Titel: Canoe Bay Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Kaum drei Stunden, nachdem Jack in einer Gewitternacht des 22. Septembers 1746 das Licht der Welt erblickte, ist er schon Vollwaise.
Nach einer Kindheit im Waisenhaus und der Vertreibung durch die Engländer nach Florida heuert der Knirps als Schiffsjunge an Bord eines britischen Dreimasters an. Hier erfährt er nicht nur das harte Leben, sondern findet auch zwei Freunde: den gleichaltrigen Andrew Socks - einen Waisenjungen aus Wales -, den er vor einer Vergewaltigung durch einen Mann, welcher „Der Spalter“ genannt wird, bewahrt, sowie den alten Seebären John Place alias „Lucky Roberts“, der mutmaßlich dafür verantwortlich zeichnet, dass man den Spalter Tags darauf erhängt in der Takelage findet.
Ihre nächste gemeinsame Reise wird nicht nur für Jack zu einem Wendepunkt in seinem Leben: als der Kapitän der „Saint Georges“ in seinen Laderäumen Sklaven transportiert, zettelt Roberts eine Meuterei an, schenkt den Geknechteten die Freiheit und gewährt den englischen Offizieren sowie ihren Getreuen freien Abzug, behält jedoch die Tochter - Angela - Kapitän Lord Princeltons, welche in Jacks Alter ist, als Geisel. Nach einer kurzen Abstimmung entschließen sich die Meuterer, darunter auch die beiden Knaben, fortan den Weg der Piraterie zu beschreiten und brechen in die Karibik auf. Auf der Insel Tortuga erfahren sie jedoch, dass Princelton ein erklägliches Kopfgeld für ihre Ergreifung ausgesetzt hat, so dass sie selbst fernab der englischen Gerichtsbarkeit alles andere als sicher sind.
Aus der Not heraus versuchen sie daraufhin, ihre Beute - vor allem die Waffen an Bord der „Saint Georges“ - den in Neuengland stationierten Franzosen zu verkaufen. Diese jedoch denken gar nicht daran, Roberts und seine Mannschaft zu bezahlen, sondern konfiszieren kurzer Hand das Schiff, zwangsrekrutieren die Piraten als Soldaten im Kampf gegen die Engländer und setzen die Frischlinge vorerst fest. Während dieser Gefangenschaft kommt zufällig Jacks wahre Herkunft ans Licht, welche in John Playce den Plan reifen lässt, mit seinen Mannen bei der ersten Gelegenheit zu desertieren, um jenem Schatz nachzujagen, den der Junge verheißt. Zunächst schlägt das Vorhaben zwar fehl, aber schon bald bietet sich während eines Marsches in Feindesland erneut eine Gelegenheit, als ihr Trupp von Engländern und verbündeten Indianern überfallen wird. Auch wenn es den Rekruten gelingt, die Feinde zurückzuschlagen, überleben viele den Überfall nicht.
Der Rest des Trupps - darunter immernoch Jack, Andrew und Angela - macht sich auf den Weg ins unbekannte Territorium, um kurz darauf auf den Stamm der ihnen freundlich gesinnten Shawnee zu begegnen. Doch die Ruhe im Indianerlager ist nicht von langer Dauer, denn Lord Princelton und seine Handlanger sind ihnen noch immer auf den Fersen, sodass sie erneut fliehen müssen.
Die Wochen gehen ins Land, der Winter bricht herein und schließlich erreichen die Flüchtlinge das verfallene Fort „Grand Portage“. Des Fliehens überdrüssig richtet sich die Gruppe hier ein, um mit Hilfe der Shawnee zu überwintern. Die Tage werden länger, die Luft mit jedem Tag wärmer, doch dann stehen plötzlich die Verfolger vor den hölzernen Palisaden.
Anders als es Titelbild, Setting bzw. Story-Hintergrund erwarten lassen, handelt es sich bei „Canoe Bay“ weder um ein politisch bzw. historisch fokussiertes Comic, noch um eine Geschichte, in der die authentische Darstellung indianischer Kultur bzw. des Zusammenpralls von weißer und roter Kultur im Mittelpunkt steht, sondern um eine geradezu klassische Abenteuergeschichte mit Piraten, Indianern und Soldaten, in der gesellschaftskritische „Bilder“ einer vergangenen Epoche kaum mehr als Randnotizen darstellen.
Dass über die Action, das Konstruieren von Spannungsbögen, das Kreieren von „Tension“ und „Suspense“ zuweilen die Glaubwürdigkeit etwas zu kurz kommt und die Charaktere relativ einfachen Mustern folgen, verzeiht man gerne, denn zum einen gelingt es Tiburce Oger, den Leser in eine Kindheit zurückzuführen, in der Lederstrumpf und die Schatzinsel noch von besonderer Bedeutung waren, zum anderen ist es ohnehin das Artwork Patrick Prugnes, das diesen Band aus der Reihe ähnlich gelagerter Abenteuer-Comics herausragen lässt.
In pastellenen, aquarellierend aufgetragenen, bunten Farben und mit beeindruckend leichtem Zeichen-Duktus erschafft der Künstler gleichermaßen pittoreske Landschaften, stimmige Stadtansichten, besondere Handlungsorte (Fort, Schiffsladeräume) sowie natürliche, lebendige und lässige Figuren. Nicht immer gelingt es ihm, einen leicht kitschigen, sentimentalen Heile-Welt-Grundton zu vermeiden, aber auch den nimmt man angesichts der grandiosen Atmosphäre gerne in Kauf.
Exzeptionell ist die editorische Qualität dieses Albums: ein hochveredeltes, beschichtetes, schweres Papier sorgt in Verbindung mit einem frequenzmodulierten Druckverfahren dafür, dass die Bilder eine Klarheit und Brillanz ausstrahlen, die den Originalen Prugnes zumindest sehr nahe kommen dürfte. Jenseits dieser technischen Aspekte vermittelt ein umfangreicher, kommentierter Blick in das Skizzenbuch das Künstlers interessante Eindrücke von der Figurenentwicklung bis hin zur Bildkomposition.
Fazit: Die atmosphärisch dichte Story, das grandiose Artwork sowie die herausragende editorische Qualität machen dieses Album zu einem Juwel in jeder Comic-Sammlung.