Titel: Das andere Ufer der Zeit & Von Zeit zu Zeit Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Si Morley scheint mit seinem Leben gescheitert zu sein. Nichts mag ihm so recht gelingen, doch dann bekommt er von einem geheimen Forschungslabor ein Angebot, das sehr interessant ist: Er soll in die Vergangenheit reisen und aus irgend einem Grund eigenen sich Menschen wie er ganz besonders für dieses Projekt.
Doch die Reise geht ganz anders vonstatten als Si vermutet hätte. Ausgehend von der These, dass Zeit nur eine Illusion ist und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft parallel nebenher existierten, muss es möglich sein, die Grenze zu überschreiten. Dies ist möglich an Orten, die sich über Jahrzehnte nicht verändert haben. Der Reisende stimmt sich auf die Zeit ein, durchlebt eine Simulation bis er sich ganz in der vergangenen Epoche heimisch fühlt. Mittels Hypnose soll er dann den Zeitsprung schaffen und sich in der Zielzeit wiederfinden. Für Si ist dies das New York des Jahres 1882 und tatsächlich gelingt ihm der Übertritt.
Voll Verwunderung betrachtet er das Treiben auf dem verschneiten, nächtlichen Central Park. Von nun an gestaltet sich der Übergang für Si einfacher und er kann Tage in der Vergangenheit zubringen, um ein Rätsel lösen, das seine Freundin seit vielen Jahren beschäftigt: Ihr Großvater bekam kurz vor seinem Tod einen Brief, der vollkommen unverständlich ist, aber eine Rolle spielte bei seinem späteren Selbstmord. Si muss vorsichtig zu Werke gehen, denn eine unbedachte Tat in der Vergangenheit ändert die Zukunft und das Geschick der Welt. Dann findet Si Morley den Absender des Briefs. Und verliebt sich in dessen Verlobte.
Von Zeit zu Zeit oder Das andere Ufer der Zeit (so der Name der Erstausgabe im Heyne Verlag) ist eine unglaublich bildreiche Geschichte, die den Leser selbst mit in die Zeit eines längst vergangenen New York nimmt. Die Beschreibungen sind so schön und detailreich, dass man sich förmlich die Kälte des Winter 1882, das Klappern der Hufe auf den Straßen, den Geruch des niedergedrückten Rauchs und die Stimmen der Passanten vorstellen kann. Jack Finney ist entweder Historiker oder er hat sehr intensiv recherchiert. Auf jeden Fall sind die Beschreibungen unglaublich gut. Und auch die Geschichte steht dem in nichts nach: Dem ruhigen, gemächlichen Beginn folgt eine Geschichte, die immer mehr in einen Kriminalfall einmündet und zum Ende einige sehr interessante Wendungen bereithält. Der Roman durchlebt eine Metamorphose vom Historienroman über einen Krimi hin zum Science-Fiction-Werk.
Hervorzuheben ist ein Coup, den Jack Finney mit geschichtlichen Zeichnungen und Bildern gelandet hat. Immer wieder finden sich in dem Roman Bilder, die das abbilden, was Si Morley während seiner Reisen in das New York des Jahres 1882 gezeichnet und auch fotografiert (er lieh sich eine Kamera aus und machte Fotos). Die Fotos geben die Szene exakt so wieder, wie der Protagonist sie beschrieben hatte, d. h. Autor Jack Finney nahm die Fotos und ließ seinen Protagonisten die Szene beschreiben. Dies erzeugt eine noch intensivere Stimmung und erleichtert es dem Leser, sich in das New York der Vergangenheit zu versetzen und wie ein Städtereisender einen Tripp durch die Stadt zu machen.
Leider muss gesagt werden, dass die ersten beide Übersetzungen des Romans Time and Again als wenig geglückt gewertet werden können. Die erste Übersetzung Das andere Ufer der Zeit stammt aus dem Jahr 1980, und selbst damals war die Ausdrucksweise veraltet. Schwerfällig und unnötig kompiziert ist der Text eher sperrig. Außerdem finden sich Stilblüten wie z. B. fünfte Avenue in der Übersetzung. Die neue Übersetzung Von Zeit zu Zeit (wohlgemerkt: Es handelt sich nicht um den Roman From Time to Time der ebenfalls aus der Feder von Jack Finney stammt) andererseits überspannt den Bogen in völlig anderer Hinsicht: Die Übersetzung ist sehr frei und knapp. So manches Detail fällt dieser gefälligen Übersetzung zum Opfer und auch das ist nicht okay, denn der Autor hatte sich schließlich auch etwas bei den Nebensätzen gedacht und es ist unfair dem Autor gegenüber, die dann wegzulassen.
Zwar unterstütze ich den Ausspruch: Man kann entweder eine gute Übersetzung verfassen oder ein gutes Buch schreiben, aber die beiden Übersetzungen werden weder der einen noch der anderen Möglichkeit gerecht. Wollen wir also hoffen, dass es von diesem wunderbaren Roman eines Tages eine dritte Übersetzung gibt, die dem Autoren mehr gerecht wird.
2008 wurde der Roman neu aufgelegt und zusammen mit dem Folgeroman unter dem Titel "Zeitspuren" neu veröffentlicht. Die zweite Übersetzung des Bastei Verlags wurde von Angela Herrmann komplett durchgesehen und neu überarbeitet. Das Ergebnis ist nun endlich eine gute Übersetzung, die nahe am Original bleibt und dennoch flüssig lesbar ist. Diese Übersetzung nun kann ich jedem empfehlen.
Um zu demonstrieren, wie stark sich die Übersetzungen unterscheiden, habe ich eine Gegenüberstellung der ersten zwei Sätze des Buchs gemacht.
Das andere Ufer der Zeit | Von Zeit zu Zeit Wie gewöhnlich arbeitete ich hemdsärmelig; ich saß an der Zeichnung eines Seifenstücks, das am oberen Rand meines Zeichenbretts befestigt war. | Zeitspuren | Time and Again |
Der sehr gelungene Roman ist eine Mischung aus Krimi, Historienroman und Science Fiction, die allen Elementen gerecht wird und als Gesamtheit ein rundes Bild abgibt. Selten habe ich einen Roman mit so schönen und inspirierenden Beschreibungen gelesen, dessen Bilder, die im Kopf hervorgerufen werden, den Leser noch Wochen später beschäftigen. Ein wahrhaftes Meisterwerk der Phantastik. 10 von 10 Punkten.