die Bücher schreibe und keine Skizzen mache, dafür lässt mir der Titelbildzeichner freie Hand bei der Wahl des Titels (und Platzierung). Wäre ich ein professioneller Zeichner, dann würde ich anders denken, aber das bin ich nicht.
Erik Schreiber:
Welche Autoren beeinflussten Dich als Schriftsteller?
Scott Lynch:
Ich nenne Dir ein paar Namen von Autoren, die mir immer wichtig erschienen. Matthew Stover, Michael Moorcock, William Gibson, Joe Abercrombie, H. P. Lovecraft, Stephen King, Elmore Leonard, Lois McMaster Bujold, Tim Powers, Fritz Leiber.
Erik Schreiber:
Beeinflussen Dich Fans, wenn sie sagen, das ihnen etwas gefallen/nicht gefallen hat?
Scott Lynch:
Es hängt manchmal davon ab. Alles, was man in das Buch schreibt, wird letzten Endes irgendeiner Person nicht gefallen, anderen Personen schon. Wenn ich ein, zwei wütende Leserbriefe erhalte, dann gebe ich nicht allzu viel darauf. Bekomme ich dagegen eine Flut von Briefen, die darauf hinweisen, dass ich etwas schlecht oder absolut falsch gemacht habe, nehme ich das zum Anlass, mir diese Hinweise genauer zu betrachten.
Erik Schreiber:
Triffst Du Dich mit Deinen Fans, z. B. auf Cons?
Scott Lynch:
Absolut. In den vergangenen zwei Jahren war ich nicht in der Lage, so oft zu reisen, versuche das aber Ende 2010 und 2011 zu ändern.
Erik Schreiber:
Kann Literatur die Welt verändern?
Scott Lynch:
Ich denke, es ist zwecklos, wenn man sich selbst oder die Kunst zu schreiben als grandioses Ganzes ansieht. Unsere Nachkommen behalten das, was ihnen wichtig erscheint, und alles andere ist zu obskur, als dass es Bestand hätte. Einige Leser werden tief beeindruckt sein von dem, was ich schreibe, und andere sind gerade mal so begeistert. Man kann es nicht kontrollieren und ich überlasse es den anderen, über den Sinn und Zweck zu debattieren.
Erik Schreiber:
Welche Bedeutung hat Literatur für Dich persönlich?
Scott Lynch:
Es war schon immer ein zentrales Thema in meinem Leben. Ich kann mich kaum an die Zeit erinnern, in der ich nicht lesen konnte. Nenn mich nicht Wunderkind, aber ich hatte bereits seit meinem fünften Lebensjahr meine Nase immer in Enzyklopädien und anderen erwachsenen Bücher. Ich glaube nicht, dass die Literatur nur ein künstlerisches Erbe ist, sondern auch ein mentales Entwicklungswerkzeug. Um ehrlich zu sein, braucht unsere Erde mehr Menschen, die sich darauf verstehen, abstrakte Textkonstrukte zu verstehen. Man spürt es deutlich, dass die Menschen hier in den USA sich immer schneller einer post-literarischen Disfunktionsgesellschaft nähern, die schlecht ausgebildet ist in Wissenschaften, dem zivilen Bereich und auch dem historischen. Gleichzeitig sind die Menschen nicht fähig, diesen Zustand ihrerseits zu ändern, weil es ihnen nie beigebracht wurde, die Information aufzunehmen und zu verarbeiten, geschweige denn, zwischen den Zeilen zu lesen.
Erik Schreiber:
Wie gehst Du beim Schreiben und Recherchieren vor? Bist Du mehr ein intuitiver Autor, oder planst Du jedes Detail im Voraus?
Scott Lynch:
Mit Sicherheit das Letztere, ich plane, ich verschaffe mir eine Übersicht und suche wie verrückt nach Einzelheiten. Ich bin immer begierig zu sehen, ob die Charaktere einen Wandel der Storyline verursachen, wenn ich weiterschreibe. Aber bevor ich das machen kann, muss erst einmal alles auf den Tisch gebracht werden.
Erik Schreiber:
Vielen Dank für Deine Antworten. Ich wünsche Dir noch viel Erfolg mit Deinen nächsten Projekten.