Titel: Vampyrrhic Eine Besprechung / Rezension von Karsten Kruschel |
Zu diesem Buch gibt’s vorweg eine schlechte Nachricht: Es ist ein Vampir-Roman. Die gute Nachricht hinterdrein: Mit den weichgespülten Vampirschmonzetten, die im Gefolge von Twilight die Buchhandlungen verstopfen, hat dieser Roman absolut nichts gemeinsam. Er ist hart, direkt, stellenweise brutal und erfrischend eigenständig. Und er handelt nicht hunderte Seiten davon, „es“ dann doch lieber nicht zu tun, sondern kommt handfest zur Sache (dabei ist Clarks Roman keinerlei Reaktion auf Biss...: Sein Buch war zuerst da).
Die Zutaten sind teilweise altbekannte Versatzstücke des Horrors: Die niedergehende und abgelegene Kleinstadt, geheimnisvolle und weit zurückreichende Familiengeschichten, gut verschwiegene Geheimnisse, reinkarnierte Helden, blutdurstige und geheimnisvolle Geschöpfe, verschlossene Türen, finstere unterirdische Gänge – und kleine Kinder, die grausige Dinge in der Kanalisation sehen. Und natürlich Leute, die untot herumlaufen, nachdem sie gebissen und ausgetrunken worden sind.
Hinzu kommen in der Clarkschen Version des Vampirstoffes einige durchaus überraschende Dinge und Gestalten, die man so nun wirklich nicht erwartet. Der nordische Donnergott Thor beispielsweise, ein ebenso tatoo-übersäter wie muskulöser Ex-Knacki mit besonderen Fähigkeiten, süchtigmachende Videos und einen mongoloiden Jungen, den die Vampire nicht austrinken wollen.
Natürlich beginnt alles ganz gewöhnlich mit einem Arzt, der in die Stadt seiner Kindheit zurückkehrt, um herauszubekommen, ob er dort den Rest seines Lebens in einer gerade frei werdenden Arztpraxis verbringen möchte. Nach etlichen nervenzerfetzenden Erlebnissen erkennt Dr. Lepping, dass er in seine alte Heimat gelockt wurde – nur um am Ende die Welt zu retten. Und er kann niemandem außer seinen besten Freunden etwas davon erzählen.
Daß der verschnarchte englische Ort (unweit der Stelle, an der laut Bram Stoker der Graf Dracula die britischen Inseln betrat) ausgerechnet Leppington heißt, hat ebenso mit den Grundfesten dieses Romans zu tun wie die Tatsache, daß der einzige bedeutende Betrieb der Stadt ein Schlachthaus ist, in dem all das Blut der getöteten Tiere ungehemmt abfließt, durch Öffnungen und Kanäle, von denen niemand weiß, wie alt sie sind. Natürlich wird dieses Blut tief unter der Stadt ganz anderen Zwecken zugeführt... Das wird im Buch sehr plastisch beschrieben, sehr gruselig, auch wenn man natürlich weiß, daß sowas in der Wirklichkeit ein bißchen anders ist.
Von der Handlung selbst soll hier nichts verraten werden. Sie spart nichts aus, was nach der obigen Aufzählung von Zutaten zu erwarten ist, und setzt noch etliches hinzu, was absolut nicht zu erwarten war.
Was den Roman aus der Masse abhebt, ist Clarks ausgeprägte Fähigkeit, Charaktere zu erschaffen. Das tut er in seiner langsam Fahrt aufnehmenden Exposition. Die vier Protagonisten sind alle sehr widersprüchlich und womöglich genaus deswegen sehr glaubhafte Figuren, denen er mit gelegentlichen Halbsätzen abgründige Tiefe zu verleihen weiß; die vier Helden des Romans sind jeder auf seine eigene Weise unvergesslich. Am meisten natürlich der Unsympath der ersten Kapitel, der sich schließlich als der wahre Held der kleinen Truppe herausstellt.
Aber Clark kümmert sich auch um seine zahlreichen Rothemden; jene Figuren, die, kaum vorgestellt, auch schon zu Opfern werden. Diese werden allesamt als Typen beschrieben, die einem manchmal gar nicht leidtun, wenn sie hingemetzelt werden. Und da wir es mit Vampiren zu tun haben, dürfen selbst die bereits gestorbenen Rothemden einen zweiten Auftritt bestreiten.
Seine Kunst der wie zufällig hingeworfenen, tiefreichenden Nebensätze widmet Clark auch den Schauplätzen. Er beschreibt gerade genug, um die Phantasie des Lesers anzukurbeln, und läßt ihr dann den nötigen Freiraum. Wenn’s dann zur Sache geht, werden Dinge genau beschrieben, die zartbesaiteten Lesern schwer im Magen liegen könnten, und aus dem Gegensatz zwischen diesen beiden Extremen zieht der Roman eine Menge seiner Spannung.
Klaustrophobische Kettensägenkämpfe und herzzerreißende Abschiede bringt dann das Finale des Romans; das ist alles sehr unterhaltend, und ja, man kann den Roman stellenweise wirklich nicht mehr aus der Hand legen.
Noch ein Wort zum Titel: Es ist ja eine schlechte Angewohnheit geworden, englische Originaltitel ungeändert und unübersetzt auch für die deutsche Fassung zu übernehmen, vor allem im Filmgeschäft. Im Fall von Vampyrrhic jedoch scheint es sinnvoll zu sein, denn das zugrunde liegende Wortspiel ist kaum übersetzbar – im Englischen heißt ein Pyrrhussieg, also ein Sieg, der mit sehr hohen eigenen Verlusten erkauft wurde, „pyrrhic victory“.
Und mit hohen Verlusten ist der Sieg des Guten hier tatsächlich verbunden - zumal er zudem recht vorläufig zu sein scheint. So ganz erledigt sind die Viecher da unten nämlich am Ende nicht. Da sind noch zwei weitere Romane, die darauf warten, ins Deutsche gebracht zu werden.