Reihe: Das Lied von Eis und Feuer, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Angelika Mandryk |
Innerer Klappentext
Eddard Stark, der Lord von Winterfell, lebt mit seiner Familie im kalten Norden des Königreichs Westeros, und er weiß, dass der nächste Winter Jahrzehnte dauern wird. Als der engste Vertraute seines Königs und alten Freundes Robert Baratheon stirbt, soll Eddard an dessen Stelle treten. Für die Zeit, die er am Königshof zubringen muss, überträgt Eddard die Herrschaft über Winterfell an seinen Erben Robb – während sich sein Bastardsohn Jon den Kriegern der Nachtwache anschließt. Doch Robert Baratheon ist nicht mehr der starke Herrscher, der er einst war, und um den Eisernen Thron scharen sich Intriganten und feige Meuchler. Eddard sieht sich plötzlich von mächtigen Feinden umzingelt und muss hilflos zusehen, wie seine vielköpfige Familie in alle Winde verstreut wird. Die Zukunft des gesamten Reiches Westeros steht auf dem Spiel.
Rezension
George Raymond Richard Martin wurde 1948 in Bayonne geboren und kam durch seine ersten Kurzgeschichten in der Science-Fiction-Szene zu frühem Ruhm. Gleich mehrfach wurde ihm der renommierte Hugo Award verliehen. Mit „Das Lied von Eis und Feuer – Die Herren von Winterfell“ präsentiert er den Auftakt einer nach acht Bänden immer noch nicht abgeschlossenen Reihe, die als Meisterwerk betitelt wird.
>> Der Ruf kam in der Stunde vor der Morgendämmerung, als die Welt noch still und grau war. Alyn rüttelte ihn grob aus seinen Träumen, und Ned stolperte in die nächtliche Kälte hinaus, benommen noch vom Schlaf, wo er sein Pferd gesattelt fand und der König schon auf dem seinen saß. Robert trug dicke, braune Handschuhe und einen schweren Fellumhang mit einer Kapuze, die seine Ohren bedeckte, und sah in aller Augen aus wie ein Bär auf einem Pferd. „Auf, Stark!“, brüllte er. Wir haben Staatsgeschäfte zu besprechen.“ <<
Dass George R.R. Martin zu den ganz Großen zählt, wagen spätestens seit der gelungenen Verfilmung der ersten vier seitenstarken Romane nur noch sehr wenige zu bezweifeln. Dabei hat der deutschsprachige Erfolg schon vor Jahren mit einer vielgelobten Übersetzung von Jörn Ingwersen beachtliche Aufmerksamkeit erregt. Nun, vollständig durchgelesen und überarbeitet von Sigrun Zühlke sowie Thomas Gießl, präsentiert der Blanvalet-Verlag „Das Lied von Eis und Feuer“ in optisch ansprechendem Licht. Stimmige Farben, zur Geschichte passende Wappen, ein weicher, dennoch belastungsfähiger Einband und der schlechte Nachruf alteingesessener Liebhaber: Überraschend umstritten zeigt sich die Neuauflage. Als Hauptgrund werden die eingedeutschten (Orts-)Namen benannt. Aus Jon Snow wurde Jon Schnee und der klangvolle Name King´s Landing sieht sich ebenso zu Königsmund degradiert wie Casterly Rock zu Casterlystein. Wenige Beispiele; Leser ohne großes Vorwissen dürften sich kaum daran stören. Es zählt die Geschichte und deren Raffinesse, politische Ränke mit unterhaltsamen Sequenzen zu untermalen. Gelungen, wie man betonen muss, denn diese Kombination aus Action, Spannung, Detailreichtum sowie Charme dürfte kaum einem anderen Autor besser gelungen sein. Von Seite zu Seite hastet der Leser deshalb vorwärts im Geschehen, erlebt Westeros als vielfältiges Land, bestehend aus sieben Königriechen, und beobachtet durch die Augen sehr verschiedener Protagonisten die Entwicklungen. Vor allem im Norden ist die Gefahr hierbei überdeutlich zu spüren. Winterfell liegt abseits freundlicher Umgebungen und ist geprägt von rauem Wetter, ernsten Menschen und der Führung der beliebten Starks. Lord Eddard Stark lebt mit seiner Familie seit Jahren in diesem Gebiet und sichert die Grenzen zu den wilden Landen jenseits der eisigen Mauer. Sie alle wissen, dass „der Winter naht“. Einer, der beängstigend lange dauern wird, denn in dieser Welt sind die Jahreszeiten eine meist langdauernde Laune der Natur. Doch nicht nur die jahrelange heraufziehende Kälte muss gefürchtet werden, sondern ebenso vielfältige Entwicklungen im Königreich. Jon Arryn, die rechte Hand des Königs, wird ermordet und Lord Stark soll die damit verbliebene Lücke in den Reihen der Königstreuen füllen. Eine Herausforderung, die alles ändern wird. Eddard muss nicht nur einen politischen Mord aufklären, sondern zusehen, wie sich seine Familie in alle Winde zerstreut. Abgeschieden von vielen seiner Lieben, erlebt Eddard den warmen Süden in seiner feindseligsten Form. Freund oder Feind – hier sind sie für die rechte Hand des Königs kaum noch zu unterscheiden und selbst Robert Baratheon scheint nicht mehr der Herrscher zu sein, dem Ned vor Jahren zu Ehre und Macht verholfen hat. Politische Ränke sind aber nicht die einzige Sorge Westeros, denn im Osten wartet etwas weitaus Gefährlicheres: ein Geschwisterpaar mit dem Streben, ihr einstiges Königreich mit dem Schwert zurückzuerobern.
George R. R. Martin schreibt über Freundschaft, Pflicht, Verrat sowie Liebe, und das aus vollem Herz. Trotz der umfassend ausgelegten Ränke drängt er die Handlung selten voran. Vielmehr besinnt er sich auf das wahre Kapital seines Tuns: die Charaktere. Zu jeder Zeit stehen sie im Vordergrund. Die Handlung existiert, weil sie es tun – nicht umgekehrt. Diese Tatsache sorgt für so viel mehr Spannung als jede ausgeklügelte Kleinigkeit. Dennoch gibt es selbst diese reichlich. Es wird subtil verknüpft, Wert auf Sarkasmus gelegt und Welterschaffung beinahe in Vollendung präsentiert. Kalt sowie entbehrungsreich – egal wohin man die Protagonisten begleitet, überall trifft diese Beschreibung zu. Eddard Stark bleibt, neben vielen anderen, der gute, nicht aber strahlende Held. Im Gegenteil, er lächelt wenig, ist bemüht, das Volk zu schützen, sieht sehr vieles furchtbar eng und versucht sozusagen „zu retten, was zu retten ist“. Ehre, Loyalität und Pflichtgefühl sind seine Attribute; umso verständlicher der Hass auf Politik. Ebenso faszinierend, dennoch auf gänzlich andere Art, sind die Lennisters. Ein Haus, reicher und mächtiger als die Starks. Besonders hervorstechend aus dieser Blutlinie: Lord Tyrion. Von zwergenhaftem Wuchs, weiß er seine intellektuellen Fähigkeiten meisterhaft einzusetzen. Mag er seine machtbesessene Familie auch lieben, so zieht es ihn doch eher zu Außenseitern hin. Jon Schnee, Eddards Bastard, wird Tyrion Lennister ein guter Freund. Beide sind ebenso tiefgründig gezeichnet wie die Stark-Töchter Sansa und Arya, oder aber Bran sowie Starks Frau Catelyn. Verstand, gewürzt mit Mitgefühl, Hass vereint mit Habgier und Macht – man darf überaus gespannt sein auf die Fortsetzungen dieser bisher noch Low-Fantasy-Reihe, die zu Recht als Meisterwerk gehandelt wird. Stilmittel (unter anderem kurze, spannende Kapitel) und Sprache (lange, stimmungsvolle Sätze) bestätigen diesen Eindruck zusätzlich.
„Vergiss eins nicht, Junge. Alle Zwerge könnten Bastarde sein, doch nicht alle Bastarde müssen Zwerge sein.“ Und mit diesen Worten wandte er sich um und schlenderte zum Fest zurück, wobei er ein Lied vor sich hin pfiff. Als er die Tür öffnete, warf das Licht von drinnen seinen Schatten deutlich in den Hof, und nur für einen Augenblick war Tyrion Lennister groß wie ein König.
(Seite 75)
Fazit
Vollkommen berechtigt wird George R.R. Martin in höchsten Tönen gelobt. Low-Fantasy-Liebhaber oder Freunde von ausgezeichneten Protagonisten kommen deshalb an diesem intensiven Lesegenuss kaum vorbei. Endlich wieder einmal ein Autor, der es schafft, Gefühl mit Härte, Spannung, Action und Politik aufs Meisterlichste zu vereinen! Klare Kaufempfehlung, denn „Die Herren von Winterfell“ ist ein langsam heraufziehender Sturm voller Suchtpotenzial!