Titel: Golem und Dschinn Eine Besprechung / Rezension von Melanie |
Dass es sich bei “Golem und Dschinn” um einen Fantasyroman handelt, sieht man dem Cover definitiv nicht an. Es zeigt ein schwarz-weißes Bild (vielleicht auch ein Foto), das mich an eine alte Bahnhofsvorhalle erinnert. Das Buch spielt im Jahr 1899 und das Bild könnte meiner Meinung nach gut in diese Zeit passen. Ohne das Wissen um den fantastischen Inhalt hätte ich das Buch mit dem Cover allerdings vermutlich nicht in die Hand genommen – höchsten vor Verwunderung, es in der Fantasyabteilung zu sehen.
Die merkwürdige Bitte eines jüdischen Schreinereibesitzers, Otto Rotfeld, lässt den düsteren Yehudah Schaalmann einem wirklich besonderen Golem fertigen: Eine Frau aus Lehm, ein Golem mit eigenem Bewusstsein und einer völlig untypischen Eigenschaft – Neugier. Auf der Überfahrt nach New York erweckt Otto Rotfeld seinen Golem, nur um kurz darauf noch vor der Ankunft in New York zu versterben.
Zu gleichen Zeit befreit der Schmied Arbeely bei einer Reparaturarbeit einen Dschinn aus einer uralten Flasche. Nach tausenden von Jahren sieht sich der Dschinn vor genau die gleiche Aufgabe gestellt wie der blutjunge Golem: Dem Leben und Überleben im New York gegen Ende der 1890er.
“Golem und Dschinn” ist kein typischer Fantasyroman – und damit ist das Cover vielleicht sogar absolut passend. Die beiden Protagonisten sind nicht menschlich, ihre Probleme sind den unserigen jedoch sehr ähnlich. Beide bekommen von gutmeinenden Menschen den Rat, nicht aufzufallen. Beide verstecken ihre Andersartigkeit (so gut es geht) und beide können die Menschen nicht verstehen.
Der weibliche Golem, der von einem Rabbi den Namen Chava bekommt, ist ein ziemlich gutmütiges Wesen. Ein Wesen, das die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen um sich herum spürt – und sie erfüllen will. Chava muss erst lernen, die Menschen nach ihren Taten und nicht nach ihren Gedanken zu beurteilen – und vor allem muss sie lernen, dass sie nicht jedermann glücklich machen kann.
Ahmad ist völlig anders. Nach Jahrhunderten als Dschinn mit all seinen Möglichkeiten ist er nun gefangen und auf eine einzige Gestalt begrenzt, seine menschliche. Und auch wenn ihn die Menschen von je her faszinierten, kann er sie nicht verstehen. Chava kann man als selbstlos beschreiben, ihn als egoistisch – böse ist er jedoch nicht, auch er schließt Freundschaften und mit Absicht verletzt er eigentlich keinen (nur aus Gedankenlosigkeit). Seine Gedanken sind eben einfach anders – und über Gott sollte man mit ihm definitiv nicht diskutieren.
Den Großteil des Buches machen diese zwei Figuren aus: Ihre Versuche, in der ihnen so fremden Welt zurecht zu kommen, die Menschen, die sie kennen und mögen lernen und das Aufeinandertreffen dieser zwei so verschiedenen Wesen. Schon alleine diese Schilderungen reichen, um den Leser an dem Buch zu halten – auch wenn man hierbei nicht von spannenden und atemberaubenden Szenen sprechen kann, sind die einzelnen Momente, die die beiden erleben, dennoch mitreißend. Man kann mit den zweien fühlen – und das, obwohl sie doch so verschieden von uns sind.
Das Buch geht allerdings noch tiefer. Das hier und jetzt ist nicht das einzige, was zählt, und Helen Wecker beschreibt nicht nur das Schicksal von Golem und Dschinn. Die eigentliche Geschichte reicht weit länger zurück als man es zu Beginn vermutet. Und die einzelnen Fäden und Schicksale (bis hin zu denen der kleinsten Nebenfigur) laufen zum Ende auf einen wirklich spannenden Höhepunkt hin. Ein Höhepunkt, der den Leser in Atem hält – und sich fragen lässt, ob die Geschichte noch gut ausgehen kann.
“Golem und Dschinn” ist ein Roman, der sich – ebenso wie seine Figuren – nicht in eine Schublade stecken lässt. Er ist weder klassische Fantasy noch ein typischer historischer Roman. Seine Protagonisten sind keine Menschen, aber doch menschlich. Und auch wenn die Geschichte nicht wirklich actionreich ist, ist sie doch fesselnd. Mir hat das Buch wirklich gut gefallen, eben weil es anders ist. Aber jedem wird diese Andersartigkeit vermutlich nicht liegen.