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Serie: The Boys, Band 11 Eine Besprechung / Rezension von Michael Scheuch |
Garth Ennis und Darick Robertson haben mit THE BOYS nicht nur eine Abrechnung mit dem Superheldengenre an sich vorgelegt, die vor allem zu Beginn hauptsächlich parodistische Züge trug, sondern auch einen Kommentar zu Kapitalismus, Politik und Gesellschaft des 21. Jahrhunderts vorgelegt. In den ersten Bänden wurden die Supies entzaubert, lächerlich gemacht und vor allem von der sehr viel cooleren Gruppe der BOYS bekämpft.
Die Hintergrundstory: Superhelden sind Realität, und ihres "Heldentaten" werden in umfangreichem Merchandising und Comics monetarisiert. Dabei argwöhnisch von Militär und Geheimdiensten beobachtet: sind zwar die eher lächerlichen Fähigkeiten bei den Supies in der Mehrheit, so gibt es doch ein paar von ihnen, die tatsächlich so große Kräfte besitzen, dass sie eine strategische Bedeutung spielen können oder eine Gefahr für alle Staaten darstellen. Und im Hintergrund kontrolliert der Konzern Vought-American die Superhelden, der geheimnisvolle Stoff "V" verändert DNA und führt zu Superfähigkeiten - und das Unternehmen kontrolliert die Droge.
Die Reaktion auf die Erkenntnis, dass Superhelden eine Bedrohung für Staaten und Regierungen sind, schwankt zwischen dem Versuch, die Supies für die eigenen Zwecke einzuspannen und zu rekrutieren bis zu Manövern, die Supies unter Kontrolle zu halten und im Zweifel zu bekämpfen. Hier kommen THE BOYS ins Spiel, eine Gruppe von Menschen unter der Leitung von Billy Butcher, die in verdeckten Operationen Superhelden beschatten und ausschalten. Die Auseinandersetzungen sind zuweilen blutig, und es wird immer deutlicher, dass gerade Butcher ein Hühnchen mit Superhelden zu rupfen hat und dabei keinerlei Skrupel kennt. Körperliche Gewalteinwirkung ist dabei noch die harmloseste Beschreibungseiner Vorgehensweise. Jedes Mitglied des Teams hat seine eigene tragische Geschichte, die mit Superhelden zu tun hat, angefangen vom jüngsten Mitglied Hughie Campbell, dessen Freundin Opfer des Superhelden TRAIN wurde. Mit seinem Eintritt in die Reihe der BOYS beginnt die Serie, in deren Verlauf er mit V, dem Stoff, der Superhelden macht, behandelt wird und unwissentlich eine Affäre mit einer Superheldin der Top-Gruppe SEVEN hat. Im Laufe der Reihe erfahren wir viel Hintergründiges zu Mothers Milk, dem Logistiker der Gruppe und Frenchman, der leicht am Rande des Wahnsinns taumelt. Und zum "Weibchen" - schweigsam, irre, tödlich.
Doch wie wurde Billy Butcher der rastlose und skrupellose Antreiber der BOYS?
Warum hasst er den HOMELANDER, den mächtigsten aller Superhelden, so sehr.?
Im Band 11 wird das enthüllt, Untertitel: "Von Menschen und Monstern".
Am offenen Sarg seines Vaters erzählt Billy Butcher seine Lebensgeschichte: dieser Vater ein Schläger, die Mutter ein Opfer. Und Billy Butcher auf dem Weg, es seinem Vater gleich zu tun. Nach einem Kampfeinsatz auf den Falklands kehrt er mit dem Wissen zurück, dass Gewalt sein Leben und Überleben sichern wird. Er hasst seinen Vater, wird ihm allerdings immer ähnlicher. Bis er Rebecca kennenlernt. Sie schafft es, seiner unruhigen Seele Ruhe zu geben, das Trinken, das Prügeln, sein bisheriges Leben umzukrempeln. Eine Liebesgeschichte - ohne Happy End, wie man sich denken kann (wir wissen ja, was aus Butcher geworden ist). Kurz: ein Superheld, der Homelander, ist Schuld am Ende dieser positiven Phase und Billy Butcher fällt zurück in alte Muster. "Die Rache ist mein", so sein Credo, und unterstützt wird er dabei vom amerikanischen Geheimdienst, der auf der Suche nach Möglichkeiten zur Eindämmung des Superhelden-Problems ist.
Ennis läßt Butcher seine Lebensgeschichte erzählen, in langen Rückblenden am Sarg seines Vaters. Und er nimmt sich sehr viel Zeit dafür, 6 Hefte lang, 148 Seiten. Herausgekommen ist eine drastische, realistische Erzählung über einen Jungen der britschen Unterschicht, der eigentlich nie eine Chance hatte. Als er sie dann doch bekommt, wird sie ihm gandenlos genommen. Er steht auf und macht das, was er am besten kann, und er hält sich dabei nicht an das Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn." Den dieser biblische Leitspruch fordert auf, Maß zu halten bei der Rache. Das tut Butcher nicht.
Der Band ist rund, von tiefer Ernsthaftigkeit erfüllt, fast ohne jeden brachialen Humor, dafür ebenso blutig wie die vorangegangenen Bände der Reihe. Alles strebt auf den großen Showdown zwischen dem durchgeknallten Homelander und Billy Butcher zu - und es ist klar, auf welche Seite sich der Leser schlägt.
Darick Robertsons Bilder sind häufig großflächig, plastisch, seine Charakterisierung der Figuren stimmig. Die Welt ist meist düster, grau, schwarz, Farben eher gedeckt. THE BOYS sind weiter epische Erzählung, diesmal emotionaler und weniger grotesk als etwa die Schilderung der Superheldenorgie in HEROGASM.
Spannung ist garantiert: denn im vorangegangenen Band wurden wir Zeuge, dass Butchers letzter Freund, sein Hund Terror, getötet wird. Welche verheerenden Kräfte das in Butcher freizusetzen vermag, wird spannend zu beobachten.