Titel: Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verführerisch Eine Rezension von Doreen Below |
Kurzbeschreibung:
Nach dem Tod ihres Vaters trampt die 16-jährige Hanna in die texanische Kleinstadt Portero. Sie will zu ihrer Mutter, die sie gar nicht kennt. Doch ein herzlicher Empfang ist es nicht, der sie dort erwartet, und auch das Städtchen ist keineswegs so idyllisch und harmlos wie es zunächst scheint – hier hört nicht nur Hanna Stimmen! Und dann stellen der attraktive Wyatt und unheimliche Ereignisse sogar ihre abgedrehte Welt auf den Kopf …
Meine Meinung:
Wenn ich behaupten würde dieses Buch sei schräg, wäre das die Untertreibung des Jahrhunderts. "Bleeding Violet" ist ein Aushängeschild für abstruse Charaktere, Geschöpfe sowie Verhaltensmuster, neben dem gelegentlichen Gefühl nur finnisch verstanden zu haben. Normalität sucht man in diesem Debütroman vergebens und das ist mal etwas erfrischend anderes unter den derzeitigen Phantastik-Jugendromanen … und gleichzeitig ziemlich gewöhnungsbedürftig. Getreu dem Motto "Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen", erzählt uns Dia Reeves eine surreale Geschichte über ein abgedrehtes Mädchen und eine noch abgedrehtere Kleinstadt, so, dass man allmählich den Eindruck bekommt in einer Irrenanstalt gelandet zu sein oder in einem Gemälde des spanischen Künstlers Salvador Dalí. Selten war Wahnsinn so verführerisch, verwirrend und verdammt aufregend zugleich.
Eines wird schnell deutlich: Hauptprotagonistin Hanna ist ... ja was denn eigentlich? Eine durchgeknallte Frems (Außenseiterin), die nicht alle Taschen im Schrank hat? Sie ist alles, nur kein herkömmliches bzw. süßes Mädchen von nebenan. Welches normale Mädchen kann schon mit seinem toten Vater kommunizieren, brät seiner Tante mal eben ein Nudelholz über den Schädel oder richtet sich voller Optimismus bei der leiblichen Mutter ein, obgleich es diese nie zuvor gesehen hat und keinesfalls mit offenen Armen empfangen wird? Wo manch einer verbittert den Rückzug antreten oder von einem schlechten Gewissen überrollt werden würde, sind dies für Hanna scheinbar die normalsten Dinge der Welt. Sie ist sehr eigen und unberechenbar (sie trägt stets sexy, violette Kleidung und bräuchte dringend eine Therapie). Dennoch ist Hanna auch einfach nur ein Mädchen, das von ihrer eigenbrötlerischen Mutter Rosalee geliebt werden möchte und dafür buchstäblich durch die Hölle geht. Das machte sie mir irgendwie sympathisch. Schnell wurde Hanna für mich zu einer faszinierenden Hauptfigur, wie man sie in Jugendromanen so nur selten findet. Sie weiß, was sie will und das bekommt sie für gewöhnlich auch. Früher oder später. Ebenso besitzt sie eine starke Persönlichkeit. Sie benötigt keinen starken Beschützer, der auf sie achtgibt, sondern kann selbst ordentlich austeilen. Körperlich wie verbal. Dass Dia Reeves ihre Geschichte in der Ich-Perspektive schildert, erleichtert den Zugang zu Hannas exzentrischer, kleinen Welt ungemein.
Dabei bekam ich mitunter das Gefühl die richtige Abfahrt verpasst zu haben, oder besser gesagt: ich verstand nur Bahnhof. Denn der Plot ist zunächst genauso wie alles in diesem Buch - bizarr. Von der ersten Seite an befindet sich der Leser auf einem abgefahrenen Trip, ohne das Ziel zu kennen, inklusive ausgefallener Monstertierchen und seltsamen Nebendarstellern, die zuweilen für eine fiese Gänsehaut sorgen und das Bedürfnis in einem hervorrufen können, dringend unter die Dusche zu müssen.
Apropos Dusche (wer das Buch gelesen hat, weiß, was ich meine), super fand ich, dass es hier mal keine typische Liebesgesichte gibt. Hanna und Wyatt sind beides keine Kinder von Traurigkeit. Entsprechend gibt es hier kein langes Gerede um den heißen Brei und die Gefühle der beiden werden nicht ewig analysiert oder endlos durchgekaut. Gleich und gleich gesellt eben sich gern. Ja, auch Wyatt ist auf seine Weise außergewöhnlich und demgemäß hat es diese (Liebes-)Beziehung in sich. Sie wirkt ehrlich und nicht gekünstelt. Im Gegensatz zu Hanna könnte man Wyatt zwar eher in die Stereotypen-Schublade stecken (er ist cool, unnahbar und trotzdem liebevoll), das macht seinen Charakter aber nicht minder anziehend.
Wer jetzt Angst hat "Bleeding Violet" reiht sich ebenfalls ein in die etlichen Trilogien oder Serien, die den Buchmarkt derzeit überfluten, kann aufatmen. Hannas Geschichte ist erzählt, was aber nicht heißen soll, dass es in Portreo weit weniger verrückt zugehen muss. In " Slice of Cherry" (Originaltitel) öffnet sich eine neue, geheimnisvolle Tür, hinter die es sich hoffentlich lohnt einen Blick zu riskieren.
Kurz gesagt:
"Bleeding Violet" entführt den Leser in die bizarre und düstere Welt einer Hauptprotagonistin, die ihresgleichen sucht. Wer auf gewöhnliche und bodenständige Geschichten steht, könnte sich bei diesem abgefahrenen Kleinstadt-Trip gehörig die Finger verbrennen. Wer aber Lust hat mal etwas Neues und Andersartiges auszuprobieren, sich dabei überraschen lassen möchte und sein Herz für die verrückten Dinge des Lebens öffnen kann, der ist mit dieser Lektüre durchaus gut bedient.