Reihe: Die schimmernden Reiche, Band 1 Eine Rezension von Ida Eisele |
Klappentext:
Ley-Linien – uralte Pfade, die sich schnurgerade von einem mystischen Ort zum anderen ziehen. Nur eine verrückte Theorie? Oder sind es tatsächlich Tore zu anderen Zeiten und Welten? Als der junge Kit Livingstone eines Tages seinem Urgroßvater begegnet, der sich bester Gesundheit erfreut, schenkt er dessen Erklärungen keinen Glauben. Doch dann verschlägt es Kits Freundin Wilhelmina auf einem dieser Pfade ins Unbekannte, und Kit macht sich auf eine abenteuerliche Suche durch Raum und Zeit.
Das amüsant und auch spannend geschriebene Buch kann vor allem mit einem begeistern: der Grundideen eines Multiversums und des Reisens darin sowie der verlorenen Zeitwanderer, die verzweifelt auf der Suche nach einer Karte der Ley-Linien sind.
In der Tat sind die einzigen, die eine grobe Ahnung von Zeitreisen zu haben scheinen, Kits Urgroßvater Cosimo und sein Freund Sir Henry (aus dem 17. Jahrhundert). Leider gelingt es ihnen nicht, Kit die Grundzüge des Zeitreisens zu vermitteln, bevor sie von den finsteren Burley-Männern der Leykarte wegen entführt werden. Diese Karte besteht aus der Haut eines früheren Zeitwanderers, Arthur Flinders-Petrie, der sich mysteriöse Symbole – die offenbar die Reisemöglichkeiten zwischen Welten und Zeiten kennzeichnen – in den Oberkörper tätowieren ließ. Ein Teil dieser Karte befand sich im Besitzt Sir Henrys und Cosimos, wurde aber gestohlen.
Die wenigen Erklärungen, die Kit – und mit ihm der Leser – erhalten, sind einigermaßen unverständlich und widersprechen zum Teil sich und dem, was tatsächlich geschieht. Daraus kann man wohl getrost schließen, dass auch diese beiden alten Herren eigentlich keine Ahnung von dem haben, was sie wie selbstverständlich tun.
Leider führt das auch dazu, dass es dem Leser nicht ohne einen gewissen Denkaufwand möglich ist, dem Geschehen auch nur näherungsweise zu folgen.
Der Haupthandlungsstrang mit Kit führt in einer angenehm verfolgbaren Linie geradeaus.
Doch schon bei Mina, die nach ihrer unfreiwilligen Zeitreise in Prag um 1600 eine Bäckerei mit Kaffeehaus eröffnet (alles nur möglich, dass sie dank ihrer Großmutter eines gewissen bayrischen Dialekts fähig ist und auch in der Schule Deutsch gelernt hat), ist ein Zeitsprung zu entdecken. Nämlich zwischen dem Moment, in dem sie in Prag einen Alchemisten um den Bau einer Zeitreisen vereinfachenden Maschine bittet, und dem Zeitpunkt, zu dem sie Kit als plötzlich sehr wissend erscheinende, veränderte Mina wieder begegnet.
Das ist soweit noch mit etwas Fantasie nachvollziehbar, ebenso verhält es sich bei Arthur Flinders-Petrie, der ebenfalls einen kleinen Handlungsstrang sein Eigen nennen darf. Auch hier kann man sich, vor allem durch Andeutungen seiner jungen Frau Xian-Li, einigermaßen denken, was in der nicht beschriebenen Lücke geschehen ist.
Deutlich schwieriger gestaltet sich das allerdings bei Lord Burleigh, der zunächst als Antiquitätenschmuggler im frühen 20. oder späten 19. Jahrhundert in Erscheinung tritt – jedenfalls in seinem eigenen Handlungsstrang. Vermutlich einige Zeit später, jedenfalls mit offensichtlichem zeitlichen Abstand, im Buch aber früher, begegnet er Arthur in China und versucht, ihm die Haut vom Körper zu schneiden, um an die Karte zu kommen. Später begegnet er wiederum Cosimo, Sir Henry und Kit und versucht sie zu zwingen, ihm das Versteck (der zu diesem Zeitpunkt schon gestohlenen) Karte zu verraten. Er erscheint also in drei verschiedenen 'zeitlichen Varianten' seiner selbst, was für ihn zwischen diesen drei Lebensabschnitten liegt, ist kaum zu erahnen.
Was die Gestaltung der Charaktere anbelangt: von Kit weiß ich jetzt schon, dass ich ihn nach dem nächsten Buch wieder vergessen haben werde. Er ist, wie schon sein Nachname sagt, ein lebender Stein, profillos, ohne jeden bemerkenswerten Charakterzug. Die Nebenfiguren sind alle eher klischeehaft gestaltet, die einzigen Überraschungen bieten die beiden Frauengestalten Mina – die in Prag regelrecht aufblüht – und Lady Fayth, Henrys Nichte.
Des Weiteren weist das Buch einige Logikfehler auf, die mit gutem Willen überlesen werden können. So zum Beispiel das sehr konstruiert wirkende, in meinen Augen eigentlich unmögliche Missverständnis zwischen Mina und Engelbert, wenn er Venedig sagt und sie Wien hört (im Englischen Venice und Vienna vielleicht gerade noch möglich) und beide wohlgemerkt eigentlich Deutsch sprechen. In Prag begegnen sie ebenfalls einem Künstler, der – in der realen Welt – um 1590 starb, während sie sich bereits im Jahre 1608 befinden. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, wird man auch mit Sätzen wie „Frauen saßen an Webstühlen im Freien und spannen unbearbeiteten Flachs zu Fäden“ konfrontiert (gut, letzteres könnte durch eine unglückliche Übersetzung zustande gekommen sein). Im Übrigen ist das Buch auch nicht frei von Rechtschreibfehlern (die ebenfalls während der Übersetzung hinzugekommen sein dürften).
Zusammengefasst irritiert das Buch durch eine einerseits komplexe, spannende und aufwendig aufgezogene Handlung, andererseits weißt es dermaßen offensichtliche Mängel auf, dass man es sich kaum erklären kann. Meine große Hoffnung ist also, dass einiges in den offenbar folgenden vier Bänden der Reihe („Die Schimmernden Reiche“) ins rechte Licht gerückt werden wird. So wären zum Beispiel einige der von mir erwähnten Logikfehler damit erklärbar, dass die Protagonisten sich nicht nur in einer anderen Zeit, sondern in einer anderen Welt mit sachte abweichendem historischem Verlauf befinden. Ohne nähere Erklärung allerdings muss ich dem Buch gegenüber wenigstens skeptisch bleiben, trotz aller Neugier auf den Fortgang der Geschichte. Wenn man mich also nach einem abschließenden Urteil fragt: Ich habe keines und hoffe, die Gründe dafür einigermaßen begreiflich gemacht zu haben.