Tiitel: Vellum Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Guy Reynard Gardner ist ein Student und auf der Suche nach dem Erbe der Familie. Statt dessen findet er in einem dunklen Gewölbe der Bibliothek durch Zufall das ewige Stundenbuch, seit Generationen von der Familie des Transportunternehmers Gardner gehütet. Von dem legenderen Buch heißt es, es enthalte die wahren Namen aller Lebewesen, die je auf Erden wandelten, und nicht nur Gottes Worte, sondern auch dessen wahren Namen. Wer diese Namen kennt, so auch der Glaube vieler „Primitiven-Stämme“, hat Macht über ihren Träger, und ihm offenbaren sich alle Wunder und Geheimnisse des Universums. So nebenbei, die "Neun Milliarden Namen Gottes" konnte Arthur C. Clarke in seiner Erzählung bereits im Jahr 1955 klären. Aber ich schweife ab.
Wer also über das Buch verfügt, dessen Inhalt über die Wirklichkeit der Welt bestimmt, hält alle Macht des Universums in den Händen.
Wie auch immer, es muss ja einen Grund geben, warum sich der kurz angesprochene Held Guy Reynard Gardner ins Vellum begibt. Der Grund findet sich in der aufgelösten Studentengemeinschaft, der Guy angehörte. Thomas Messenger ist gestorben, und Jack Carter hat den Tod nicht verkraftet. Er verliert seinen Verstand. Auch mit Joey Pechorin kann Guy nichts mehr anfangen. Dessen Gefühle sind völlig abgestumpft, und so bricht auch dieser Kontakt ab. Phreedom Messenger sucht inzwischen nach ihrem Bruder Thomas. Guy schlägt das Buch auf - und schon verändert sich seine Weltsicht. Sein bisheriges Leben kommt ihm wie ein Traum vor, und so begibt er sich in das Universum, das die Bezeichnung Vellum trägt. Die Reise selbst ist mehr eine lesbare Reisegeschichte, in der zwar berichtet, aber nie genauer nachgefragt wird. Reynard wie auch der Leser bleiben mit offenem Mund stehen.
Im Vellum leben die Unkin. Sie sind es, die die Welten beherrschen und die Sprache Cant (eventuell ein Hinweis auf Immanuel Kant) anwenden. Cant ist die Sprache, die in der Lage ist, die Wirklichkeit zu formen. Daher wird auch der Ausspruch „Und Gott sprach, es werde Licht ...“ darauf zurückzuführen sein. Die Unkin nun sind Wesen, die sich als Götter, Götterpriester, Götterkönige, Halbgötter, Viertelgötter und was sonst noch alles als übermächtige Wesen hervortaten. Sie errichteten und zerstörten Reiche in verheerenden Kriegen, die kein Mensch sich vorstellen kann. Einigen Unkin gingen diese Auseinandersetzungen zu weit, und so schlossen sie sich zu einer Gruppe zusammen, die sie Engel nannten. Die sieben Engel wollten dem Vellum eine ewige Ordnung geben, etwas Feststehendes, mit Frieden und ohne Kriege. Dieser Gedankengang und die damit einhergehende Absichtserklärung waren sicher nobel, doch führten sie zum Gegenteil. Andere Unkin schlossen sich zusammen und wurden die Dämonen. Damit gab es eine Polarisierung, die bis heute andauert. Der Krieg von Engeln und Dämonen, von Gut und Böse konnte nie gewonnen werden. Stattdessen wurde er in den unterschiedlichsten Formen weitergeführt mit Siegen auf der einen oder anderen Seite, jedoch nie mit einer endgültigen Entscheidung.
Bei Hal Duncan hat man das Gefühl, die Phantastik wird neu geschrieben. Er paart Mythologie und Wissenschaft, Vergangenheit mit Zukunft, Horror mit Science Fiction. Der Roman Vellum ist ein Phänomen für sich. Keinem der phantastischen Genres zugeneigt, gehört er zu jedem und zu keinem. Bleibt der Oberbegriff Phantastik.
Vellum ist ein seltsamer und wenig gebräuchlicher Name. Schlägt man in mehreren Lexika nach, ergibt sich folgende Begriffserklärung: Französisch vélin, vom lateinischen vitulus, Kalb. Vellum ist ein Pergament, das aus der Haut von Kälbern gewonnen wird. Es ist beständiger als normales Pergament und wurde früher für hochwertige Handschriften und die Malerei verwendet. Somit ist zwischen dem Vellum an sich und dem Material des gefundenen Buches ein Bogen geschlossen worden. Man kann, wie in Michael Endes Die unendliche Geschichte, in ein Buch eintauchen. Vellum ist ein Spielplatz, an dem es ständig etwas Neues zu entdecken gilt. Hier und da findet man, mehr oder weniger deutlich, Hinweise auf andere Phantatik-Autoren und ihre Werke, und - wem das nicht genug ist - auch auf Mythologien lebender und toter Religionen.
Das Vellum ist eine Art Second Life. Man bildet ständig neue Personen aus, jedoch immer nur mit den sieben Grundmustern der sieben Engel. Dafür werden die handelnden Personen aber öfters in sich selbst kopiert, in einer anderen Zeit, mit anderem Aussehen, aber immer klar erkennbar. Da spielt es letztlich keine Rolle, ob sie Phreedom, Anna oder Iannan genannt werden. Es bleibt die eine. Das Gleiche gilt für die anderen Personen. Daher kann man nicht direkt von Hauptpersonen sprechen, sind sie doch zeitgleich unter anderem Namen in verschiedenen Zeiten tätig. Es sind Urtypen, die verfremdet, aber immer wieder im gleichen Handlungsmuster verfangen sind.
Stilistisch gesehen ist der Roman sehr abwechslungsreich. Für einen Vielleser wie mich ist so ein Buch eine wahre Fundgrube abwechslungsreichen Inhaltes. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Buch nicht allen Freunden der Phantastik gefallen wird. Manche werden meine Freude an diesem Buch nicht einmal ansatzweise teilen.