Serie: Sandman, Band 4 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Auf Geheiß Destinys findet in des Schicksals Gefilden ein Familientreffen der Ewigen statt. Den Grund dafür lässt er zwar im Dunkeln, aber als sich Dream nach einer Diskussion mit Desire und - später - Death entschließt, in die Hölle hinabzusteigen, um die Frau, die ihn liebte und die er aus verletztem Stolz in das Reich Luzifer Morgensterns verbannte, zurückzuholen, scheint Destiny zufrieden.
Nachdem Morpheus seine Angelegenheiten geregelt hat und dem gefallenen Engel sein Kommen durch seinen Gesandten, Kain, ankündigen ließ, begibt er sich in die Domäne der Gefallenen, wohlwissend, dass er in tödlicher Gefahr schwebt. Und Luzifer hält eine Überraschung für seinen Gast bereit, die Oneiros beinahe die Fassung verlieren lässt: Nach Jahrtausenden im Dienste des Schöpfers entlässt er die Seelen der Geschundenen - darunter auch Nada -, schickt die Dämonen fort, schließt die Pforten der Hölle und übergibt dem Sandman den Schlüssel zu einer vollkommen verwaisten Domäne.
Kurz darauf versammeln sich die Gesandten verschiedenster Götterwelten vor den Toren des Schlosses im Reich des Träumens, um den Schlüssel zu fordern. Während Odin, Thor und Loki Himmelstänzer, Susano-o-no-mikoto, Anubis, die Katzengöttin Bastet, der Lord der Ordnung in seiner Verkörperung als Pappschachtel, die Prinzessin des Chaos, drei von Luzifer entlassene Dämonen sowie die Boten des Elfenreichs an Morpheus’ Tafel speisen und um seine Gunst buhlen, beschäftigt den Traumkönig immer noch die Suche nach der verschollenen Geliebten. Und auf Erden kehren die Toten zurück in das Reich der Lebenden.
Neil Gaimans "Sandman - Die Zeit des Nebels" gehört - international - sicherlich zu den meist rezensierten Comics und kaum ein anderer dürfte außerhalb des Kreises der üblichen Verdächtigen auf ähnlich wohlwollende Resonanz gestoßen sein. Die Geschichte wurde so oft rauf und runter analysiert, interpretiert und resümiert, dass ein weiterer Versuch überflüssig wie ein Kropf ist, weil nichts fundamental Neues dabei rauskommen kann; andererseits hat man als Rezensent gewisse Verpflichtungen (^^)
Zunächst kann man festhalten, dass Gaimans Story - wie viele gute Märchen - sehr einfach gehalten ist, wobei sich dieses "Einfach" sowohl auf die Struktur der Geschichte als auch die jedem Leser ohne weiteres zugänglichen thematischen Schwerpunkte wie bspw. Glaube, Liebe, Verantwortung bezieht. Innerhalb des simplen Kontextes allerdings entwirft Gaiman ein Pantheon, das seinesgleichen sucht, fügt die unterschiedlichsten Mythen, Götterwelten und -bilder nahezu widerspruchsfrei zu einer bunten Collage zusammen.
Bemerkenswert ist weiterhin, dass selbst Nebenfiguren - Kain, Lucien oder die ewigen Geschwister - und solche Charaktere, die nur in wenigen Szenen auftreten - insbesondere die "fremden" Götter - eine faszinierende Präsenz besitzen, die vor allem darauf zurückzuführen ist, dass diese Figuren eine nachvollziehbare Bedeutung für die Story haben und der Leser daher nicht das Gefühl hat, ihr Auftritt sei reiner Selbstzweck.
Gaimans erzählerische Meisterschaft zeigt sich darüber hinaus in den lebendigen, gehaltvollen Dialogen, von denen Harlan Ellison in seinem Vorwort meint, dass die dort getätigten historischen, literarischen oder cineastischen Anspielungen durchaus die Schöpfungen eines Gauklers bzw. Tricksers sein könnten, der dem Leser Wissen vorspiegeln will.
Es würde dem Medium nicht gerecht, wenn man "Die Zeit des Nebels" nur auf die Story reduzierte, denn die Qualität eines Comics definiert sich zweifellos auch über das Artwork. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein "Fan" von Kelly Jones bin, der für einen großen Teil der künstlerischen Grundgestaltung dieses TPB verantwortlich zeichnet. Sein ziselierender Duktus mit den feinen, klaren Schraffuren und dunklen Schattierungen verleiht Bildern eine große Tiefe, lässt die Figuren - insbesondere die Gesichter - plastisch und voluminös wirken. Um so bedauerlicher ist die Erkenntnis, dass die hier abgelieferte Arbeit nicht zu seinen Meisterwerken gehört, da sie in einer nicht unerheblichen Anzahl von Panels etwas schluderig und grob wirkt, was z.T. aber auch an den Inks von Pratt und Russell liegen mag. Das Artwork der anderen beiden Zeichner - Mike Dringenberg und Matt Wagner - überzeugt in erster Linie durch seine Stimmigkeit. Diese Künstler folgen einem eher skizzenhaften (Dringeberg) bzw. holzschnitthaften (Wagner), weniger elaborierten Grundkonzept als Jones, ohne dass ihre Zeichnungen Ausdruckskraft einbüßten.
Fazit: Comic-Erzählkunst auf hohem Niveau und ein Artwork, das zwar nicht grandios ist, aber alles in allem sehr stimmig. "Die Zeit des Nebels" ist kein überintellektualisierter Kopf-Comic, sondern Papier gewordener Lesespaß.