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Interview mit Eric Liberge Erik Schreiber im Gespräch mit dem französischen Comiczeichner und -autor. Dieser Tage erscheint der Comic-Fünfteiler Die Korsaren der Alkibiades von Eric Liberge als Zeichner und Denis-Pierre Filippi als Autor. Der erste Band erschien in Deutschland am 08.09.2010 unter dem Titel Geheime Eliten, fast zur gleichen Zeit der Abschlussband in Frankreich. Diese Geschichte zum Anlass nehmend, führte ich mit Éric Liberge ein E-mail-Interview. Der erste Teil wurde auf Englisch geführt, da Eric aber auch deutsch studierte, kamen die Antworten auf die zweite E-mail auf deutsch. Ich habe mich natürlich sehr gefreut, dass sich der Zeichner für mich Zeit nahm und meine Fragen beantwortete. An dieser Stelle schon einmal vielen Dank dafür. |
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Erik Schreiber:
Da dich die Leser in Deutschland nicht sehr gut kennen, kannst Du Dich kurz vorstellen?
Eric Liberge:
Ich bin ein französischer Comiczeichner, mit der ersten Veröffentlichung eines vierteiligen Projektes 1998, Mr. Mardi-Gras unter Knochen, welches später in Deutschland veröffentlicht wurde. Die Gebiete meines Schaffens (und auch meiner Erholung) sind Fantasy und Science Fiction. Meistens spielen sie sich in diesem Universum ab. Ich arbeite zur Zeit mit dem belgischen Verlag DUPUIS an einem dreibändigem Werk, The Dreaming Empire, mit einer mehr historischen und sozialkritischen Annäherungweise. Das Thema ist Gewalt in Kriegszeiten und findet im 2. Weltkrieg statt. Ich hinterfrage auch den Fanatismus in der Nazi-Zeit. Dieses Werk befasst sich auch zentral mit dem widersprüchlichen Heinrich Himmler, der am Ende der Nazi-Zeit überraschend im Schatten verschwindet. Es gibt sehr wenig Berichte und Bücher über ihn. Mir scheint das Ganze sehr interessant und daher mache ich dieses Werk.
Erik Schreiber:
Seit wann zeichnest Du?
Eric Liberge:
Ich habe schon immer gezeichnet, denke ich jedenfalls. Aber zwischen meinem 13. und 14. Lebensjahr wusste ich, dass dies mein Beruf werden wird. Ich habe darauf hingearbeitet und alles daran gesetzt, diesen Berufswunsch wirklich werden zu lassen.
Erik Schreiber:
Woher kommt Dein Interesse an Comics?
Eric Liberge:
Mir gefällt an sich das Geschichtenerzählen und das Entstehen von Universen. Das macht mir die größte Freude. Das Zeichnen alleine, nur um die Realität wiederzugeben, interessiert mich nicht wirklich. Diese Sichtweise kam recht früh. Mich faszinierte Tim und Struppi, wie wohl die meisten Kinder zu der Zeit. Dann stolperte ich über Spirou, Marvel Comics und später Métal Hurlant, ein französisches SF-Magazin Ende der 70er. Dort las ich dann über Druillet, Moebius und andere Autoren, die mich sehr inspiriert haben.
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Mit welchen Comics bist du groß geworden, außer dem bereits erwähnten Tim und Struppi?
Eric Liberge:
Ich wurde auch von der „Schwer-Metall-Generation“ stark geprägt. Zeichner wie Philippe Druillet, Moebius und viele andere, die mir in dieser Zeit zeigten, dass auch eine andere Art von Comics - Comics für Erwachsene, Science Fiction usw. - existierte. Und das war für mich mit 14 Jahren entscheidend, was meinem heutigen Beruf angeht.
Erik Schreiber:
Welche Comics hinterließen einen großen Eindruck bei Dir?
Eric Liberge:
Comics wie Major Fatal von Moebius, Die Nacht von Druillet. Hauptsächlich inspirierten mich fantastische Werk und Science-Fiction wie Valerian und Laureline [auf Deutsch: Valerian und Veronique; Erik Schreiber]. Auch Enki Bilal hatte mich sehr beeindruckt.
Erik Schreiber:
Bist Du Autodidakt?
Eric Liberge:
Ich lernte Kunst wie jeder andere in der Schule, entschied mich aber gegen ein Kunststudium nach dem Abitur. Stattdessen studierte ich Deutsch und Englisch. Ich vermisse keine Kunstschule, da ich dort meinen Zeichenstil aufgegeben hätte, um den jeweiligen Stil an der Schule zu übernehmen, den viele Studenten am Ende ihrer Studienzeit bedauern. Ich glaube, Wissbegier ist genauso hilfreich wie die Lehre eines Lehrers. Öffne deinen Kopf und nehme Dir von den besten Künstlern, was du kriegen kannst.
Erik Schreiber:
Womit arbeitest Du? Computer, Buntstiften, Pinsel?
Eric Liberge:
Ich benutze alle diese Techniken und auch andere, die ich im Laufe der Alben entwickelt habe. Für die Korsaren konnte und wollte ich mich nicht auf nur eine Technik begrenzen.
Erik Schreiber:
Welche Vorbilder hast Du?
Eric Liberge:
Gustave Doré, Alfred Kubin, impressionistische und symbolistische Maler. Nicht viele in der Comic-Kunst akzeptieren Druillet und Moebius.
Erik Schreiber:
In Deutschland erscheint demnächst Die Korsaren der Alkibiades vier Bänden. Kannst Du ein wenig zur Entstehungsgeschichte erzählen?
Eric Liberge:
Zu dieser Frage muss ich sagen dass ich keine Schlüsselantworten über die Entwicklung der Serie habe, schlichtweg deshalb weil ich nicht der Geschichtenerzähler bin. Ich erfahre erst dann jeden Schritt über die Entwicklung, wenn ich sie zeichne. Gerne hätte ich eine allumfassende Sicht über die Zusammenhänge gehabt, um vielleicht doch noch einen gewissen Einfluss auf das Script zu haben. Aber das war das private Reich von Denis-Pierre Filippi. Ich kann es gut verstehen, da ich es gewohnt bin, meine eigenen Geschichten zu schreiben in ihren eigenen Universen. Das ist auch der Grund dafür, warum ich mich so auf das Jules Verne ähnliche Universum konzentriert habe und natürlich auch auf die Erscheinung der Charaktere. Das ist das Schwerste, sich auf fünf Charaktere über die ganzen Bände zu konzentrieren.
Erik Schreiber:
Arbeitest Du mit Vorlagen? Fotos, Filmen, Zeitschriften?
Eric Liberge:
Für die Korsaren nicht unbedingt. Für meine anderen Projekte über die Gewalt während des zweiten Weltkrieges brauche ich viele Dokumentationen, denn das Thema ist historisch. Für Alcibiade lasse ich mir mehr Freiheit, was die Maschinen, die Anzüge angeht. Ich weiß nur, dass am Ende der Leser etwas von Jules Verne erkennen wird, weil das Thema sich auch an Science Fiction orientiert.
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Kennst Du Denis-Pierre Filippi schon länger?
Eric Liberge:
Wir haben uns 2002 auf einem Comic-Festival kennen gelernt. Er kannte schon meine Hauptserie Mardi-Gras/Aschermittwoch und suchte einen Zeichner für seine Serie über Korsaren. Es war auch für mich die Gelegenheit, beim großen Verlag Dupuis in Belgien einzutreten. Ich wollte auch in dieser Zeit zeichnerisch etwas anderes ausprobieren. Dieses Projekt war an Abenteuern orientiert, was ich noch nie gemacht hatte.
Erik Schreiber:
Wie gehst Du bei der Arbeit des Comics vor? Hast Du ein Script mit genauen Vorgaben, was zu sehen sein soll?
Eric Liberge:
Denis-Pierre Filippi gibt mir den Script fertig geschrieben, mit allen Dialogen. Mein kreativer Teil besteht in der Schaffung des Universums, der Atmosphäre, der Kleider, Maschinen usw. Ich arbeite in einer sogenannten Halb-Freiheit, an die ich normalerweise nicht gewöhnt bin, weil ich meine Stories selbst schreibe. Diese Erfahrung hat mir auch viel gebracht, obwohl ich am Liebsten alleine arbeite.
Erik Schreiber:
Alcibiades war ein griechischer Staatsmann und General. Ist er die Grundlage für die Geschichte?
Eric Liberge:
Nein. Alcibiade ist nur der Name der Geheimgesellschaft, um Amerika an die Krone von England zurückfallen zu lassen. Das Kabinett dieser politischen Organisation ist eine Zusammenkunft so genannter aufgeklärter Philosophen, die die Welt verändern möchten, aber letztendlich wie Terroristen agieren. Dieses zeitgenössische Dilemma mag ich an dieser Geschichte. Hat aber nichts mit den Griechen zu tun.
Erik Schreiber:
Die Korsaren der Alkibiades (Les Corsaires d'Alcibiade) ist die Geschichte einer Forschungs- bzw. Reisegruppe? Oder was steckt wirklich dahinter?
Eric Liberge:
Unsere fünf Charaktere, Peter, Lydia, Mike, Maryline und Curtis, sind wie Geheimagenten. Sie jagen nach Schätzen, um die Auftragsexpeditionen der englischen Krone finanzieren zu können. So gesehen werden sie augebeutet und bringen ihr Leben ständig in Gefahr. Die gefährliche Suche lässt sie im 5. und Abschlussband rebellieren.
Erik Schreiber:
Die Gruppe muss sich nun bewähren, indem sie eine Schiffsreise machen muss. Ist Deine Geschichte Sozialkritik mit abenteuerlichem Hintergrund? Eine Art Gruppenbildung, zeigen, dass man zusammenarbeiten muss?
Eric Liberge:
Das ist eine interessante Idee: Das Gleichgewicht zwischen Action und psychologischen Gründen sowie die menschliche Beziehungen. Ich denke, Corsaires ist eine „Action Story“, und somit ist da kaum Platz für psychologische Gründe. Aber das eine schließt das andere nicht aus, sollten diese Zutaten vonnöten sein. Die Rebellion der fünf Charaktere im zweiten Band hätte man da schon präsentieren sollen. In einem Team von fünf verschiedenen Persönlichkeiten hätte ich eine dramatische und interessante Konsequenz im fünften Band erwartet.
Erik Schreiber:
Welcher Charakter gefällt Dir selbst bei den Korsaren am besten?
Eric Liberge:
Am besten gefällt mir Maryline, weil sie, mit ihrem roten Haar, als ein sehr schönes Mädchen zu zeichnen ist. Im Band 4 kommt dann ein anderer mysteriöser, rasputiner Charakter namens Ahrmed hinzu, der mir auch sehr gefallen hat.
Erik Schreiber:
War es schwierig, sich in das Thema hineinzudenken?
Eric Liberge:
Nein, weil das Thema schon viel im Kino, in Literatur und Comics behandelt wurde. Es gab also mehrere Referenzen, von denen ich mich unbedingt entfernen sollte, um etwas Neues hervorzubringen. Zumindest musste ich es probieren.
Erik Schreiber:
Wie hast Du die Figuren angelegt?
Eric Liberge:
Denis-Pierre Filippi hat sich am Anfang für jede Figur eine bekannte Person herangezogen, aber allmählich entwickelten die Charaktere ihre endgültige Form, aber nicht unbedingt die gewünschte. Es war schwierig, von Beginn an mit fünf Hauptcharakteren zu tun zu haben und sie sofort perfekt und erkennbar zu zeichnen. Ich muss sagen, das hat mir Probleme bereitet. Ich hätte gerne mehr Zeit dafür gehabt.
Erik Schreiber:
Wenn Du die Geschichte selbst erzählen könntest, was würdest Du anders machen?
Eric Liberge:
Ich hätte vielleicht das Script wie die Watchmen von Alan Moore angelegt. Ein Band für jeden Charakter. Und die finale Lösung im letzten Band. Diese Option wäre für mich klarer gewesen, was das gute Verständnis der Geschichte, die schon kompliziert war, angeht. Aber ich bin nicht der Autor.
Erik Schreiber:
In der deutschen Werbung steht, dass aus dem England des Jahres 1825 eine Gruppe junger Herumtreiber entführt wird. Warum England? Du bist Franzose, warum nicht Paris, Marseille oder andere Städte?
Eric Liberge:
Die Frage kann nur an den Geschichtenerzähler Denis-Pierre Filippi gestellt werden. Ich persönlich hätte andere Länder zum Kidnapping unserer Helden ausgewählt, einfach um tiefer in die Lebensläufe der einzelnen Personen zu schauen. Noch mal, ich möchte nicht in den Schreibprozess eingreifen. Das ist nicht meine Aufgabe.
Erik Schreiber:
Gleichzeitig wird ein Verweis zu Jules Verne und Steampunk gemacht. Kann man die Geschichten wirklich vergleichen?
Eric Liberge:
Nun, zwischen den beiden gibt es sicherlich einen Zusammenhang und ich versuche nicht von denen all zu großen Einfluss zu erhaschen, während ich zeichne. Es soll mehr intuitiv geschehen, ohne Dokumentation. Die ersten Bilder habe ich im Kopf, die mich inspirieren, um sie dann der Szene passend zu zeichnen. Es gibt auch Stimmungen und Atmosphären zu zeichnen, die ich mag, aber einfach nicht in die Szene passen, die ich anzufertigen habe. Die Herausforderung ist es nun, diese zu mischen und etwas Neues entstehen zu lassen. Am Ende mache ich das alles wegen der Kontraste, Experimente und Überraschungen. Ständig suche ich nach etwas Neuem, um Klischees zu vermeiden.
Erik Schreiber:
Was ist das für ein Gefühl, seine eigene Arbeit fertig zu sehen? Warst du mit dem Ergebnis zufrieden?
Eric Liberge:
Eine gute Frage, die ich mir stellte, als ich heute Mittag den fünften Band per Post bekomme habe. Es ist immer dasselbe: zufrieden, das endgültige Ergebnis in den Händen zu halten, und die unvermeidbaren Kleinigkeiten, die meinen Blick stören. Ich sehe selten die Alben an, die ich gemacht habe, weil ich schon an einem anderen Projekt arbeite. Es ist für mich wesentlich, vorwärts zu gehen, und nicht rückwärts zu blicken.
Erik Schreiber:
Bist Du ein Fan von Jules Verne?
Eric Liberge:
Unglücklicherweise habe ich nie Jules Verne gelesen, werde es aber bestimmt eines Tages nachholen, wenn ich Zeit finde. So viele Bücher gibt es zu entdecken ...
Erik Schreiber:
Was verstehst Du persönlich unter Steampunk?
Eric Liberge:
Es ist eine alternative Realität in der verschiedene Zeitperioden aufeinander treffen, mit unterschiedlichen Technologien, Design und Universen. Es kann auch eine Vision der Zukunft sein, oder der Vergangenheit, oder beides zusammen. Diese Genre hat einfach viele Anwendungsmöglichkeiten.
Erik Schreiber:
Was erwartet deine Leser zurzeit in Frankreich und was wird in der nächsten Zeit nach Deutschland kommen?
Eric Liberge:
Wie ich bereits erwähnt habe, erscheint der letzte Band in Frankreich im September. Damit sind wir dann fertig. Ich denke, die Leser, die meine Arbeiten verfolgen, erwarten, dass ich mich mehr meinen persönlichen Arbeiten widme, und arbeite auch schon daran. Ich plane auch zwei weitere Bände für „Mr. Mardi-Gras Unter Knochen“. Zeitlich wird es vor den vier Originalbänden spielen und beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Postmann und der Entstehung vom Fegefeuer. Natürlich hoffe ich, dass dieses auch in Deutschland erscheinen wird. Ich bin immer froh, wenn ich auch ausländisches Publikum erreichen kann, besonders wenn ich deren Sprachen spreche. Es macht einfach Freude, sich anderen Lesern zu nähern und sich konstruktiv mit ihnen zu unterhalten.
Erik Schreiber:
Manche Zeichner bauen kleine Gimmicks in die Zeichnungen ein. Entweder sich selbst im Hintergrund oder andere Dinge. Machst Du so etwas auch?
Eric Liberge:
Am liebsten mache ich diese kleinen private Jokes im Hintergrund einer Szene, wie z.B. Leute, die ich kenne, einzufügen, oder auch das Gesicht von jemandem, den ich kenne, einem Charakter zu geben. Das mache ich gerne. Weil ich in meinem Leben Leute getroffen habe, die wirklich beeindruckende Charaktere waren. Es ist für mich auch ein Mittel, meine Stories mit der Wirklichkeit zu verknüpfen.
Erik Schreiber:
Was sind Deine Pläne für die Zukunft?
Eric Liberge:
Mein Drei-Alben-Projekt bei Dupuis, über die Gewalt während des zweiten Weltkrieges und zwei zusätzliche Bände für Herr Mardi-Gras / Aschermittwoch.
Erik Schreiber:
Ist die Kunst des Comiczeichnens eine Waffe, mit der man die Wirklichkeit in die Flucht schlagen und die Phantasie ausleben kann?
Eric Liberge:
Es kann wohl wie eine Waffe werden. Ich möchte es lieber wie einen Traum erleben.
Erik Schreiber:
Vielen Dank für Deine geduldigen Antworten. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg mit Deinen Projekten.