Serie: Wächter-Tetralogie, Band 2 Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Mit dem vorliegenden Roman Wächter des Tages wechselt der Autor die Seiten. Aus Gut wird Böse. Oder einfach nur anders. In dem mystischen Spiel zweier Urkräfte schaut der Autor dem dunklen Anderen über die Schulter und lässt nur wenig Platz für den neugierigen Leser. Mit dem Wechsel der Front, wechselt er auch von einem männlichen Handlungsträger zu einer weiblichen Handlungsträgerin. Der ewige Kampf, den sich die Anderen im Zwielicht liefern, verleiht den Romanen eine eigene literarische Spannung. Und alles läuft auf ein Großereignis hinaus, von dem niemand so recht sicher ist, ob es stattfinden wird, wann es stattfinden wird und wer der eigentliche Auslöser sein wird. Mit Alissa befinden wir uns noch immer in Moskau, doch ändert sich bald der Ort, und wir landen zuerst in einem Ferienlager am Schwarzen Meer, danach in Prag. Dabei ist doch gerade Prag die heimliche Hauptstadt des Unheimlichen und des Mysteriums. Vor knapp einhundert Jahren war es Gustav Meyrink, der dort seine Erzählungen ansiedelte, in der neueren Zeit war es dann der Comic bzw. Film Blade, der dort gedreht wurde und Prag zum Schauplatz machte. Der Wechsel der Stadt ist dabei gar nicht einmal das Thema. Das Zwielicht herrscht überall. Zurück zu Alissa, der Hexe, die in ihren Chef verliebt ist und nach einem gut ausgeführten Auftrag in das besagte Ferienlager fahren darf. Dort trifft sie auf den ebenfalls gerade angekommenen neuen Lehrer. Die Gefühle, die sie plötzlich für den Lehrer aufbringt, sind für die Hexe äußerst überraschend. Alissa lässt den in ihr befindlichen weichen Kern zu Tage treten, was weder ihr noch ihrem Geliebten zustatten kommt. Schlussendlich müssen sie sich beide einer übergeordneten Instanz beugen. Die überaus romantische, fast liebesromanhafte Erzählung wirkt zudem sehr wie ein Klischee. Ein wenig mehr Hintergründe und ein wenig mehr Wissenswertes über die beiden mit ein wenig mehr Magie hätten mir in diesem Teil besser gefallen.
Im mittleren Teil des dreiteiligen Episodenromans geht es um einen seltsamen Letten, Edgar, den ich fast mit Wladimir Wasiljew gleichsetzen möchte, der sich in Moskau wiederfindet, sich aber an sein Leben vor dem Erwachen in der russischen Hauptstadt nicht erinnern kann. Leichen pflastern seinen Weg, doch können die Ordnungshüter ihn nicht mit ihnen in Verbindung bringen. Weil sich der Leiter der Moskauer Nachtwache gerade nicht in der Stadt befindet, scheint das labile Gleichgewicht zwischen Tag und Nacht in Gefahr.
Die dritte Erzählung fügt die losen Enden der beiden ersten Erzählungen zusammen. Hier ist Prag der Handlungsort und steht mit seiner eigenen Mystik im Mittelpunkt. Die hier vorgestellten Personen wirken auf mich weitaus lebendiger, als es die vorherigen waren. Leider lässt hier die Geschichte nach, flacht ab und die angebotene Lösung wirkt wie ein Pickel auf einer ansonsten glatten Haut.
Alle drei Erzählungen sind Ich-Erzählungen. Auf diese Weise ist der Leser nie schlauer als die handelnde Person, und ich kann mir gut das hämische Grinsen des Autoren vorstellen, der gern bereit ist, den Leser auf eine falsche Fährte zu setzen. Das erhöht in jedem Fall die Spannung und erinnert sehr an klassische Kriminalgeschichten à la Sherlock Holmes.
Das Fesselnde der beiden Autoren Sergej Lukianenko & Wladimir Wassiljew mit ihrer Geschichte ist die Verbindung zwischen Spannung, die ich gern mit dem Amerikaner William King oder dem Deutschen Markus Heitz vergleichen möchte, und einer dichten Erzähltiefe, wie ich es von Dan Brown kenne, die mir in dem Genre des Horrors selten begegnet. Die Handlungsträger sind immer wieder in weise, tiefgreifende Gespräche verwickelt. Etwa, wenn Alissa versucht, den Fahrer des Wagens, mit dem sie unterwegs ist, über seine Rechte aufzuklären. Andererseits versucht man die Zukunft, oder besser eine mögliche Zukunft aus den Handlungen der Menschen zu erkunden. Die erfahrenen Magier der Anderen sind in der Lage, genug aus den Handlungssträngen herauszulesen, um eigene Schritte vorauszuplanen. Doch jede Tat führt zu einer Gegentat und verändert die Zukunft, eröffnet neue Handlungsstränge oder lässt andere im Sand verlaufen.
Der unglaubliche Schreibstil dieses Episodenromans lässt die Erzählung nie langweilig werden. Eine Handlung, die zuvor ohne Zusammenhang erscheint, stellt sich plötzlich als geschickter Schachzug der beiden Chefwächter Geser und Sebulon heraus. Trotz der Gegebenheit, dass von den Anderen berichtet wird, sind doch viele Wesenszüge durchaus menschlich zu nennen. Letztlich leben alle Handlungsträger von den gleichen Gefühlen und Verhaltensmustern. Und auch wenn immer wieder von mir das Gut und Böse angeführt wird, ist es doch eher die Auseinandersetzung zweier philosophischer Schulen, die den Roman prägen. Je mehr man liest, desto wirklicher kommt die literarische Welt daher.