Serie: Die Erben der Nacht, Band 5 Eine Rezension von Ida Eisele |
Die Erben der europäischen Vampirclans treffen sich zum letzten Akademiejahr in London, um dort die Fähigkeiten der Vyrad zu erlernen. Doch von Anfang an gibt es Probleme. Nicht nur, dass sich Clarissa nicht mit ihrem Leben als Vampirin und noch dazu als Servientin der Nosferas abfinden kann, Leo sieht auch Alisa und Malcolm zusammen und zieht die falschen Schlüsse daraus. Darüber hinaus weigern sich die Vyrad, den Erben wie üblich Unterricht zu erteilen. Stattdessen sollen die jungen Vampire sich mit der Klärung alter und aktueller Kriminalfälle befassen.
Ivy ist es indessen untersagt, wieder an der Akademie teilzunehmen, nachdem in Wien ihr Geheimnis gelüftet wurde. Dennoch macht sie sich auf den Weg nach London, doch ihr Ziel ist es nicht, von den Vyrad zu lernen. In der alten Templerkirche, die inmitten des Domizils des Londoner Vampirclans liegt, verbirgt sich ein ganz anderes Geheimnis...
Obwohl ich die ersten vier Bände von 'Die Erben der Nacht' nicht gelesen habe, fand ich mich schnell in dem Buch zurecht, konnte mir die Hauptcharaktere bis auf Ivy bis aufs kleinste Detail vorstellen und mochte sie bald sehr gern. Was mich ebenfalls sofort für das Buch eingenommen hat, waren die angenehme, schöne Sprache und die gekonnten Landschaftsbeschreibungen.
Etwas weniger beeindruckend fand ich die Beziehungsprobleme der Haupt- und Nebencharaktere, die für meinen Geschmack etwas zu viel Raum einnehmen. Von der zentralen Bedrohung durch Dracula erfährt man während dem größten Teil des fast 600 Seiten umfassenden Werks kaum etwas, höchstens einige kryptische Andeutungen von Seiten Ivys. Diese aber distanziert sich nicht nur von ihren Freunden, sondern wirkt auch auf den Leser unverständlich, ungreifbar und unangenehm übermächtig. Insgesamt war sie für mich die unangenehmste Figur in der Geschichte.
Ob die grundlegende Gefahr, in welcher die Vampirclans durch Dracula schweben, für einen Leser greifbarer wäre, der den vierten Band gelesen hat, in dem der alte Vampirfürst Ivy entführt, kann ich nicht beurteilen. Für mich wirkten die – teilweise klischeehaften und unnötigen – Beziehungsschwierigkeiten vor allem zwischen Leo und Alisa ebenso wie die zu lösenden Kriminalfälle ein wenig wie Füllstoff, um die Zeit bis zum finalen Showdown mit Dracula und Ivy zu überbrücken. Denn diese Kriminalfälle sind in der Mehrheit weltbekannte Ereignisse, die wahrscheinlich jedem Leser zumindest im Groben ein Begriff sein sollten, so zum Beispiel die Geschichte von Sweeny Todd oder Jack the Ripper.
Nichtsdestotrotz sind diese Exkurse interessant und sehr detailreich aufgearbeitet. Ebenso steht es um geschichtliche Hintergrundinformationen zu London und England im Allgemeinen, die ihren Teil dazu beitragen, dem Leser ein lebendiges und vielschichtiges Bild dieser Stadt um 1880 vor Augen zu führen. In der Tat sind diese Ausflüge in die reale Geschichte eines der Dinge, die mir am besten gefallen und das Lesen immer wieder interessant gemacht haben. Dennoch möchte ich anmerken, dass es etwas unrealistisch erscheint, wenn irgendwann spät nachts ein alter Küster einer Gruppe Jugendlicher (die doch sicher längst im Bett liegen sollten, wenn sie denn Menschen wären) ohne jeden Argwohn einen Vortrag über die Geschichte seiner Kirche und den mit ihr verbundenen Fall des Sweeny Todd hält. Ebenso irritierend fand ich es, dass jeder beliebige Charakter offenbar zu jeder Tages- bzw. Nachtzeit in der Lage ist, auf eine beiläufig gestellte Frage hin eine seitenlange Antwort zu geben, die eines Geschichtsprofessors würdig wäre.
Im Gegensatz dazu hat mir sehr gut gefallen, dass die Autoren Bram Stoker und Oscar Wilde eine wenn auch kleine Rolle spielen durften und auch Abraham van Helsing vorkam (der leider letzten Endes kaum einen wichtigen Beitrag leistet, was seiner Figur irgendwie unwürdig ist).
Um nun noch einmal auf das Ende zu sprechen zu kommen: Die Begegnung mit Dracula, die von Ivy gewissermaßen das gesamte Buch über vorbereitet wird, spielt sich in im Vergleich zum Rest des Buchs irritierend kurzen drei Kapiteln am Ende ab. Auch die darauf folgenden letzten drei Kapitel wirken seltsam knapp und zusammenfassend, hier hätte ich mir ein wenig mehr Gefühl und Ausführlichkeit gewünscht – immerhin haben Ivys Pläne ja nicht nur die gewünschten, sondern höchst dramatische Folgen. Da hätte es am Anfang ein wenig Missverständnis oder ein wenig Detektiv spielen weniger haben können, um den Schluss etwas ausgeprägter zu gestalten.
So, und zuletzt will ich nun noch erklären, warum ich mir trotz all dieser Kritikpunkte und einer sehr ausgeprägten Vampirfeindlichkeit tatsächlich den ersten Band der Reihe bestellt habe und plane, auch die drei dazwischenliegenden noch zu lesen.
Zum Teil liegt das an der düsteren, mystischen und wirklich fesselnden Atmosphäre, die Ulrike Schweikert mit ihrer Mischung aus historischen Fakten, mythologischen Einflüssen und anschaulichen Beschreibungen geschaffen hat und die mir nachhaltig in Erinnerung bleiben wird. Teils liegt es aber auch daran, dass mir die jungen Vampire in ihrer Vampirhaftigkeit wirklich gefallen haben. Tatsächlich haben sie mich daran erinnert, was ich vor langer Zeit an diesen Geschöpfen der Nacht einmal faszinierend fand.