| Serie: Angor, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Trotzdem träumen die drei Heranwachsenden von Abenteuern, von Kämpfen und Helden, – kurz und gut – von Freiheit. Dementsprechend aufmüpfig ist ihr Verhalten – vor allem aus Sicht der Erwachsenen: Während Evrane regelmäßig und mit Duldung ihrer Mutter nach getaner Arbeit heimlich den Schwertkampf trainiert, wagt der selbstbewusste Talinn die direkte (verbale) Konfrontation mit seinem Vater, da ihm dieser die Ausbildung zum Knappen verbieten will. Der Kleinste und Vorsichtigste der drei – der Waisenjunge Lorky – leidet hingegen ganz allgemein an der harten Arbeit, obgleich er nicht schlecht behandelt wird.
Daher schmieden die Freunde den Plan, einfach abzuhauen, setzen ihn allerdings erst zögernd in die Tat um, als Talinn seine Prüfung zum Knappen nicht besteht und am gleichen Tag zufällig in den Besitz eines geheimnisvollen Medaillons kommt. So reiten die drei Jugendlichen kurze Zeit später gen Bradelank, eine für ihre Verhältnisse riesige Stadt.
Kaum dass sie dort angekommen sind, beginnt Talinn nach der Herkunft des gefundenen Schmuckstücks zu forschen und erregt dadurch die Aufmerksamkeit einer höher stehenden Persönlichkeit, die ebenfalls nach dem Artefakt sucht. Zufällig bekommt der Junge dieses jedoch mit, eilt zurück zur Herberge, in der sie zwischenzeitlich Quartier bezogen haben und fordert, da der Mann einen höchst sinistren Eindruck macht, seine beiden Freunde vehement auf, sofort zu fliehen. Gerade als die drei dabei sind, aus dem Fenster zu kriechen, während in der Herberge mittlerweile Häscher des Adeligen aufgetaucht sind, eilt ihnen ein Wesen zu Hilfe, welches kein Mensch ist und das besondere seherische Fähigkeiten besitzt. Dieser Fremde weiht sie in ein Geheimnis des Medaillons ein: Es besitzt eine besondere magische Kraft, die ihnen nicht nur bei der gegenwärtigen Flucht hilfreich sein kann, sondern die sie auch der ersehnten Freiheit näher bringen könnte.
Bevor ich mich mit einem Comic näher auseinandersetze, blättere ich es als eher visuell gepolter Mensch in der Regel zunächst einfach durch, um einen ersten Eindruck vom Artwork zu erhalten. Und der erste Eindruck, den Zeichnungen und Koloration zumindest bei mir hinterließen, war zwiespältig. Armands Zeichenstil ist relativ klar, eher detailarm denn ausschweifend, mit scharfen, eckigen Konturen und oft mangahaften Gesichtern mit kompakten Haaren und überbetonten Augen. In der Koloration dominieren Brauntöne, die allerdings nicht warmer Natur sind, sondern durch einen hohen Blauanteil eher kühl wirken. Unterm Strich also wirkt das Artwork eher distanziert als emotionsgeladen. Auf der anderen Seite jedoch sind die Figuren durchaus prägnant mit individuellen Merkmalen, sodass durchaus Anreize zum Näherhinschauen gegeben werden.
Taucht man dann in die Geschichte inhaltlich ein, ist die vordergründige Distanziertheit des Artworks schnell vergessen. Mit viel Gespür für die Befindlichkeiten der jugendlichen Figuren entwickelt Gaudin seine Geschichte mit Bedacht und ohne Hast. Er nimmt sich Zeit, die drei Hauptprotagonisten in ihrer jeweiligen Situation nachvollziehbar und ohne in Schwarz-Weiß-Schemata zu verfallen zu zeichnen. Die sympathischen Charaktere sind gleichermaßen stark wie zögerlich und ängstlich, eher naiv und kindlich trotzig denn rational agierend. Die Fährnisse und Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben, aber auch die Emotionen sind in ihrer Alltäglichkeit zunächst durchaus im Erfahrungshorizont eines jeden Lesers verhaftet, sodass Talinn, Lorky und Evrane erfrischend normal erscheinen.
Fazit: der locker und gefällig geschriebene Beginn eines Fantasy-Abenteuers, das zunächst hauptsächlich von den herrlich normalen, sympathischen Figuren lebt.